Preisgekrönter experimenteller Dokumentarfilm in Wiesbaden: FilmBühne Caligari

 

Thomas Adamczak

 

Wiesbaden (Weltexpresso) - Was’ n Film! - Der Regisseur Nino Pezzella stellt in seinem Film „Femminielli“ vier Transfrauen vor, d.h. Personen, die sich entschieden haben, ihr „Hebammengeschlecht“ (biologisches Geschlecht) abzulegen und als Frauen zu leben.

 

In Neapel haben Transfrauen, die in der dortigen Kultur Femminielli heißen, eine Jahrhunderte alte Tradition, sind heutzutage aber nur mehr im dortigen Spanischen Viertel zu Hause. Ausgezeichnet wurde der Film mit dem Hessischen Filmpreis und dem Preis der deutschen Filmkritik.

 

Trans*ist ein zunehmend in der Mitte der Gesellschaft gebräuchlicher Sammelbegriff. Das Sternchen ist Platzhalter für verschiedene Endungen wie transgender, transsexuell oder transident (Quelle: Broschüre Trans* Inter* Queer ABC, TransInterQueer, s. auch: http://www.transinterqueer.org/).

 

In der TAZ vom 5.6.2015 werden in einem Artikel zu dem Thema Trans* die Titelseiten von VANITY FAIR, TIME, ELIXHER Magazine mit drei prominenten Trans*Personen abgebildet, der Ex-Sportlerin Caitlyn Jenner, der Schauspielerin Laverne Cox und der Autorin und Menschenrechtsaktivistin Janet Mack. Erinnerlich ist zudem nach wie vor der Auftritt der Kunstfigur Conchita Wurst, die 2014 mit Risse Linke a Phoenix den 59. Eurovision Song Contest in Kopenhagen gewann. Trans* ist also medial gesehen in, und der Film von Pezzella bietet einen weiteren, und zwar recht genauen und in positivem Sinne irritierenden Blick auf die Transgender-Welt.

 

In „Das wahre Geschlecht“ schreibt Michel Foucault: „Brauchen wir wirklich ein wahres Geschlecht? Mit einer Beharrlichkeit, die an Starrsinn grenzt, haben die Gesellschaften des Abendlandes dies bejaht. Hartnäckig haben sie diese Frage nach dem „wahren Geschlecht“ in einer Ordnung der Dinge ins Spiel gebracht, in der - wie man sich vorstellen könnte - allein die Realität der Körper und die Intensität der Lüste zählen.“

 

Die Erscheinung des zweideutigen und/oder doppelten Geschlechts ist ein Spiel mit Grenzen und Grenzüberschreitungen, auch Grenzverletzungen, und zwar bereits in antiken Mythen sowie unter anderem auch in den Verkleidungsspielen der Stücke Shakespeares, in denen männliche Schauspieler häufig Frauen darstellen, die andererseits Männer verkörpern: Spiel mit sexuellen Ein- und Zweideutigkeiten und ritueller Geschlechtertausch. Vor diesem skizzierten Hintergrund ist der Film des in Wiesbaden geborenen Filmemachers und Malers Nino Pezzella zu sehen.

 

Der Regisseur hat es sich nicht leicht gemacht, und er verlangt auch dem Publikum einiges ab. Das kündigt er selber vor der Vorführung am 5.6.2015 auf der FilmBühne Caligari an. Der Film sei für die Zuschauer anstrengend. Wie wahr!

 

Pezzella hat den Film im Zeitraum zwischen 2000 und 2013 gedreht. Er musste zunächst das Vertrauen der Protagonistinnen gewinnen, um sie bei möglichst vielen Gelegenheiten und in den unterschiedlichsten Situationen vor die Kamera zu bekommen. Und das ist ihm in hervorragender Weise gelungen.

 

Eine der vier Hauptpersonen des Films wird auf ihre Hochzeit vorbereitet, die alljährlich mit dem nämlichen Partner rituell vollzogen wird. Die Braut wird aufwendig geschminkt und sorgfältigst frisiert, in Großaufnahme. Und dabei versäumt sie es nicht, ihren im Sinne des Wortes offenherzigen Ausschnitt ausdrücklich zur Geltung zu bringen. „Glotzt ruhig“, sagen ihre Augen. Anschließend kommentiert sie diese minutenlang dauernde Szene. Mit jedem Lidstrich, jedem Gleiten des Kamms durch ihre Haarpracht fühle sie sich mehr als Frau. Später im Film bedankt sie sich, das Foto ihrer verstorbenen Mutter küssend, bei ihrer „Mama“. Glücklich sei sie, dass die Mutter sie so, wie sie ist, geschaffen habe.

 

Der Regisseur Pezzella betont in der Diskussion nach der Filmvorführung, er habe die vier Femminielli während der Dreharbeiten so wenig gesteuert wie möglich, aber er räumt ein, dass die Protagonistinnen wohl zwischen Spiel und Ernst changiert hätten, dass es ihnen manchmal um Gags gegangen sei, sie ihn möglicherweise mitunter auch „verarscht“ hätten. Als Zuschauer_in hat man diese Vermutung ebenfalls, wenn die Braut in einer Szene, als sie so lange ihren Rock hoch hebt, bis man sich Form und Farbe der Unterwäsche einprägen kann, den Regisseur direkt anspricht, ob es so recht sei. Spielen die Transfrauen den Zuschauer_innen etwas vor, was diese vermeintlich zu sehen erwarten, oder entspricht das, was sie vor der Kamera zeigen, ihrem inneren Kern und Selbstbild? Oder kurz gesagt: Spielen sie sich authentisch oder in ihrer Rolle als Femminielli? Jede Zuschauerin/jeder Zuschauer kann, das macht einen zusätzlichen Reiz des Films aus, für sich entscheiden, wie diese Frage in dem knapp 2-stündigen Film bei der Fülle der gezeigten Großaufnahmen zu beantworten ist.

 

Mit der gefakten Hochzeit soll übrigens an die Hochzeit zu Kanaan erinnert werden, auf der Jesus sich, sagt die Braut, ja köstlich amüsiert habe. Und um Amüsement geht es auch bei dieser gespielten neapolitanischen Hochzeit, bei der die Femminielli und ein neapolitanischer Sänger sich zum großen Vergnügen de zahlreichen Hochzeitsgäste zum Schein vermählen. Es wird gesungen, getanzt, von Herzen gelacht.

 

Eine andere Femminielli ist eine ältere um nicht zu sagen alte Person, die in ausgewählt auffälligen Frauengewändern durch die Gassen des Spanischen Viertels stolziert, mit den Leuten in den Gassen mehr oder weniger anzügliche Wortwechsel hat, sich bestaunen lässt und ihren Auftritt in vollen Zügen genießt. Diese Femminielli verkündet vom Fenster ihrer Wohnung lauthals hinunter in die Gasse, sie leide unter großen Schmerzen. Es handelt sich, erfährt man kurz danach, um Wehenschmerzen, und die Kamera zeigt tatsächlich diese Femminielli im Bett und die Geburt einer Puppe und kurz danach einer weiteren und noch einer, falls die Betrachter­­_ innen sich nicht satt sehen konnten oder nicht glauben wollen, was sie sehen.

 

Die Auszeichnungen hat der Film als experimenteller Dokumentarfilm bekommen. Neben dem Einblick in die Kultur der Femminielli wohl u.a. wegen der kunstvollen Montagetechnik. Der Film lebt vom Spannungsverhältnis zwischen den porträtierten Femminielli und aufmerksamen Kamerablicken in die Gassen der Altstadt, auf sich dort türmende Berge von Müll, auf Prozessionen zu Ehren der Jungfrau Maria. Mit harten Schnitten werden die Einstellungen unterbrochen, wechseln Blicke in Wohn- und Schlafzimmer und Blicke auf das öffentliche Leben im Viertel der Femminielli.

Ach, noch ein Detail neben den vielen anderen, die auch erwähnenswert wären, hier aber aus Platzgründen ausgespart werden müssen. Eine bislang noch nicht erwähnte Femminielli gerät mit einer Nachbarin in Streit. Es geht um Lottoscheine, also um Banales. Aus dem allmählich eskalierenden Wortgefecht entsteht eine handfeste Auseinandersetzung und plötzlich liegen beide Frauen miteinander ringend und gegenseitig in ihre Haare verkrallt auf dem Boden. Dabei fällt kein verletzendes, die Femminielli diskriminierender Satz, also kein Hieb unter die Gürtellinie.

 

Der Film hat seine Preise völlig zu Recht erhalten. Er bietet den Betrachter_ innen einen „neuen, erweiterten und überraschenden Blick auf die Transgender-Welt“, wie im Programmheft angekündigt.

 

Der Regisseur Pezzella hat mit seinem Werk einen Beitrag zur Gleichwertigkeit des Verschiedenen geleistet. Er zeigt beispielhaft den Reichtum möglicher Existenzweisen, ergreift damit Partei gegen den Ausschluss von Minderheiten und befürwortet, weiter gedacht, universelle Inklusion, indem er am Beispiel der Femminielli Zwangsidentifizierung negiert.