Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. Dezember 2015, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wer hätte das nicht schon mal gewollt: Gott sein oder sich doch zumindest gefragt, was man auf dieser Welt täte, verändern wollte, wenn man Gott wäre. Ob man an ihn glaubt oder nicht. Regisseur Jaco Van Dormael traut es sich, Gott zu sein in diesem belgisch-französischen Film, der eben auch zeigt, was die Aufklärung in Europa an menschlicher Phantasie in Gang setzen konnte.

 

Stellen wir uns das mal im Islam vor? Also konkret Allah in Brüssel in einer Mietwohnung in einem gesichtslosen Hochhaus. Mord- und Totschlag wäre die Folge. Wir wetten, daß kein Amtsträger der Katholischen oder Evangelischen Kirche an diesem Film Anstoß nimmt, der doch Gott so anstößig zeigt, weil einfach der Kontext klar ist: dieser Gott sagt etwas über die Menschen aus. Und wenn man früher Fabeln brauchte, um den Menschen ihr Verhalten durch die Blume deutlich zu machen, vor allem die Konsequenz des Handelns, dann ist heute angesichts so vieler animierten Tierfilme, die diese pädagogisch-gesellschaftliche Funktion zusätzlich übernehmen, interessant, für den Menschen einen neuen Symbolträger zu finden, diesmal in der Reihe der Hierarchie der lebendigen Wesen nach oben gerichtet: also Gott.

 

Damit wir das alles richtig verstehen, ist die Voraussetzung, daß dieser Gott eine Familie hat, eine Frau, die er nervt und eine Tochter namens Ea, die von ihrem uneinsichtigen Vater einfach genug hat – ja, richtig, dann taucht auch noch der Sohn auf. Wer das ist?

Der ältere Bruder von Ea, der JC genannt wird, ist natürlich Jesus Christus, der als Phantom auf der Erde herumwandert, aber materialisierbar ist, wenn die Schwester ihn braucht.

 

Wäre das alles nur so heruntererzählt, würde uns die Geschichte wahrscheinlich seltsam erscheinen. Aber Drehbuch (Thomas Gunzig) und Regie lassen uns alles aus den Augen, dem Herzen und den Sinnen von Tochter Ea sehen, so daß von Anfang an, das Schalten und Walten in diesem Film ganz natürlich erscheint.

 

Sie schaltet und sie waltet wirklich, diese Ea und reagiert damit auf den lustlosen und bösartigen Vater, der schon längst als Bieralkoholiker mit der Menschheit abgeschlossen hat und ihnen deren Leben vergällt, mit immer neuen Geboten und Gesetzen der menschlichen Art wie denen, daß das geschmierte Brot immer mit der Marmeladenseite auf den Boden fällt oder denen, daß, wenn etwas Schlimmes passiert, es immer noch schlimmer kommt, und auch das, daß in der Regel der Unfähigste zum Boß aufsteigt, gehört dazu. Schluß damit.

 

Nachdem wir göttliches Walten beim Gang der Giraffen durch das Jugendstil-Brüssel sehen durften, folgt abrupt diese merkwürdige Wohnung der göttlichen Familie, wo der Vater wie ein echter Pater familias den Haustyrannen gibt, mehr als lässig gekleidet, mit dem Bademantel und den Latschen angetan dazu. Ein echter Prolet und ein Schläger dazu. Benoit Poelvoorde ist als Ekel – früher Alfred – überzeugend, so daß wir zu Ea (Pili Groyne) halten, als die sich heimlich in den Menschwerdungsraum schleicht, wie man den großen Arbeitsraum des Gottes mit dem zentralen Weltenrechner nennen könnte.

 

Die Kleine ist pfiffig und hat schnell raus, wie sie an die Daten der derzeit auf der Welt lebenden Menschen kommt. Sollen die doch wissen, was auf sie zukommt, damit sie nicht immer so gläubig zu ihrem Vater um eine gute Zukunft beten. Als erstes teilt sie ihnen per Email mit, wann nach Gottes Plan ihr Todestag ist. Die Menschheit in Europa zumindest ist technisch auf dem Neuesten Stand und so bekommen wir mit, wie auf Smartphones, auf Tabletts und allen möglichen Datenträgern diese Nachricht das Leben der Betroffenen auf einen Schlag ändert. Das kann man sich ja noch gut vorstellen. Das Ganze dient dann aber einer so komischen wie sensationellen Folge von Bildern, wenn einer, der erst in 30 Jahren sterben soll, partout jetzt schon tot sein will, weshalb ihn auch der Sprung vom Dach nach unten rettet und nicht tötet, während derjenige, der pumperlgesund vor Leben strotzt unglücklich durch das Auto erwischt wird und mitten im Glück seines Lebens stirbt.

 

Damit aber nicht genug der Aktionen von EA am Rechner. Sie wird handgreiflich und mischt sich ein. Familie Gott wohnt zwar in Brüssel, aber das Oberhaupt hat Frau (Yolande Moreau) und Tochter strikt untersagt, die Welt zu betreten. Aber er hat nicht mit der Schlauheit der Frauen gerechnet, denn über die Waschmaschine kann man im Tunnel die Welt erblicken. Nicht nur ihr Licht, zu dem man durch die Waschmaschine im Waschsalon in Brüssel dann kommt.

 

Als Gott das durch seine Tochter angerichtete Desaster am Rechner erkennt, folgt er ihr auf dem Weg zur Erde, bleibt natürlich in der Waschmaschine stecken, bzw. wird beim Ankommen erst mal im Schongang mitgewaschen....Es gibt also genug slapstickartige Lachnummern, aber nicht darum ist der Film so sensationell. Das Eigentliche ist etwas ganz anderes. Daß er uns Menschen vorstellt, von denen man nach diesem Film noch träumt. Denn, weil die Mutter Baseball liebt, wo 18 Spieler dazugehören, soll Ea die zwölf Apostel um sechs aufstocken. Und da stocken wir jetzt, denn die Geschichten dieser sechs sind es, die uns nicht nur ans Herz gehen, sondern die echten Probleme dieser Welt in den Griff nehmen: Gewalt, Armut, Krankheit, Einsamkeit, Sucht, Sex.

 

Die Kombination zwischen Problemen und hinreißenden Lösungen, der satirische Witz und die vielen inszenatorischen Einfälle, die surrealen Situationen und die Befriedigung von Sehnsüchten ergeben eine Melange, die mit Leichtigkeit etwas Schweres und Schwieriges transportiert. Allein Catherine Deneuve mit ihrem Gorilla in Liebe vereint zu sehen, sagt mehr als viele Worte. Der Film sagt auch: Nutze die Zeit. Das Leben ist kurz.

 

Foto: Familie Gott in ihrer Wohnküche