Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. Juni 2016, Teil 6

Filmheft

Frankfurt am Main (Weltexpresso) –Eine große Herausforderung lag darin, mit einem relativ begrenzten Budget von 2,26 Millionen Euro einen historischen Film zu drehen, der trotzdem lebendig wirkt und gut aussieht. „Mit einem Kammerspiel würde man diesem Leben, das so schillernd an so vielen verschiedenen Orten stattgefunden hat, nicht gerecht“, räumt REgisseurin Kablitz-Post ein.

 

„Normalerweise würde man an den heutigen Orten drehen, alles rausretuschieren was modern ist und durch Matte Paintings ersetzen. Da wir sehr viele verschiedene Drehorte in Berlin, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Wien und Südtirol hatten, wäre das viel zu teuer geworden.“ Da bewährte es sich, dass der österreichische Ausstatter Nikolai Ritter sehr viel Erfahrung mit historischen Filmen hatte. Zusammen mit der Stuttgarter Firma Mackevision entwickelten die Regisseurin und er die Idee, aus historischen Postkarten eine zweidimensionale Kulissenwelt zu erschaffen, durch die sich Lou Salomé als lebendige, junge Frau aus Fleisch und Blut bewegt. „Die Postkarten kamen schon im Drehbuch vor, immer wenn die alte Lou Salomé in ihrer Kiste voller Erinnerungen stöbert“, erinnert sich Kablitz-Post. „Wenn sich diese moderne Frau jetzt bei uns in der historischen Postkartenkulisse bewegt, ist das auch ein schönes Bild dafür, dass Lou aus der Zeit gefallen ist. Im Grunde war sie ihrer Zeit 100 Jahre voraus.“

Darüber hinaus wurden die meisten Motive bewusst daraufhin ausgewählt, wo es die wenigsten Hinweise auf Zivilisation von heute gibt. Bei vielen Naturmotiven wie der Bergwanderung, waren nur kleinere Retuschen nötig. Zum Teil bedeutete es aber auch, dass Kameramann und Schauspieler
eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten hatten, um das moderne Umfeld nicht preiszugeben.



Besetzung


Sehr früh hatte sich Cordula Kablitz-Post entschlossen bei der Besetzung weniger auf berühmte Namen zu setzen: „Sehr bekannte Gesichter überstrahlen die Figur, um die es eigentlich geht, leicht mit ihrer Präsenz. Man nimmt vor allem den Schauspieler wahr. Ich wollte, dass der Zuschauer die Möglichkeit hat, diese Frau ganz unmittelbar und authentisch wahrzunehmen.“ Von Anfang an standen viele Theaterschauspieler auf der Besetzungsliste: „Ich schätze die Sorgfalt, mit der sie sich ihre Rollen über einen langen Zeitraum hinweg sehr tiefgründig erarbeiten.“ Entsprechend setzte die Regisseurin auch luxuriöse sieben Probentage durch, um schwierige und wichtige Szenen mit den Schauspielern vorzubereiten. „Ich wollte vor allem richtig gute Schauspieler, denen man glaubt, dass sie das wirklich sind. Da schlägt sicher meine dokumentarische Erfahrung durch. Ich wollte so authentisch wie möglich arbeiten, um dieser Person Lou wirklich gerecht zu werden und die Faszination, die ich empfunden habe, überspringen zu lassen.“

Der Vorschlag, die mittlere Lou mit Katharina Lorenz zu besetzen kam noch von der inzwischen pensionierten Casting-Agentin Sigrid Emmerich, mit der Cordula Kablitz-Post schon als Produzentin bei SOPHIIIIE! von Michael Hofmann zusammengearbeitet hatte. Als Katharina Lorenz vor sechs Jahren für die Rolle ins Gespräch kam, war sie noch eine weitgehend unbekannte Schauspielerin, die gerade ein Engagement am Burgtheater übernommen hatte und mit Nebenrollen in Kinofilmen und Fernsehproduktionen kaum aufgefallen war: „Mir gefiel ihre Präsenz, das Leichte, das bei ihr auch mitschwingt. Unter Lous starker und manchmal spröder Hülle macht sie eine verletzliche und warmherzige Frau spürbar, ebenso wie die verdeckte Leidenschaft, die da immer wieder aufblitzt.
Katharina Lorenz war von Anfang an dabei und ist in der langen Zeit der Entwicklung in die Rolle reingewachsen.“ Während eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit den realen Vorbildern bestehen musste, lag das besondere Augenmerk darauf, dass die Schauspieler ihre Rollen innerlich tragen. Bei der Besetzung der drei Lebensalter von Lou Andreas-Salomé war zudem wichtig, dass Liv Lisa Fries, Katharina Lorenz und Nicole Heesters glaubwürdig zu einer Persönlichkeit verschmolzen, sowohl in ihrer äußeren Erscheinung wie in ihrer inneren Strahlkraft.

Eine weitere Herausforderung war die Besetzung der vielen berühmten Persönlichkeiten, von denen jeder Zuschauer ein Bild im Kopf hat, die hier aber auch oft von einer weniger bekannten Seite gezeigt werden. Anja Dihrberg, die das Casting übernahm, hatte Julius Feldmeier in TORE TANZT gesehen und für die Rolle des jungen Rilke vorgeschlagen: „Das war schwer zu besetzen, weil er ja auch diesen Hang zum Wahnsinn hat“, rekapituliert Kablitz-Post. „Bei Nietzsche hingegen war mir wichtig, auch die Leidenschaft zu zeigen, die man sonst vielleicht eher nicht mit ihm verbindet, ihn nicht so behäbig und ernst zu zeigen, sondern als jungen Mann, der in dieser Phase inspiriert durch Lou lebenslustig und leidenschaftlich war. Auf Alexander Scheer als Nietzsche bin ich gekommen,
weil er ein Schauspieler ist, der Ecken und Kanten hat und sich an Extreme heranwagt. Harald Schrott schätze ich als sehr wandelbaren Schauspieler, der hier ja nicht den Klischee-Freud der späten Jahre spielt, denn als er Lou kennenlernte, war er noch 20 Jahre jünger.“



Ganz nah dran: Kamera und Musik


Von vornherein war klar, dass auch der Look des Films so authentisch wie möglich sein sollte: „Unser Anspruch war, Lou Andreas-Salomé schon mit der Kameraarbeit eine moderne Nähe und Unmittelbarkeit zu geben“, erzählt der Kameramann Matthias Schellenberg, der nicht zuletzt wegen seiner Dokumentarfilmerfahrungen ausgewählt wurde. Statt mit Kranfahrten und Stativaufnahmen historische Distanz herzustellen, ging er mit der Handkamera immer ganz nah ran und gab den Schauspielern in langen Einstellungen Raum sich zu entfalten. Statt auf klassisch historische Weise mit nostalgischen Sepiafarbtönen zu arbeiten, setzte er auf eine farbenfrohe Helligkeit, die dem Film eine ungewohnte Leichtigkeit verleiht: „Auf diese Weise bekommt der Film eine ungezwungene Natürlichkeit, die ihn besonders macht“, erläutert Schellenberg. „Das ist eine Atmosphäre, in der man sich wohlfühlt.“

Lediglich die Aufnahmen in dem Göttinger Haus, in dem Lou ihre letzten Jahre verbringt, sind statischer und in entsättigten Farben gehalten.

Ein weiterer Aspekt, um den Zuschauer ganz direkt in die Wahrnehmung von Lou Andreas-Salomé zu holen, ist die von Judit Varga komponierte Musik: „Wir haben uns ganz bewusst gegen eine kommentierende Musik entschieden“, erklärt Kablitz-Post. „Sie sollte eher wie eine innere Stimme von Lou wirken, mit der man in ihre Welt eintaucht, also auch kein bombastisches großes Orchester, sondern nur Klavier und Streicher.“

Die Strahlkraft von Lou Andreas-Salomé im Zeitalter der Quotendebatte „Lou Andreas-Salomé würde sich auch heute vor keinen Karren spannen lassen. Ihr ging es immer um ihre eigene Freiheit“, meint Cordula Kablitz-Post. „In ihrer Zeit wurde sie fast als Verrückte angesehen, weil sie so anders gelebt hat, völlig jenseits der gesellschaftlichen Moralvorstellungen ihrer Zeit. Sie galt als skandalös, weil sie sich wirklich nicht darum gekümmert hat, was andere über sie denken. Sie hat es einfach gemacht. Würde sie uns heute etwas zurufen, dann: Geh deinen Weg, sei du selbst und werde die, die du bist!“

 

Foto:

Während die anderen Filmfotos Katharina Lorenz zeigen, weil sie den Hauptteil des Films einnimmt und ihr Gesicht den Film prägt, kommt hier die ältere Lou mit Nicole Heesters  zu ihrem Recht, denn sie gibt in ihren Gesprächen mit Ernst Pfeiffer in ihrem Haus in Göttingen dem Film den Rahmen.