Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. September 2016, Teil 4
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das passiert einem auch nicht oft, daß man fast von Anfang an weiß, wie der Film weitergehen wird, wie er – hoffentlich - enden wird, und doch gespannt und anteilnehmend das Geschehen verfolgt und den beiden Protagonisten, dem Landarzt und seiner neuen Kollegin buchstäblich alles Gute wünscht.
Die guten Wünsche haben auch damit zu tun, daß das Leben des Landarztes Dr. Jean Pierre Werner (François Cluzet) tatsächlich in Gefahr ist. Wir lernen ihn kennen in der Praxis eines Kollegen, Michel Norès (Christoph Oden), der seinem alten Freund eröffnet, daß er an einem inoperablen Tumor auf der linken Gehirnhälfte erkrankt ist, mit einer ganz geringen Lebenserwartung, wenn er nichts tut und mit einer nur aufschiebenden, wenn er die verordnete Chemotherapie vollzieht. Der Landarzt hört das, packt alles zusammen und geht seiner Wege, denn seine Patientin wartet doch längst auf ihn.
In dieser Szene entschlüsselt sich der Charakter von Werner, der schonungslos mit sich selbst umgeht, weil sein ganzes Trachten seiner helfenden Tätigkeit als Arzt gilt. Es wird übrigens in unserer Gesellschaft viel zu wenig darüber gesprochen, wie vorschnell Ärzte sterben, wofür es zwei Gründe gibt: zu selbstausbeuterisches Berufsleben oder Alkohol. Letzteres ist nicht das Problem unseres Landarztes. Ersteres schon. Deshalb hat ihm sein Medizinerfreund eine andere Therapie verordnet, von der Werner nichts ahnt und die den Film bestimmen wird: die Medizinerin Nathalie Delezia (Marianne Denicourt).
Wir sehen sie im Auto dahinfahren und das Auto ist ein Symbol für die Tätigkeit eines Landarztes, der mehr Hausbesuche machen muß als ein Arzt in der Stadt. Als sie schließlich beim Landarzt ankommt, ist der mehr als skeptisch, was er mit ihr soll. Denn sie ist viel zu gut gelaunt, auch zu hübsch, als daß er sie auf seine Patienten loslassen wollte. Außerdem hatte sie die letzten Jahre als Krankenschwester gearbeitet. Und vor allem: er braucht niemanden, der hilft. Widerwillig sagt er einen Versuch zu und bleibt bei ihrer ersten Ordination in der Praxis erst mal als Zuhörer dabei. Und kaum beginnt sie ihre Diagnosefragen mit dem Patienten, sofort pfuscht er ihr ins Handwerk, als er sie unterbricht und kritisiert, sie höre dem Patienten nicht genau genug zu. Denn – das sind dann die interessanten Informationen am Rande des Films – man müsse als Arzt die Patienten ausreden lassen, denn 90 Prozent der richtigen Diagnosen kämen von ihnen selber, mitsamt den Begründungen, womit die Krankheit zusammenhängt.
Noch schlimmer kommt es, als er sie auf dem ersten Hausbesuch begleitet. Man spürt mit jeder Pore, daß er sie nicht an seiner Seite in seiner Praxis will und genauso reagieren auch seine Patienten. Obwohl er im Auto bleibt und sie alleine vorschickt, will der Patient mit ihr nichts zu tun haben und ruft nach seinem vertrauten Arzt. Allerhand, wie Nathalie trotz der Demütigungen damit umgehen kann und wir mit ihr eine wirklich starke Frau kennen lernen, die nicht aufgibt und sich durchwurschteln wird. Dabei gibt es herrliche skurrile Szenen, beispielsweise, wenn die Gänse im Hof sie durchaggressives Verhalten und Schnattern vertreiben. Vertreiben wollen. Denn sie schlägt zurück und die lautstarken Biester suchen das Weite.
Solche, doch eher leisen Hinweise auf ihr Durchhaltevermögen, korrespondieren mit seiner Erkenntnis der eigenen Schwäche. Doch lehnt er sich noch immer auf dagegen, eine Therapie durch seinen Kollegen anzunehmen, fühlt sich aber zunehmend schwächer. Es kommt einem vor, als ob er längere Zeit das harte Vorgehen der jüngeren Kollegin gegenüber – nein, sein 92jähriger Patient kommt nicht ins Krankenhaus, obwohl nur die helfen können – zur eigenen Stabilisierung nutzt, doch langsam wächst in ihm auch Respekt heran, wie widerstandsfähig sich Nathalie zeigt und wie sie kontinuierlich die Anerkennung, ja Zuneigung seiner Patienten – sie hat die Hausbesuche generell übernommen – gewinnt.
Es gibt noch die eine und die andere Trübung im Verhältnis beider, aber er geht zur Chemotherapie, die Werte bessern sich und das Miteinander auch. Alles Weitere ist ins Gemüt der Zuschauer gegeben, die natürlich von seiner Heilung und einer beiderseitigen gelebten Zuneigung ausgehen, die so überhaupt nichts Kitschiges hat, sondern nur die Erwartung ist an das Leben, wenn zwei sich auf den Weg machen, auch belohnt zu werden.
Es gelingt den Franzosen einfach, solche einfachen, schlicht und intelligent erzählten Filme mit guten Schauspielern sehenswert zu machen.