Die Hofer Filmtage feierten ihr 50-jähriges Bestehen ohne den im März verstorbenen Gründer Heinz Badewitz

Kirsten Liese

Hof (Weltexpresso) - Die Hauptperson fehlte und war doch irgendwie anwesend. Jedenfalls beschlich einen das Gefühl, Heinz Badewitz könne einem jederzeit über den Weg laufen, im Foyer, in einem der Kinos oder bei einem Empfang. Vielleicht lag das daran, dass überall, wo man sich begegnete, unwillkürlich die Sprache auf ihn kam.

Viele Regiegrößen, die vor vielen Jahrzehnten ihre Erstlingswerke in der oberfränkischen Provinz zeigten, waren noch einmal gekommen, um aus der Ausgabe zum 50. Jubiläum nochmal ein großes Familienfest zu machen, darunter Wim Wenders, Werner Herzog und Dominik Graf. Aber auch Jüngere wie Chris Kraus, Maren Ade oder Aelrun Goette, war es ein großes Bedürfnis, ihrer unendlichen Dankbarkeit für den großzügigen, freigeistigen Förderer des deutschen Films Ausdruck zu geben, der ihnen mit der Einladung in sein Weltkino zum Durchbruch verholfen hatte.

Über die Zukunft der Hofer Filmtage, deren Fortsetzung der Branche stark am Herzen liegt, und die große Verantwortung von Heinz Badewitz’ Nachfolger wurde freilich auch viel diskutiert und spekuliert, aber noch ist völlig offen, wie es weitergehen könnte. Übergangsweise kuratierten Alfred Holighaus (Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft), Linda Söffker (Leiter der Berlinale-Sektion Perspektive Deutsches Kino) und Thorsten Schaumann (Sky Deutschland) das Programm im Sinne des Verstorbenen, will heißen, zu sehen gab es Produktionen von arrivierten Filmemachern und Erstlingswerke junger Talente.


Abermals erwies es sich dabei als ein Segen, dass die Hofer Filmtage traditionell keinen Wettbewerb ausrichten und somit nicht unter Druck stehen, sich ausschließlich auf Weltpremieren zu konzentrieren. Wie bei der Viennale bietet sich Cineasten vielmehr die Möglichkeit, die besten Filme des Jahres zu sehen, die schon auf anderen Festivals liefen.  Ken Loachs in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnetes bewegendes Sozialdrama I, Daniel Blake zum Beispiel oder Jim Jarmuschs unspektakuläre, minimalistische Story Paterson um einen dichtenden Busfahrer.


Ganz große Filmkunst bot vor allem aber das jüngste, in Venedig mit dem Regiepreis prämierte Werk des russischen Altmeisters Andrei Konchalovsky, die mit deutschen und französischen Fördergeldern finanzierte Koproduktion Paradise. Mit subtilen, dichten kammerspielartigen Sequenzen setzt sie russischen Emigranten im Widerstand ein Denkmal, die in der Aufarbeitung des Holocaust bislang vergessen wurden. Hier ist es die von der wunderbaren Julia Vysotskaya verkörperte Aristokratin Olga, die sich zunächst im Gefängnis, dann im Konzentrationslager wiederfindet, nachdem in ihrem Pariser Exil zwei jüdische Jungen entdeckt wurden, die sie versteckt hatte.


Seine einsame Klasse bezeugt der Schwarzweißfilm vor allem ästhetisch mit asketischen, streng quadrierten Bildern und verträumten, romantischen Klängen aus ausgewählten Klavierintermezzi von Johannes Brahms, die sich um die leidgeprüften Figuren wie eine Schutzhülle legen und zugleich den sich beklemmend zuspitzenden Fortlauf der Handlung drastisch konterkarieren.


Eine solche Meisterschaft offenbart gewiss die lange Erfahrung und den guten Geschmack eines Künstlers, der inzwischen 81 Jahre alt ist und Musik studierte.
Und doch ist ein hohes oder fortgeschrittenes Alter kein Garant für einen guten Film. Auch davon konnte man sich in der Hofer Jubiläumsausgabe überzeugen, erweist sich doch etwa das jüngste Gemeinschaftsprojekt von Wim Wenders und Peter Handke, Die schönen Tage von Aranjuez, ein Zwiegespräch über die Beziehungsgeschichte eines Paares, als ein allzu dröges, uninteressantes, pseudo-intellektuelles Stück Kino.


Und auch Chris Kraus erreicht seinen künstlerischen Tiefpunkt mit seinem Eröffnungsfilm Blumen von gestern, der mit hölzernen Dialogen, übertriebener Exzentrik und albernem Klamauk  jegliche Subtilität vermissen lässt. Da hilft es auch nichts, dass Lars Eidinger als der einzig wirklich starke Schauspieler in einem schwachen Ensemble den Protagonisten verkörpert, jenen misanthropen Historiker Totila (Lars Eidinger), der  über seinen Holocaust-Forschungen seine belastende Familiengeschichte mit einem Großvater als Nazimörder verwinden will.


Wer auch immer als neuer Festivalleiter das Erbe von Heinz Badewitz antritt, wird sich auch darüber Gedanken machen müssen, wie stark das Fernsehen künftig mit Produktionen vertreten sein soll. In diesem Jahr wirkte es  zu dominant, wenngleich auch mit Dominik Graf (Am Abend aller Tage), Aelrun Goette (Wofür es sich zu leben lohnt in der Krimi-Reihe Tatort) und Feo Aladag (Der Andere- Eine Familiengeschichte) bekannte Regienamen vertreten waren.


Und die Jungfilmer? Sie haben vor allem das Genre des Thrillers für sich entdeckt und bringen immerhin recht packende Geschichten zuwege, allen voran Felix Charin, der in seiner Therapie lange Zeit ganz schön auf falsche Fährten führt. So wie Dominic Raacke sich zunächst in der Rolle eines autoritäten Psychologen gegenüber einer jungen, aggressiven Frau Respekt verschafft, die wegen mehrerer Gewaltdelikte im Gefängnis saß, ließe sich annehmen, hier spinne sich das Drama einer beispielhaften Resozialisation an. Aber weit gefehlt. Die Strategien des Psychologen gestalten sich zusehends abenteuerlicher und plötzlich ist man sich nicht mehr sicher, wem man trauen soll.


Ein weiterer spannender Psychothriller, wenngleich in Ansätzen etwas unglaubwürdig, gelingt der Münchnerin Tini Tüllmann mit ihrem Erstling Freddy/Eddy, für den sie das dreiköpfige Kuratorenteam mit dem ersten Heinz-Badewitz-Preis auszeichnete. Auch sie versteht sich auf eine pointenreiche Dramaturgie und falsche Fährten, sieht es doch lange Zeit so aus, als handle es sich bei dem Protagonisten Freddy um eine multiple Persönlichkeit à la Dr. Jekyll and Mr. Hyde. Aber nach und nach regen sich Zweifel,  ob es sich bei der dubiosen Person, die hinter Freddys Rücken schreckliche Verbrechen begeht, tatsächlich um sein unbewusstes Alter Ego handelt.


Den mit 10.000 Euro dotierten Förderpreis Deutsches Kino, gestiftet von der DZ-Bank, Bavaria Film und dem Bayerischen Rundfunk,  gewann die österreichische Filmemacherin Sandra Wollner für ihren Super 8-Film  Das unmögliche Bild, ein ungewöhnliches Werk. Mit grobkörnigen Szenen einer Kindheit im Wien der 1950er Jahre und vielen unspektakulären Alltagsbildern mutet es wie ein dokumentarisches Homevideo an, aber hier und da kommt es zwischen den inszenierten Fragmenten auch zu kleinen oder größeren Dramen. Wenn zum Beispiel auf dem Küchentisch ein Karpfen zappelt und das Nesthäkchen der Familie die Oma anfleht, ihn leben zu lassen. Oder wenn sich die Ich-Erzählerin vage daran erinnert, dass sie selbst einmal beinahe ertrunken wäre.  Die Besonderheit dieser Produktion aber liegt in dem im Titel verankerten Leitgedanken: Dass es schwer fällt, sich an alle Details einer weit zurückliegenden Vergangenheit genau zu erinnern, und dass die Erinnerung bisweilen trügerisch Bilder hervorbringt, die real gar nicht existiert haben.