Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. Juni 2016, Teil 2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Sagen wir es gleich. Uns hat dieser Film außerordentlich gut gefallen, dabei sprach zuerst eigentlich nichts dafür: schon wieder nach BAUERNOPFER ein zerrüttetes Schachgenie, schon wieder nach dem Auftritt von im Wettbewerb der Berlinale 2016 ein Familienfilm im Umfeld der M?ori. Gähn!


Aber das Gegenteil war der Fall. Und, was wir zudem erst danach erfuhren, beruht der im Original "The Dark Horse" betitelte Film auf der wahren Lebensgeschichte des ehemaligen māorischen Schach-Champions Genesis Potini (1963-2011, alt ist er nicht geworden). Vergessen wir Bobby Fischer und seinen aufregenden Kampf gegen die russische Übermacht sofort, denn bei Genesis Potini ( Cliff Curtis) handelt es sich erst einmal um das Ende einer Karriere. Der einst so erfolgreiche und richtig berühmte Maori – hier weiß man nicht, ob man schlicht Neuseeländer schreiben sollte oder, ob der erneute Hinweis auf Maori als ausgrenzend oder als positiv gilt – ist heruntergekommen, die Karriere schon lange vorbei, er selbst tief ins seine eigenen Psyche verwickelt, ob nur verwirrt oder ernsthaft psychiatrisch krank, können wir am Anfang nicht entscheiden. Wir sehen einen eher durch die Straßen in heftigem Regen taumelnden Mann, als einen, der weiß wohin er will und wozu er auf der Welt ist.

Später erfahren wir, daß er tief in seinen Depressionen steckt, immer wieder in der Psychiatrie landet, woher er auch gerade kommt,  und dies auch der Grund war, warum er nicht weiter Schach spielen konnte. Und ein Schachbrett ist es jetzt, das ihn beim Herumlaufen so bannt, daß er den Laden, in dem es steht, flugs und naß dazu betritt. Kein Wunder, daß es den Ladeninhaber schaudert. Denn Genesis Potini sieht aus, wie man sich den letzten Insassen von Einer flog übers Kuckucksnest vorstellt: ziemlich haarlos und auch ziemlich zahnlos, aufgedunsen und vierschrötig ungelenkt, irgendwie unschön, in eine Decke ge- und in Selbstgespräche verwickelt. Niemand, nach dessen Gegenwart man sich sehnt, eher einer, den man meidet.

So ginge es auch seinem Bruder. Und hier stutzt man erst mal. Denn die Brüder von gescheiterten Helden sind in der Regel die Saubermänner, diejenigen, die es im bürgerlichen Leben weit gebracht haben, mit angesehenem Beruf und Vorzeigefamilie. Doch Bruder Ariki ist wohl Anführer einer Biker-Gang, die es sich bei ihm zu Hause gemütlich macht in Bierrunden und dummen Herumgesitze mit entsprechenden Sprüchen. Das gilt als traditionell māorisch. Als er nun als einzige Chance für seinen Bruder entscheiden muß, ob dieser – längst ist die psychiatrische Krankheit als bipolare Störung identifiziert und Genesis war immer wieder in der Psychiatrie festgesetzt – wieder in die Geschlossenen einziehen muß oder bei ihm zu Hause wohnen darf, da läßt er - irgendwie gegen seine eigene Meinung - den Bruder bei sich wohnen.

Diese Szenen, wo sich Genesis so was von unwohl in dieser Trinkergemeinschaft von Männern und Männergehabe fühlt, gehen einem unter die Haut, genauso wie das latente Bündnis, das der gegen seinen Vater Ariki opponierende 14jährige Sohn Mana mit seinem Onkel eingeht. Denn längst hat er die Angebote von Genesis, Schachspielen zu lernen, aufgegriffen und Spaß daran – und nicht nur er. Tatsächlich gilt Genesis' Angebot, all den orientierungslosen und aus armen Verhältnissen stammenden Jugendlichen das Schachspielen beizubringen,  mit ihnen zu üben und  an dem Wettbewerb in der Hauptstadt teilzunehmen, für alle. Durch das Schachspiel können sich die Jugendlichen nicht nur stabilisieren, sondern ein Selbstwertgefühl entwickeln, das nötig ist, wollen sie nicht den vorgegebenen Weg, meist den in die Kriminalität, gehen.

Zwar könnte man einwenden, daß diese Geschichte vom sozialen und psychiatrisch geschlagenen Außenseiter, der durch Hilfe zur Selbsthilfe für andere Benachteiligte sich selbst aus dem Sumpf zieht und die anderen gleich mit, sei doch zu stereotyp, was ja grundsätzlich stimmt. Hier jedoch wird durch das Spiel des Hauptdarstellers und die so ungewöhnliche personelle Konstellation bei den Māori, alles neu und originell.