Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. September 2016, Teil 2
Romana Reich
Berlin (Weltexpresso) – Bei diesem tunesischen7belgischen/französischen Film handelt es sich deshalb um eine interessante Ausgangslage, weil HEDI keine Frau, sondern ein junger Tunesier ist, den wir in seinem Alltag im Jahr 2015 begleiten, wo doch an den Arabischen Frühling des Jahres 2010 ganz andere Erwartungen gerichtet waren.
Hedi (Majd Mastoura) was dabei, das war am 14. Januar 2010, als das tunesische Staatsoberhaupt abdanken mußte und die politische Situation erst einmal offen war. Hedi ging mit den anderen auf die Straße, nicht unbedingt, weil er gewußt hätte, was er genau will, aber doch im sicheren Bewußtsein, was er nicht will. Die ständige Bevormundung, die ist ihm über, staatlicherseits genauso wie von Seiten seiner Mutter. Einer wirklichen Nervenplage, die getreu der Maxime der arabischen Welt zu Hause das Sagen hat, aber draußen sozusagen nicht existiert als die Wuchtbrumme, die sie zu Hause gibt.
Und natürlich war dieser 14. Januar und die drei folgenden arbeitslosen Tage, was für Hedi für immer die Sternstunde seines Lebens bleiben wird, noch kein Frühling, auch kein Arabischer, aber in der Tat haben diese Tage die weiteren Geschehen in anderen Ländern initiiert. Das haben wir jetzt vorausgeschickt, aber wir lernen Hedi ganz anders kennen. Als zusammengefalteten Sohn und als ständig mit dem Auto herumfahrender Vertreter, der den Leuten etwas aufzuschwatzen versucht, was die meist nicht haben wollen oder nicht brauchen. Es geht um neue Autos, für die kein Geld da ist, zumal die alten noch gut fahren. Hier soll eine Wirtschaft in Gang gesetzt werden, die aber darniederliegt, wofür es gute Gründe gibt. Noch ist Hedi jung, aber er hat jetzt schon diese sinnlose und auch peinliche Arbeit, den anderen etwas Unnötiges aufzudrängen, über.
Dabei ist seine Zukunft schon fest verplant. Der 25jährige soll eine arrangierte Ehe eingehen und diese Szenen lassen einem wirklich die Gänsehaut runterrieseln. Da sind zwei junge Menschen, die sich überhaupt nichts zu sagen haben, aber von den Eltern aus heiraten sollen – die Hin- und Herbesuche bekommen wir mit. Die Braut ist richtig hübsch, anmutig und gefällig, aber ohne jegliche Substanz, was ein Eigenleben angeht, zumindest verhält sie sich so. Längst hat die Mutter auch die zukünftige Wohnung im eigene Haus arrangiert, wie überhaupt das Arrangierte jetzt den Gegenpart aufnimmt zu dem, was Hedi eigentlich will.
Damit sein Erkennen, was er will, aber substantieller und klarer wird, dazu braucht er eine Frau und findet sie. Er mußte nämlich zum Akquirieren neuer Aufträge ans Meer fahren, wo eine Animateurin (Rym Ben Messaoud) die Gäste unterhält. Sie lebt und arbeitet sonst in Frankreich, wo sie sich wohler fühlt als zu Hause in Tunesien. Einfach freier. Zum ersten Mal, das merken wir, öffnet sich Hedi einem anderen Menschen, und verfolgt mit Bewunderung, wie eigenständig das Denken und Fühlen, ja das ganze Verhalten dieser Frau ist. Auch erotisch, auch sexuell. Schließlich läßt Hedi überhaupt seine vergeblichen Versuche auf Kundenfang und macht mit der jungen Frau Urlaub.
Wie es weitergeht, wie Hedi mit seinen Gefühlen für die eine und die Abmachungen mit der anderen klar kommt, das tut jetzt gar nichts zur Sache. Wir haben miterlebt, wie ein junger Mann aufgewacht ist und das ist ein Zustand, den ihm nie wieder einer nehmen kann. Was passiert, weiß niemand, aber er wird nicht mehr fremdbestimmt durchs Leben gehen, sondern zumindest für sich Verantwortung übernehmen. Deshalb ist das ein Film, der so drückend wie hoffnungsfroh ist.
Der junge Schauspieler, der Hedi spielt, Majd Mastoura, hat zur Berlinale 2016 den Silbernen Bären als Bester Schauspieler erhalten. Das ist schon ein großer Preis für einen eher kleinen Film, der aber sehr genau hinschaut, wie langsam so etwas wie Fortschritt von statten geht und daß diesen Fortschritt immer die Menschen selbst für sich in Gang setzten müssen.