Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. Juni 2016, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Einen Film zu beurteilen, der schlicht LOU ANDREAS-SALOMÉ heißt, was auf eine Biographie dieser außergewöhnlichen Frau schließen läßt, die man aufgrund ihrer Romane und Lebensbeschreibungen selber richtig gut kennt, ist immer schwierig.
Noch viel schwieriger wird es aber, wenn sich diese Frau sowohl in ihrem Leben wie auch im Film, der völlig richtig dem Leben folgt, wenn diese Frau sich immer über Männer definiert. Männer, die Friedrich Nietzsche, Paul Rée, Rainer Maria Rilke, Friedrich Carl Andreas oder Sigmund Freund heißen. Es ist nicht Lou Andreas-Salomé selbst, die dieses Sich-über-Männer-Definieren in Gang gesetzt hat, es ist ihr Leben, das die anderen dazu verleitet, diese ungewöhnliche Frau durch diese Männer zu spiegeln.
Dabei ist Lou Andreas-Salomé (1861-1937), wenn man es deutlich sagt, im Kern immer dieselbe geblieben, eine aufgeweckte, neugierige, in sich stabile Person, in der sich persönlicher Rückzug genauso einfand wie extrovertiertes Verhalten, Wissenschaft und Poesie sich die Waage hielten, Unterwegs sein mit Zuhausebleiben gleich gewünscht und verwirklicht. Eine anspruchsvolle Gemengelage.
Cordula Kablitz-Post, der Lou Andreas-Salomé wirklich am Herzen liegt, denn sie hat das Drehbuch mitverfaßt, führt Regie und ist außerdem Produzentin, macht in dieser Situation erst einmal alles richtig: sie fängt ganz klein, sie fängt mit den Jugendjahren (Liv Lisa Fries) in Sankt Petersburg an. Das ist nicht ganz richtig erzählt, denn eigentlich fängt der Film mit ihrem körperlichen Verfall an, mit den Jahren, wo ihr als über Siebzigjährige (Nicole Heesters) alles entgleitet, das Papier in der Hand genauso wie der Gedanke im Kopf. Sie konzentriert sich aber und findet sich in ihren alten Emotionen wieder, wenn der junge Germanist Ernst Pfeiffer (Matthias Lier) sie in ihrem großen Wohnhaus in Göttingen 1933 besucht – eigentlich seiner Schreibhemmungen wegen, die er bei ihr, der Psychoanalytikerin los werden will - und dann die Idee des Aufschreibens ihrer Lebenserinnerungen Gestalt gewinnt.
Es sind also die Rückblenden, die ihre Berechtigungen durch die für das Niederschreiben der Erinnerungen notwendigen Bilder im Kopf der Lou Andreas-Salomé erhalten, Bilder, die wir dann als Film auf der Leinwand sehen. So einsichtsvoll und sinnvoll das ist, wohnt einer derartigen Konstruktion doch immer auch leicht eine Ermüdung inne, weil man ein immer wiederkehrendes Schema erkennt. Aber das ist überhaupt kein Einwand gegen diesen Film, über den wir froh sind, daß es ihn gibt, denn er ist gut geeignet ein Wissen um diese außergewöhnliche Frau für diejenigen in Gang zu setzen, die nicht die intensive Beschäftigung mit ihr in den feministischen und aufklärerischen 70/80er Jahren durchlebt haben.
Mit 16 Jahren erlebt sie zu Hause in Sankt Petersburg ihre Erweckung, was im Film durch ein zu Boden schwebendes beschriebenes Blatt und ihren Aufschrei charakterisiert wird: ihr wird klar, daß einer Frau an der Seite eines Mannes, sei es als Geliebte oder Ehefrau, niemals ein selbstbestimmtes Leben mit grundsätzlicher Autonomie möglich ist. Anders als ihren fünf Brüdern. Die Konsequenz ist klar: die Liebe meiden und soviel lernen und erfahren, wie nur geht. Das wird verstärkt, als ihr Lehrer und Pfarrer sich in sie verliebt und ihretwegen scheiden lassen will. Nur nicht.
Sie studiert die Philosophen, sie liest die Autoren, sie schreibt sich mit Kapazitäten der Zeit und sie (nun Katharina Lorenz) geht dort hin, wo damals eine der wenigen Möglichkeiten für Frauen bestand, zu studieren, nach Zürich. Das wird auch der Ausweg für Rosa Luxemburg, auch für Ricarda Huch und so viele andere Frauen sein, daß man sich wirklich mal einen Film wünscht, der das Frauenstudium in Zürich zum Thema hat. Sie studiert Religionswissenschaften und Philosophie, aber dies so heftig, daß ihre Gesundheit leidet und sie sich unter südlicher Sonne in Rom erholen soll. Sie wird in den Salon der Frauenrechtlerin Malwida von Meysenbug eingeführt, wo sie sowohl Paul Rée, Rechtsgelehrter und Philosoph wie auch Friedrich Nietzsche kennenlernt. Ja, sie ist auch schön, das erhöht ihre Attraktivität, die aber durch ihren Geist in Gang gesetzt wird. Kurz gesagt, sowohl Rée wie auch Nietzsche machen ihr einen Heiratsantrag wie so mancher Mann danach. Sie beißen auf Granit. Sie schlägt ihnen Freundschaft vor, was nur einige Zeit gut geht.
Auch wer wenig über die Person und das Leben der Lou Andreas-Salomé weiß, kennt hoffentlich dieses verrückt Foto aus Sils Maria, wo die drei die Geschlechterfrage und auch das Zitat von Nietzsche „Wenn Du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht“ persiflieren. Sie sitzt im Wagen, den die beiden Männer ziehen und hält die Peitsche.
Ach was, und während ich an dieser Filmbesprechung sitze, wird die Erinnerung an die Lektüre von vor Jahrzehnten so übermächtig, daß ich die Bücher über Lou-Andreas Salomé hervorhole und erst einmal vor dem Weiterschreiben stöbern will. Immerhin sind es acht Bücher! Fortsetzung folgt.