Dokumentarfilm von Stefan Pohl im Filmtheater Caligari Wiesbaden

 

Thomas Adamczak

 

Wiesbaden (Weltexpresso) - „What’s your name?“ – “Hello my name is- German Graffiti!“ So könnte es zu dem Titel des Dokumentarfilms über die deutsche Graffitiszene von Stefan Pohl gekommen sein, der im Filmtheater Caligari Wiesbaden am 29.5.2015 gezeigt wurde. Im Anschluss diskutierten der Regisseur Pohl, der Mainzer Graffitisprüher Cantwo (Fedor Wildbrandt),

 der Veranstalter des internationalen „Meeting of Styles“ Manuel Gerullis, die Leiterin des Nassauischen Kunstvereins Elke Gruhn und Alexander Klar, der Direktor des Wiesbadener Museums über das Thema: „Graffiti, eine facettenreiche Kunstform zwischen Illegalität und Kommerz“. Moderation der Podiumsdiskussion: Andrea Wink, Organisatorin von „exground filmfest“ Wiesbaden.

 

 

Hello my name is –German Graffiti”

 

Dies vorab: der Film ist äußerst sehenswert, ästhetisch ansprechend, filmtechnisch überzeugend. Stefan Pohl lässt, und das ist eine kluge Entscheidung, hauptsächlich Graffitikünstler zu Wort kommen. „Die Menschen, das sind die Geschichten, die sie erzählen.“ Die Richtigkeit dieses Satzes bestätigt sich in diesem Film. In insgesamt 15 Porträts können sich deutsche Sprayer, von denen einige verständlicherweise nur anonymisiert gezeigt werden, dem Publikum vorstellen. Sie sprechen über ihren Werdegang, ihre Motive, geben Einblicke in ihre künstlerische Arbeit. Und je länger man diesen unterschiedlichen Künstlern zuhört und bei der Arbeit zusieht, ihnen auf ihrem Entwicklungsweg folgt, desto besser kann man diese facettenreiche Kunstform verstehen.

 

Einem mit der Graffitiszene nicht vertrautem Publikum wird ein grundlegender Blick in die Graffitiwelt geboten, eine Kunstform, die ursprünglich ein Randgruppenphänomen darstellte, aber allmählich den Weg in die Mitte der Gesellschaft findet. Staunend nimmt man als Zuschauer wahr, wie vielfältig und ansprechend die Graffitikunst ist.

 

 

Graffiti als Kunstform

 

Erst gegen Ende des Films stellt Stefan Pohl Graffitikünstler vor (u.a Loomit, Ma’Claim, Stylefile), die sich in der Öffentlichkeit mittlerweile ohne Scheu zeigen können, weil sie es geschafft haben. Sie sind anerkannt, können ihre Kunst in Ausstellungen, auf Messen, sogar in Museen zeigen. Zunächst aber wendet sich der Film denjenigen Sprayern zu, die in der Illegalität ihrer Tätigkeit nachgehen, zum Beispiel dem Sprayer Life, der sich nachts von mehrstöckigen Häusern abgeseilt, um die blanken Hauswände zu besprühen. Den damit verbundenen Nervenkitzel kann man sich unschwer vorstellen. Einen Adrenalinkick suchen und finden alle Graffitisprüher, die in der Illegalität aktiv sind, also der größte Teil von ihnen. Ein Sprayer, sagt einer der präsentierten Künstler im Film, könne sich nie sicher fühlen, sei sozusagen immer auf der Hut. Und wenn es nachts zwischen 23:00 Uhr und 6:00 Uhr morgens bei ihm klingele und Herren stürmten in seine Wohnung, ohne die Schuhe auszuziehen, dann seien unangenehme Fragen zu erwarten.

 

 

Kunst als Abenteuer

 

Freimütig geben die Sprayer im Film Auskunft über die Motive für ihre Passion. Natürlich geht es um Abenteuer und beim Sprayen könnten sie inneren Druck abreagieren. Sie sind auf der Suche nach einem unverwechselbaren Graffitistil, wollen mit ihrer Kunst von möglichst vielen Leuten gesehen werden und empfinden regelrechte Glücksgefühle, wenn sie ihren tag (Namenszug) wiedererkennen. Alle im Film gezeigten Sprayer sehen sich als Künstler. Sie grenzen ihre Kunst vehement ab von Schmierereien bzw. Vandalismus, und der Film unterstreicht die Ernsthaftigkeit dieses Anspruchs mittels vielfältiger Beispiele aus der Graffitiszene.

 

Hier kann ein Einwand gegen den Film und die folgende Diskussion erhoben werden. Das, was einem tagein, tagaus an Graffitiprodukten begegnet, entspricht ja mitnichten immer höheren künstlerischen Ansprüchen. Schmierereien, Murks, Dilettantisches und andererseits ästhetisch außerordentlich Gelungenes stehen kunterbunt und für den Betrachter unversöhnlich nebeneinander. Die künstlerisch ambitionierten Sprayer im Film bemühen sich redlich und erfolgreich, aus der Nähe zur Schmuddelecke herauszukommen. Sie betonen, dass wirkliche Graffitikunst qualitativen Ansprüchen genügen müsse, räumen allerdings ein, dass der Zeitdruck, unter dem sie ihre Tätigkeit nachgehen, die Arbeit des Sprayers beeinträchtigen kann. Stefan Pohl räumt auf Nachfrage ein, dass es natürlich misslungene Graffitiprodukte gebe, allerdings sei der Kunstbegriff ja schon immer strittig gewesen. Die Qualitätsfrage regele die Szene von ganz alleine. Entscheidend sei das Image. Es gehe in der Community der Sprayer um respect und fame, also um Anerkennung unter den Gleichgesinnten, und wer bestimmten Qualitätskriterien nicht entspricht, wird von der Szene gnadenlos ignoriert.

 

Im Film kommt ein Rechtsanwalt (Dr. Gau) zu Wort, der den juristischen Problemgehalt anspricht. Graffiti gilt als Straftatbestand und nicht, was der interviewte Rechtsanwalt für angemessener hielte, als Ordnungswidrigkeit. Die Strafen für überführte Sprayer sind erheblich (bis zu zweieinhalb Jahren Gefängnis).

Die Erläuterung des Rechtsanwalts verdeutlichen aus juristischer Perspektive, dass es den Graffitikünstlern darum geht, vom ursprünglichen Image des Asozialen wegzukommen. Und der Film weckt Sympathien für dieses Anliegen, indem er es in einen plausiblen gesellschaftspolitischen Zusammenhang stellt. Graffitikunst erhebt den Anspruch, den öffentlichen Raum mitzugestalten, und zwar durch Ästhetisierung der Alltagswelt. Der mit Graffiti bemalte Zug erzielt eine ästhetische Wirkung, Graffiti auf Brückenpfeilern, leeren Wänden, grauen Garagentoren, bröckelnden Mauern wecken mit ihrer Farbenfreude, ihrem Formenreichtum Lebensgeister der Betrachter, erhöhen Lebensqualität. Das ist zumindest die Intention der Graffitikünstler, und dieses Anliegen bringen sie mit Vehemenz in die öffentliche Diskussion ein, die sich um die Frage dreht, was zu einem guten Leben im städtischen Raum dazugehöre.

 

Verschandeln Graffitis das Bild einer Stadt oder verschönern sie es? Noch gibt es in der Gesellschaft in dieser Frage eine Polarisierung, stehen sich Befürworter und Gegner einigermaßen unversöhnlich gegenüber.

 

 

Ästhetisierung des öffentlichen Raums

 

In der der Filmaufführung folgenden Diskussion geht es unter anderem um die Frage: Wer hat die Verfügungsgewalt über den öffentlichen Raum, wie steht es mit Besitz- und Eigentumsverhältnissen? Wem gehören die Züge, die Brücken, Hochhauswände, leeren Mauern? Die in der Illegalität wirkenden Graffitikünstler nehmen in dieser Frage einen anarchischen Standpunkt ein. Reihenhäuser stünden allerdings nicht zur Disposition. Sie akzeptieren städtische Vorschriften und Gebote nicht und setzen dagegen: „Wir sind das Künstlervolk! Seid froh, dass es uns gibt und freut euch doch an den farbenfrohen Zügen, den lebendigen, lustvollen, ästhetisch ansprechenden Graffitis, die wir euch kostenlos schenken. Kostenlos, wohl gemerkt, weil wir Idealisten sind, Idealisten, die Kunst im öffentlichen Raum präsentieren, ob es euch nun passt oder nicht.“

 

Regisseur Pohl wünscht sich, dass sein Film einen Beitrag leisten möge für einen vorurteilsfreien Blick auf die Welt der Graffiti. Im städtischen Raum würden Flächen für kommerzielle Werbung zur Verfügung gestellt, um damit Geld zu verdienen. Er stellt die berechtigte Frage, wieso für Streetart, also auch für Graffiti, in den Städten kaum geeignete Flächen zur Verfügung gestellt würden. In dieser Hinsicht seien einige europäische Städte schon viel weiter, zum Beispiel Helsinki, wo Graffitikunst willkommen sei, oder Lodz in Polen wie auch einige Städte in den Niederlanden.

 

In Deutschland dagegen seien die verantwortlichen Politiker zu unbeweglich, Neuerungen gegenüber geradezu ängstlich, weil sie ablehnende Reaktionen der Wähler befürchteten. Zu Unrecht, meint Stefan Pohl. Er meint, dass Graffitikunst von der breiten Masse der Bevölkerung zusehends akzeptiert wird. Auf alle Fälle erhofft er sich von seinem Film dazu einen Beitrag. Dem Direktor des Museums Wiesbaden, Alexander Klar, der die Auffassung vertritt, Graffiti gehöre eher nach „draußen“, habe seinen Platz nicht unbedingt im Museum, hält Stefan Pohl entgegen, dass es sich bei Graffiti um eine flüchtige, vergängliche, Kunstform handele, die sehr wohl ins Museum gehöre. Graffitikunst existiere ja manchmal nur 2-3 Monate, sei auf alle Fälle vergänglich, während Kunst, die auf einer Leinwand festgehalten werde, immerhin etliche Generationen überdauere.

 

Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit stelle es kein Problem dar, Werke von Graffitikünstlern zu konservieren. Foto und Video/Film sind in der Szene selbstverständliche Praxis, um der Flüchtigkeit der Graffitikunst zu begegnen. Museen sind für Pohl ebenso wie Ausstellungen oder Messen geeignete Orte, um Graffitikunst z.B. in Fotoreihen einem speziellen Publikum zu präsentieren.

 

 

Meeting of Styles“

 

Beim Wiesbadener „Meeting Of Styles“ werden vom 11. bis 14. Juni 2015 ca. 130 Künstler aus über 70 Ländern auf 4000 m² Beispiele ihrer künstlerischen Arbeit ausstellen.

 

Stefan Pohls Film „Hello my name is - German Graffiti“ ist aus seiner Abschlussarbeit an der Fachhochschule Wiesbaden (Fachrichtung Kommunikationsdesign) entstanden. Er hat den Film weitestgehend allein produziert, weswegen es bis zur Weltpremiere im Februar 2015 etwas mehr als 5 Jahre dauerte, zumal junge Filmer kaum eine angemessene Unterstützung durch die Filmförderung erhalten. Stefan Pohl hat die Finanzierung seines Films nahezu allein gestemmt, musste deswegen die Arbeit daran immer wieder unterbrechen, weil er verschiedene Jobs annehmen musste, um seinen Lebensunterhalt zu sichern.

 

Ein empfehlenswerter Film! Er informiert künstlerisch überzeugend über ein kultur- und gesellschaftspolitisch höchst brisantes und aktuelles Thema.