Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. Juli 2016, Teil 1

Hannah Wölfel

Berlin (Weltexpresso) - Heiligabend in Los Angeles. Zwei schrille dunkelhäutige Weiber kreischen herum, fallen sich in die Arme, feiern lautstark ihr Wiedersehen. Beide sind transsexuelle Prostituierte, die eine, Sin-De (Kitana Kiki Rodriguez) war einen Monat lang im Knast.

 

Ihr Zuhälter Chester (James Ransone) habe sie mit „einer echten weißen Möse“ betrogen, erzählt Freundin und Kollegin Alexandra (Mya Taylor). Die Transsexuelle ist außer sich vor Wut, will Rache nehmen und schreit im coolen Slang: „Ich bin echter als echt, eye, ich hab’ auch ’ne Möse wenn ich mir die Eier wegklemme.“ Parallel erfahren die Zuschauer die Erlebnisse des armenischen Taxifahrers Razmik, dem das Auto vollgekotzt oder sonst wie der Job schwer gemacht wird. Er ist verheiratet, hat eine kleine Tochter, liebt aber den Sex mit den transsexuellen Weibern der 17. Straße. Als er schnelle Liebe in der Waschanlage machen will, entpuppt sich die Transe als „Pussy“ und er ist entsetzt, weil sie nichts in der Hose hat.


Wütend streift Sin-De in glühender Hitze durch die Boulevards in LA, bis sie endlich, zu dramatischer Opernmusik, Chesters Adresse bekommt. Die Musik geht in Hip Hop über, die Rächerin rast mit dem Bus durch die Stadt und erwischt endlich die „weiße Möse“, ein dünnes verhärmtes Ding. Im Donut Shop treffen sie dann irgendwann alle aufeinander, die runden sinnlichen transsexuellen Huren, Chester, der coole Zuhälter, die mickrige Konkurrentin. Schließlich kommt noch der geile Razmik, der es Heiligabend zuhause nicht aushält, seine Schwiegermutter, die ihn zur Rede stellen will - und schließlich auch seine schöne junge Frau mit dem Baby, die längst alles weiß...


Der bekannte Independent Filmer Sean Baker hat den Streifen mit dem I-Phone 6 gedreht, aber natürlich im Studio professionell nachbearbeitet. Dadurch wirkt diese Tragikomödie mit ihren warm-blassen Farben wie ein authentischer 70er-Jahre-Film mit dennoch, manchmal atemberaubenden Bildern: Die Liebe in der Waschstraße wird in voller Länge mit nur einer einzigen Kameraeinstellung auf die Frontscheibe vom Hintersitz aus gezeigt. Sinn-De ruht mal kurz in einem Café aus, während riesige Augen (der Werbung auf einem Bus), sie eine Zeitlang anschauen und verschwinden...


Tangerine L.A. ist ein durchgehend schräges Subkulturdrama, die Menschen kämpfen um ihre Würde, ihre sexuelle Freiheit - aber auch um ihr kleines Glück. Als Zuschauerin fühlt man sich angesichts der vielen schrägen Menschen lange Zeit ganz spießig, doch irgendwann kommen einem die Kämpfe und Verwundungen der Beteiligten sehr bekannt vor. Auch diese aufgedrehten und nonkonformistischen Menschen erhoffen sich, gesehen und geliebt zu werden. Tangerine LA ist ein bizarrer und doch melancholischer Film, der am Weihnachtstag tief in die Seelen der gezeigten Menschen eintaucht, sehr fein beobachtet und letztlich mitten unter uns „normalen“ Menschen endet.

Ein cooler und doch bewegender Film aus der Subkultur transsexueller Huren.

 

Foto: Verleih

Info:
„Tangerine LA“, USA 1915, 88 Minuten, ab 16 Jahre. Englisch mit deutschen Untertiteln. Filmstart 7. Juli
Regie Sean Baker mit den echten Transsexuellen Kitana Kiki Rodriguez und Mya Taylor sowie James Ransone und anderen.
Trailer: http://www.tangerine-la.de/trailer.html