Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 20. Oktober 2016, Teil 12

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das ist ein Film, den man erst ratlos anschaut, was das Schwäbische dort soll, wenn sich zwei Schwestern so verständigen, aber nicht verstehen, der dann dramatisch in einem Verkehrsunfall mündet, wo Ehemann und Tochter der jüngeren Schwester Helene ums Leben kommen und sie ihr Gedächtnis verliert.


Und sagen wir es gleich: am Schluß erkennt und fühlt man, daß man einen ganz eigenen, wundersamen Film gesehen hat und ist froh um ihn. Ankerpunkt ist Schwester Martha (Zeljka Preksavec), eine doppelte Schwester, biologisch die der Helene und eine Ordensschwester dazu. Sie ist verantwortlich für die Schwesterngruppe am Rand einer kleinen Stadt, die um die Finanzierung eines Altersheims mit den städtischen Behörden kämpft. Sie ist grundsätzlich eine, die lebenspraktisch den Alltag bewältigt, den Überblick hat und viele Menschen orientieren kann – nur nicht ihre Schwester (Lisa Martinek), die sich ihr entzieht und meist aus Trotz das Gegenteil von dem will, was die Schwester vorschlägt. Nie wieder will sie Martha sehen, sagt Helene, weil diese ihre Tochter in den Katholizismus zieht, was sie als geborener Widerspruchsgeist zur Atheistin macht.


Das ist die Grundkonstellation, die jetzt durch den Tod und den Gedächtnisverlust dramatisch aufgeladen wird. Drei Personen, die beiden Schwestern und Helenes Schwiegermutter Dolores (Beatrice Richter) , bilden dieses Kammerspiel, das Tragikkomödie zu nennen, nicht falsch ist. Komödie, weil in dieser tragischen Situation eine Frage zum Vehikel für endlose Diskussionen und kaum lösbare Konfliktsituationen führt, die so Burleske wie Satire ist.  Wie sollen Vater und Tochter beerdigt werden? Er wollte als Freigeist in der Natur in Form von Asche verteilt werden, wofür Mutter Dolores steht. Die Tochter aber, sagt Schwester Martha, muß als Gottgläubige in geweihter Erde beerdigt werden. Aber die beiden Toten sollen doch beieinander bleiben, sagt allen das Familienherz.


Diese Diskussion, die zur heftigen, das Leben bestimmenden Auseinandersetzung wird, wird auch zum Hauptinhalt des Films, allerdings zuerst mit einer neuen personellen Konstellation und dann mit einer faustdicken Überraschung, die eigentlich diesem ganzen Film ein schräges Gütesiegel verleiht. Die Amnesie der überlebenden Helene hat mit sich gebracht, daß sie auch nicht mehr weiß, welche Überzeugung sie in religiösen Dingen hat. Sie ist also ein Ausfall in der Diskussion und Festlegung um die Art der Bestattung, so daß sich nur noch Dolores und Martha streiten.


Zur faustdicken Überraschung kommt es, als die entnervte und überforderte Gedächtnislose nicht entscheiden will, wie und in welchem Ritus ihre Tochter beerdigt werden soll, sondern dies der militant katholischen Schwester überläßt, deren Argumente für die katholische Beerdigung wir ja kennen. Weiter wollen wir nichts verraten, aber zunehmend ist einem der Film beim Zuschauen ans Herz gewachsen.


Wir haben nur den äußeren Handlungsstrang verfolgt, aber zwischen den Zeilen, ja zwischen den Bildern verbirgt sich eine ganze Welt, Andeutungen, Spitzfindigkeiten, seelische Überflieger, Mut, Angst, Zwanghaftigkeit, zwischen denen die Figuren hin und hertorkeln, die doch so festgefügt am Boden stehend erschienen. Auch deshalb weil das regionale Schwäbisch der Schwestern hinreißend das Bodenständige betont, auch wenn sie gerade spirituell abheben. Und warum das einfach auf Schwäbich daherkommen muß, das haben wir auch schon lange verstanden.
Wie man so schreckliche Geschehnisse in einer Art filmisch erzählen kann, daß nicht der Schrecken, sondern die Heiterkeit bleibt,  ist eine Kunst, die Regisseur Dennis Todorovic meisterhaft beherrscht und uns hier vorführt.

Foto: Beatrice Richter, Lisa Martinek von hinten, Zeljka Preksavec