von Lida Bach

 

„Elise, sag mir wenn du Probleme hast.“, bittet die Lehrerin das junge Mädchen, das ihr ganz allein im Klassenraum gegenüber sitzt. Elise sagt es, aber nicht wie es ist. Sagt, sie müsse nur mehr lernen, weiter nichts. Nichts davon, dass sie Probleme hat, denn sonst bekäme die verschlossene 15-Jährige (Jasna Fritzi Bauer) noch mehr. „Elise, sag deiner Mutter, sie kann jederzeit kommen.“ Elise sagt es ihrer Mutter. Zum hundertsten, tausendsten, hunderttausenden Mal? Dass Elternabend ist, die Miete überfällig, der Feierlärm sie beim Üben stört. Aber Betty (Christina Große) hört nicht hin und hört nicht auf. Nicht mit der Verschwendung und den Parties, vor allem nicht mit dem Trinken.

 

 

„Wenn Papa das sehen könnte.“, mahnt Elise die zwischen volltrunkener Obszönität und Apathie hin und her driftenden Mutter. Kann er aber nicht. Das weiß Betty, die ihre Tochter mit dem dahingesagten Satz verhöhnt, und das weiß Elise. Ihr Vater ist tot und das Klavier, das er ihr hinterlassen hat, wenig später Pfandgabe für Bettys Schulden. „Elise, es ist in deinem eigenen Interesse.“, beharrt die Lehrerin vergeblich gegenüber der in sich gekehrten Jugendlichen. Ihre eigenen Interessen vermag Elise nur noch auf aggressive Art gegen Bettys zügellosen Egoismus zu verteidigen, indem sie handgreiflich oder verbal taktiert. Die besorgten Worte der Lehrerin und der besorgten Tanten Gisela (Annekathrin Bürger) und Helga (Marie Anne Fliegel) dringen zu der abweisende Titelfigur der Filmpartitur, die Wolfgang Dinslage auf der Gefühlsklaviatur seiner Protagonisten anstimmt, nicht durch.

 

Das gelingt nur klassischer Musik, die Elise auf ihrem Klavier spielt – bis auf das Stück, dem die eigensinnige Heldin und das verhalten komponierte Kinodebüt den Namen verdanken: „Für Elise“. Der Titel birgt mehr als eine dezente Hommage des Regisseurs an seine Hauptfigur. In dem bekannten Klavierstück klingen die psychologischen Bande an, die zwischen den Handelnden ein riskantes Beziehungsgeflecht spannen. Zwischen Mutter und Tochter gärt ein abwechselnd in verkappten Sticheleien und offener Gehässigkeit ausgetragener Konflikt, um den der Plot in ähnlich zermürbender Hartnäckigkeit kreist wie das zentrale Figurenpaar. Zwischen das den anderen für dessen gefühlte Abhängigkeit hassende Gespann von verantwortungsloser Mutter und geplagter Tochter tritt mit dem geschiedenen Radiomoderator Ludwig (Hendrik Duryn) eine amouröse Gemeinsamkeit, die Elise und Betty alle anderen vergessen macht. In der äußeren Gegensätzlichkeit liegt der Schlüssel der psychischen Parallelen der aneinander in Hass-Liebe gefesselten Frauen.

 

Wie die verlebte Betty wirkt Elise aufgrund ihrer Frühreife älter, als sie ist, reagiert hochemotional und zögert sie das Annehmen fremder Unterstützung hinaus bis es zum endgültigen Zusammenbruch. Dass in dieser familiären Extremsituation der äußerlich gefestigt wirkende Radiomoderator Ludwig (Hendrik Duryn) nur trügerische Schutzflucht bietet, realisieren beide erst nach einer demütigenden Lektion in emotionaler Unbeherrschtheit. In der Rolle romantischer Konkurrentinnen gehen die nach dem Tod von Elises Vater jede in ihrer privaten Einsamkeitshölle abgeschotteten Protagonistinnen auf, ohne die Absurdität ihres Duells zu realisieren. Die penetrante Anmache und vulgäre Zudringlichkeit Bettys erträgt Ludwig nur, um Elise näher zu kommen. Sie wiederum verwechselt die eigene Sehnsucht nach elterlicher Fürsorge, die der geschiedene Vater seinen beiden Kindern schenkt, mit sexuellem Begehren.

 

In den vertrackten Beziehungen schlummert das Potential zu mehr Tiefe, als der Regisseur die in unterschiedlicher Weise von ihrem Privat- und Gefühlsleben überforderten Figuren letztendlich preisgeben lässt. Die leisen Töne, die „Für Elise“ zu Beginn gezielt anschlägt, schwellen gen Ende zu einem Crescendo, dem der euphemistische Epilog alle Resonanz raubt. Den Realismus übertönt eine unglaubwürdiger Optimismus, der die filmische Fingerübung mit der unangenehmsten ihrer nicht wenigen dramaturgischen Dissonanzen schließt.

 

Oneline: Intime Romanze in Moll mit dramatischen und dramaturgischen Dissonanzen.