Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. Juni 2016, Teil 5

Filmheft

Frankfurt am Main (Weltexpresso) –Daß dieser Film durch die deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) mit dem Prädikat BESONDERS WERTVOLL ausgezeichnet wurde, sollte man auch noch erwähnen. Nachdem ich mich nun so ausführlich mit den Werken von und über diese starke Persönlichkeit beschäftigt hatte, fiel mir die Qualität des Presseheftes auf, das es leider immer weniger zu den Pressevorführungen gibt, weshalb wir dieses ausdrücklich loben wollen und die Aussagen über die Produktion hier in zwei Artikeln veröffentlichen wollen. Claudia Schulmerich



Lou Andreas-Salomé: Eine faszinierende und inspirierende Frau


Auf der Suche nach weiblichen Rollenmodellen stieß Cordula Kablitz-Post schon als Teenager auf eine Biografie der Schriftstellerin, Philosophin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé: „Es hat mich damals sehr überrascht und auch beeindruckt, dass eine Frau schon in dieser Zeit so freiheitsliebend
und eigenständig leben konnte.“

Von dieser frühen Faszination war es ein langer Weg bis zur Umsetzung ihres anspruchsvollen Spielfilmprojekts. Als die Autorin und Regisseurin 2010 mit einer englischen Drehbuchautorin über mögliche Projekte sprach, brachte diese ihren Namen ins Spiel, ein Zeichen, dass Lou Andreas-Salomé auch international relevant war. Im Zusammenhang mit dem anstehenden 150. Geburtstag von Salomé 2011 begann Kablitz-Post zu recherchieren und stellte dabei erstaunt fest, dass es noch keinen Film über diese Frau gibt, die so viele berühmte Männer und Frauen ihrer Zeit in ihren Banngezogen hat. Der ursprüngliche Plan, dieses Leben in Form einer Dokumentation zu fassen, scheiterte am Fehlen von historischem Filmmaterial: „Obwohl sie erst 1937 gestorben ist, gibt es keine
Interviews mit ihr, nirgendwo ist ihre Stimme zu hören“, erinnert sich Cordula Kablitz-Post.

Sie ist eine wichtige Figur der Zeitgeschichte, die rätselhafterweise in Vergessenheit geraten ist, was wohl viel damit zu tun hat, dass Lou Andreas-Salomé mit ihrem jüdischen Background in der Nazizeit bewusst sehr zurückgezogen lebte. Ihre Blütezeit dauerte bis zum ersten Weltkrieg, als sie viel reiste, eine Fülle von Affären hatte und unter anderem in Wien als skandalöse Femme Fatale galt, die etwa auch in Florian Illies Roman „1913: Der Sommer des Jahrhunderts“ sehr häufig erwähnt wird. Als sie in den Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts die Psychoanalyse für sich entdeckte und dann auch praktizierte, hat sie sich immer stärker zurückgezogen. Alternativ entstand die Idee, den Stoff in Form einer Dokufiction aufzubereiten, als Helge Sasse, damals Geschäftsführer bei Senator Film, den entscheidenden Anstoß gab, stattdessen einen aufwendigen Kinofilm zu machen. Zur Unterstützung holte sich die Regisseurin und Produzentin die Drehbuchautorin Susanne Hertel. Gemeinsam entwickelten sie über vier Jahre hinweg das Drehbuch, während parallel der langwierige Prozess der Finanzierung durch verschiedene Länderförderungen in Deutschland, Österreich und Italien begann.



Realität und Fiktion


Eine der großen Herausforderungen lag darin, eine filmische Schneise durch das schillernde und bewegte Leben von Lou Andreas-Salomé zu schlagen, mit dem sich leicht zehn Stunden füllen ließen. Unerwähnt bleiben unter anderem Gerhart Hauptmann, der sehr in sie verliebt war, oder Frank Wedekind, der ihr das Theaterstück „Loulou“ gewidmet hat. In ihrer Auswahl orientierten sich Hertel und Kablitz-Post an den Lebenserinnerungen, die Lou Andreas-Salomé am Ende ihres Lebens selbst verfasst hatte. Dieser Prozess der Erinnerung und Rekapitulation fungiert im Film als Rahmenhandlung und dient zugleich als Startrampe für persönliche Erinnerungsrückblenden, die sie nicht in ihr Buch aufnehmen wollte: „Seit wann enthalten Biografien die ungeschönte Wahrheit?“ sagt Lou einmal im Film: „Was mich gereizt hat, war herauszufinden, wer diese Frau, die so ein Mysterium um sich aufgebaut hat, eigentlich wirklich war?“, erläutert Cordula Kablitz-Post. „Dinge, die ihr nicht so lieb waren, hat sie verschwiegen, etwa die fast zehn Jahre andauernde Liebesgeschichte mit dem Wiener Arzt Dr. Friedrich Pineles, genannt Zemek, von dem sie sogar ein Kind erwartete. Einerseits gibt es die öffentliche Präsentation ihres Lebens über die Biografie, die sie
Ernst Pfeiffer erzählt. Darüber hinaus gibt es aber auch noch eine Rückblendenebene, in der ihre Gedanken abschweifen: Da kommen Dinge herein, die tatsächlich passiert sind, die sie selbst unterschlagen hat und wir aber recherchiert haben.“

Durch die vielen Filmportraits, die Cordula Kablitz-Post im Laufe der Jahre unter anderem über Nina Hagen, Helmut Berger, Wolfgang Joop und Mickey Rourke gedreht hat, hat sie ein gutes Gespür dafür, wie sich Lebensläufe filmisch verdichten lassen: „In Biografien muss man sich immer entscheiden, unter welchem Fokus man ein Leben erzählt. Was sind die entscheidenden Aussagen, in denen sich ein Leben bündelt? Wo gibt es Brüche? Entwicklungen? Bei Lou war das für mich vor allem dieses Freiheitsthema. Freiheit ging ihr über alles, darum wollte sie sich mit Männern und Beziehungen nicht festlegen, was Frauen ja leicht als Egoismus ausgelegt wird. Freud hat sie später sogar im klinischen Sinne als Narziss bezeichnet: All das hat sie aushalten müssen, und hat trotzdem so gelebt, weil sie gar nicht anders konnte. Ihr Leben und ihr Denken kreisen immer wieder darum, wie man Freiheit gegen gesellschaftliche Konventionen leben kann und wie Freiheit und Liebe zusammengehen.“

Die Fülle dieses Lebens machte zeitliche Verdichtungen unerlässlich, dennoch lag die oberste Priorität dieses Projekts in der Authentizität. Manche Szenen, die nicht genau überliefert sind, mussten mit Leben gefüllt werden: „Wir wissen nicht ob sie als Kind gerne auf Bäume geklettert ist oder ob sie tatsächlich mit Nietzsche gebadet hat. Aber wir wissen, dass sie sich als Kind unter ihren fünf Brüdern sehr einsam gefühlt hat und dass Nietzsche unsterblich in sie verliebt und nie so beschwingt und ausgelassen war wie in der Zeit mit ihr. Wir haben versucht, möglichst viele Originalzitate einzubauen und wirklich gut zu recherchieren. So ist etwa auch die Geschichte mit dem Knallbonbon, die sie später bei Freud auf der Couch erzählt, tatsächlich überliefert.“

Der Übergang von den Dokumentarfilmprojekten zum Spielfilmdebüt verlief für Kablitz-Post fließend. Sie war Produzentin des preisgekrönten Spielfims  SOPHIIIIE! und hat seit ihrer Studienzeit an vielen Spielfilmarbeiten mitgewirkt. Sie war anfangs in Produktionen für Script und Continuity zuständig, hat als Regieassistentin bei DER PASSAGIER - WELCOME TO GERMANY (1988) von Thomas Brasch mit Tony Curtis mitgewirkt und war Regisseurin diverser Kurzfilme und Musikclips: „In meinen Augen wird die Erfahrung, die man in Dokumentarfilmen macht, unterschätzt. Man lernt sehr viel über Improvisation und muss dennoch immer einen Überblick und ein Konzept haben, gerade weil Dokumentarfilme mehr im Schnitt entstehen als Spielfilme. Dadurch wusste ich, was ich brauche, kenne aber auch die Set-Abläufe und war mit der Psychologie im Team vertraut.“ Fortsetzung folgt