Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. Mai 2015, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Klingt doch gut, der Titel, dessen Untertitel lautet Das deutsche Kino im Zeitalter der Massen. Rüdiger Suchsland nimmt damit den Titel einer Studie von Siegfried Kracauer auf, die dieser 1947 schrieb, und man kann schon sagen, daß er diese durch einen rasenden Rausch von Filmzitaten bebildert. Und diese Szenen wiederzusehen, ist das Wichtigste am Film.
Tatsächlich macht der Film Lust auf mehr. Nämlich in Ruhe die einzelnen Filme, die man von früher her kennt, noch einmal anzuschauen, denn das Problem der Filmausschnitte ist eben auch, daß es meist immer dieselben sind, die bei Rundumschlägen wie diesem Film gezeigt werden. Und hierin liegt das Problem: Wir sind mächtig froh, daß Rüdiger Suchsland diesen Film gedreht hat, der einmal nur den deutschen Film der Zwanziger Jahre in Erinnerung ruft, und finden gleichzeitig, daß er zu wenig die Positionen von Siegfried Kracauer reflektiert, aus der heraus er sein Buch schrieb. Wir haben nämlich dessen Aussagen von 1947, die eben diesen Zusammenhang vom Unmenschen Caligari zum Unmenschen Hitler herstellt, gegengelesen mit Kracauers eigenen Filmbesprechungen zu den Zeiten, als diese Filme herauskamen. Das kann man leicht tun, da die im Verlag Suhrkamp erschienenen drei Bände „Kleine Schriften zum Film“ für die Jahre 1921-1961 alle seine Filmkritiken enthalten.
Und da stockt man schon, denn Das CABINET DES DR.CALIGARI von Robert Wiene ist schon 1920 entstanden, es gibt also keine unmittelbare Filmkritik von Kracauer zum Film, so wie er dann METROPOLIS, „M“, DER BLAUE ENGEL u.a. rezensieren wird. Stattdessen erscheint 1939 in der Reihe WIEDERSEHEN MIT ALTEN FILMEN eine Analyse DER EXPRESSIONISTISCHE FILM, in dem er ausführlich auf den CALIGARI eingeht und den expressionistischen Film auf die Begleitumstände der Zeit zurückführt: „Die Angst, die sich in diesen Filmen vergegenständlicht, ist begreiflich genug. Man hat den Schock des verlorenen Kriegs in den Knochen, der Krieg im Inneren schwelt weiter...“. Das ist so überzeugend formuliert, wie hier filmische Form auf die Lebenssituation zurückgeführt wird, daß man gerne weiterzitieren möchte.
Das ist uns wichtig, weil er in seiner Studie, die Rüdiger Suchsland zum Film macht, einen entscheidenden Schritt weitergeht und die vorgestellten Filme im gewissen Sinne funktionalisiert, in dem er aus ihnen seine sozialpsychologische Parallele zieht, dernach die in deutschen Filmen dargestellten Tyrannen und auch Mörder auf eine kollektive unterbewußte Herbeisehnung eines Diktators, der die Unsicherheiten der Moderne in Sicherheiten verwandelt, hindeuten. Das ist natürlich für die Darstellung des deutschen Kinos in der Weimarer Zeit eine steile Hypothese und für eine filmische Abhandlung kaum zu leisten. Vielleicht rühren daher die Eile und die viel zu vielen Worte, mit denen der 118 minutenlange Film uns leicht überfordert. Wie gerne hätten wir angehalten und noch viel mehr Ausschnitte original gesehen.
Problem dieses Filmes, über dessen Dasein wir uns freuen und dringend zum Besuch raten, ist also, daß sich Rüdiger Suchsland auf die Kracauerstudie bezieht, die zudem, was den im Titel angesprochenen CALIGARI angeht, filmhistorisch widerlegt ist. Da ist dann zu viel Kopf, zu viele Beweisführungen, zu viele Meinungen von Filmschaffenden, die einen immer wieder ablenken, wenn man sich eigentlich mit dem deutschen Kino zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit beschäftigen möchte, wenn man einfach zuschauen will und erleben, warum das deutsche Kino der Weimarer Republik Deutschland zur Filmnation machte und den Filmen Weltgeltung verschaffte.
Allein am Beispiel von MENSCHEN AM SONNTAG von 1929 kann man diese Schwierigkeiten nachvollziehen. Denn wir finden heute diesen von einer Gruppe ganz junger Filmschaffenden hergestellten Stummfilm in seiner Modernität und der Wiedergabe von Lebensgefühl in lebendigen Bilder grandios. Und sagen: Was hätte aus dem deutschen Film werden können, wenn nicht deren Regisseure Billy Wilder, Robert Siodmak und Edgar E. Ulmer sowie Fred Zinnemann und Eugen Schüfftan an der Kamera von den Nazis vertrieben worden wären. Siegfried Kracauer aber hat zur Entstehungszeit des Film von ihm als Filmkritiker keine Notiz genommen und geht später mit Begriffen wie Groteske hart ins Gericht.
Und wir tun das nun mit Rüdiger Suchsland. Dabei ist das ja nur dem geschuldet, daß wir meinen, er hätte die von ihm ausgewählten Filme – sehr wenig Murnau, nebenbei – stärker wirken lassen müssen. Stummfilme sind nun einmal Stummfilme und entfalten ihre Wirkung dadurch, daß die dargestellten Menschen uns erreichen müssen, ohne zu sprechen. Da deren Mimik aber überlagert wird durch die ständige Kommentierung, wirkt sie nicht mehr. Wirkt aufdringlich, eben übertrieben. Das ist unfair und macht Stummfilmdarsteller leicht zur Witzfigur.
Was wir uns wünschen, wäre eine mehrteilige Dokumentation zum selben Thema, wo viel ausführlicher Ausschnitte aus diesen Filmen gezeigt werden, die danach gerne kommentiert werden können. Eine Dokumentation, die zudem die Vielfalt der filmischen Ansätze ordnen und strukturierten kann. Dazu hat Rüdiger Suchsland die nötige Vorlage geliefert.