Alexander Payne auf dem Filmfest München vom 25. Juni bis 4. Juli

 

Claus Wecker

 

München (Weltexpresso) - Im Erzählen von Anekdoten sei er nicht so gut, sagt Alexander Payne auf die Frage zu den Dreharbeiten von SIDEWAYS. Das verwundert etwas, ist doch der Autor und Regisseur zweifacher Oscargewinner für das beste adaptierte Drehbuch (von eben jenem SIDEWAYS und von THE DESCENDANTS).

 

Der Amerikaner mit griechischen Wurzeln war in diesem Jahr Ehrengast des Münchner Filmfests, das ihm eine Retrospektive widmete. Zur guten Tradition des Festivals gehört eine Fragestunde mit dem Ehrengast in der Blackbox, einer Art Seminarraum im Gasteig. Dort beeindruckten in der Vergangenheit Regiegrößen wie etwa Roman Polanski oder... William Friedkin.

 

In diesem Jahr also Alexander Payne, den es nicht lange auf seinem Stuhl hielt. Den Blickkontakt mit Fragestellern aus dem Publikum suchend, ging er auf dem Podium umher und lieferte einen mit vielen ironischen Bemerkungen gewürzten Einblick in seine Art des Filmemachens. Etwa über das Verhältnis zu den Schauspielern. Ob es Probleme mit dem als schwierig verschrieenen Jack Nicholson (ABOUT SCHMIDT) oder mit dem Superstar George Clooney (THE DESCENDANTS) gegeben habe, wurde er gefragt. Nein, gerade diese beiden hätten sich absolut professionell verhalten.

 

Es sei wichtig, dass Schauspieler genaue Erklärungen und Anweisungen erhielten, damit bei ihnen keine Unsicherheiten aufkommen könnten. Dass es ein Vertrauensverhältnis geben muss, hört man allgemein, auch von Schauspielern, dass aber der Regisseur eigene Schwächen zeigen darf, wird schon seltener zugegeben. Autobiografisches findet sich bei Payne in einzelnen Szenen, von denen er aber keine nannte.

 

Interessant auch, dass er sich die Aufnahmen des Tages nicht anschaut. Wenn es an den Filmschnitt geht, will er das Material neu sichten. Zusammen mit seinem Stamm-Editor Kevin Tent können dabei neun (für THE DESCENDANTS) oder auch zwölf Monate (für ELECTION) vergehen. Sorgfalt hat ihren Preis. Und Payne liebt diese Zeit mit einem geregelten Tagesablauf und freien Abenden, im Gegensatz zu den stressigen, oft verrückten Dreharbeiten.

 

Er bezeichnet sich als Regisseur von Komödien. Das trifft gewiss auf sein Frühwerk zu. CARMEN, seine Arbeit zu Beginn des Filmstudiums, ist eine witzige Übertragung der Bizet-Oper an einen Tankstellen-Shop mit Zwischentiteln wie in einem Stummfilm. In seiner Diplomarbeit THE PASSION OF MARTIN sind bereits sämtliche Kennzeichen einer Payne-Komödie zu finden. Die radikal subjektive Sicht wird durch einen Kommentar (Voice over) unterstrichen, nicht nur die Hauptfigur, auch sämtliche anderen Figuren sind sehr gut eingeführt. Unmöglich, dass man in seinen Filmen die Übersicht verliert.

 

Paynes Heimat ist Omaha in Nebraska, und in der amerikanischen Provinz spielen auch die meisten seiner Filme. In CITIZEN RUTH gerät die grandios von Laura Dern gespielte schwangere Ruth zwischen die Fronten von Abtreibungsgegnern und –befürwortern. (Der Film macht sich glücklicherweise über beide Lager lustig.) ELECTION ist eine überdrehte Farce zum Thema Schulsprecherwahl. SIDEWAYS, der Kultfilm für Weinfreunde, in dem zwei Freunde, der eine feiert seinen Junggesellenabschied, der andere trauert seiner Freundin nach, die ihn gerade verlassen hat, eine Reihe unterhaltsamer Abenteuer erleben, ist eine Komödie mit melancholischen Momenten.

 

Doch schon bei ABOUT SCHMIDT, einem Roadmovie mit einem in den Ruhestand entlassenen Statistikfachmann (Nicholson), dessen Ehefrau gerade gestorben ist, und noch viel mehr bei dem am Ende immer tragischer werdenden THE DESCENDANTS, sind ernste Zweifel am Etikett Komödienregisseur angebracht. Matt King (Clooney), der Rechtsanwalt auf Hawai, dessen Frau nach einem Unfall im Koma liegt, muss zunächst seine beiden respektlosen Kinder in den Griff bekommen, das ist der witzige Teil. Am Ende aber, wenn King mit dem Seitensprung seiner Frau fertig werden muss und keine Hoffnung besteht, dass sie ohne Maschinen weiterleben wird, kann es der Film mit den großen Melodramen der Filmgeschichte aufnehmen.

 

Bleiben noch Paynes Episode zu PARIS, JE T’AIME mit Margo Martindale, der einsamen Amerikanerin im 14ten Arrondissement und ihrem in fürchterlichem Französisch gesprochenen Kommentar, und NEBRASKA, ein Roadmovie mit Bruce Dern, der als seniler Großvater einem Lotteriegewinn nachjagt. Beides im Grunde tieftraurige Figuren, bei denen einem das Lachen im Halse stecken bleibt.

 

All diese Personen und die Konstellationen, mit denen sie zurecht kommen müssen, erinnern an die Filme von Billy Wilder. Es scheint, dass Payne, der Bewunderer der großen Werke der Filmgeschichte, der schon in frühen Jahren mit einem 8mm-(nicht Super8-)Projektor begann, Filme zu sammeln, am meisten von diesem Filmautor (der allerdings mit Anekdoten zu glänzen pflegte) beeinflusst worden ist, nicht nur wegen der Voice-over-Vorliebe. Auch die ironische Fassade, hinter der sich viel Mitgefühl verbirgt, haben beide gemeinsam. Zu SIDEWAYS gab es übrigens noch eine Information: das Team hat lange daran gearbeitet, für den alkoholfreien “Wein“, der im Film getrunken wurde, die echt wirkende Farbe zu finden.