Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. November 2016, Teil 10
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Dies ist ein Film, der absolut Schwächen hat und den sich trotzdem jeder ansehen sollte, der die Welt von heute begreifen will und auch die Probleme um Israel, dessen Existenz vor allem durch die Nazis zusätzlich begründet wurde.
Erst einmal muß man vom Hintergrund schreiben und dem so wunderbaren Schriftsteller Amos Oz, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels schon 1992, des Goethepreises der Stadt Frankfurt 2005 und so vieler weiterer Preise, wie kaum ein anderer, der 1939 in Jerusalem geboren wurde und seine Kindheitserinnerungen in dem Buch gleichen Titels 2004 auf Deutsch im Suhrkamp Verlag niederlegte. Der eine Teil seiner Familie, die Großeltern Klausner flüchteten 1917 von Odessa aus nach Vilnius und wanderten von dort mit ihrem 1910 geborenen Sohn Jehuda Ariel nach Palästina aus. Das ist der Vater von Amos Oz. Seine 1913 in geborene Mutter Fania war eine geborene Mußmann und kam 1934 nach Israel, das damals kein eigener Staat war und Palästina hieß.
Sein Roman will klären, wie es dazu kam, was er als Weltuntergang erlebte, daß sich nämlich seine Mutter 1952 umbrachte. Da war ihr Lieblingsjunge gerade Mal zwölf Jahre alt. Ein Trauma fürs Leben. Amos Oz schreibt nun eigentlich so, daß das Schicksal des Jungen und seiner Mutter allgemeingültig für etwas stehen, was Israel ausmacht, wohin so viele sich retten konnten, aber dann mit ihrem Herausgerissensein aus den alten europäischen Lebensverhältnissen einfach nicht weiterleben konnten, von Faktoren wie endogener Depression einmal ganz abgesehen.
Eigentlich erfahren wir die Geschichte der Eltern, der Mutter aus den Augen des kleinen Amos, damals noch Amos Klausner. Amir Tessler verkörpert den in sich gekehrten, zwischen Hellwachsein und Träumerei befindlichen Jungen Amos berührend. Man ahnt, welche Überforderung die Mutter diesem Jungen zugemutet hatte, denn er war ihr Schutzschild gegen das Leben, wo er doch den Schutz der Eltern gebraucht hätte. Sehr liebevoll wird im Film auch der Vater (Gilad Kahana) dargestellt, der den Kopf in den Wolken trägt und seine Bücher vor sich hin schreibt, die ein Freund, ein erfolgreicher Schriftsteller heimlich aufkauft, damit er glaubt, ebenfalls erfolgreich zu sein.
Die Eltern kommen also getrennt nach Palästina, lernen sich kennen und lieben, heiraten, aber es sind schwere Zeiten, denn dies Land ist keines, wo Honig fließt, sondern eines, das mit den eigenen Händen aufgebaut werden muß. Keine Zeit für Intellektuelle. Und erst recht keine für Schwermut. Das ist im Film Hintergrund, aber eigentlich hätten wir über diese Zeit beim Aufbau des künftigen Israel noch mehr filmische Aussagen haben wollen, damit das Kommende verständlich wird. Auf jeden Fall setzt die Handlung erst nach dem Krieg ein, wo zum einen ganze Familien in den KZs in Deutschland ermordet worden sind und wo zum anderen endlich der Staat Israel gegründet wird, was Amos schon alles mitbekommt.
Wir erleben also auch aus seinen Augen die unterschiedliche Entwicklung der Eltern. Wie die Mutter immer mehr dem wirklichen Leben entgleitet und ihre Erinnerung als Tochter in Europa beschwört, mit all den Familiengeschichten, den Erzählungen und Sagen von früher. Und wie der Vater in seinem Elfenbeinturm die Not seiner Frau vielleicht sieht, aber nicht lindern kann, von der gemeinen Schwiegermutter einmal ganz abgesehen.
Warum ist das also kein ergreifender, sich ins Gedächtnis eingrabender Film geworden? Das ist nicht leicht zu beantworten und darum empfehlen wir auf jeden Fall, ihn sich anzusehen, da es um eine Zeit geht, wo selten Leben verfilmt wurde, war doch alles nur politisch gesehen und eingeordnet. Das, was der Roman leistet, dies alles in Komplexität darzustellen, wird im Film zu einer Abfolge von Szenen, bei denen man ahnt, daß es zum Selbstmord der Mutter kommt, um den es aber als Ziel des Films wiederum doch nicht geht.
Es geht irgendetwas in diesem Film nicht auf, was ein Bedauern zurückläßt, aber eben auch den Hinweis, daß hier zumindest versucht wurde, Wurzeln der heutigen Probleme in der Entstehung des Staates Israel, seiner vielen Hoffnungen, aber auch Irrungen heraus begründen zu können.
Wir hatten anläßlich des ersten Sehens des Films im Rahmen des diesjährigen Jüdischen Filmfestivals dies schon einmal auszudrücken versucht, was hier zitiert wird:
EINE GESCHICHTE VON LIEBE UND FINSTERNIS wollen wir jetzt nicht erzählen. Der Film wird am 3. November in den deutschen Kinos anlaufen und dann ausführlich besprochen. Beim Zuschauen hat man mindestens zwei Empfindungen, ob man nun die Lebensgeschichte des berühmtesten israelischen Schriftsteller Amos Oz kennt oder nicht. Man ist zum einen erschüttert, weil Natalie Portman diese junge Mutter von Oz sehr innig, liebevoll und in den Wahn abgleitend darstellt, andererseits sie in fast jeder Einstellung zu sehen ist und es eigentlich ein Film allein um die Mutter Fania wird, die zudem im Drehbuch und der Regie der Natalie Portman irgendwie als Natalieportmanhommage rüberkommt, nicht aber als Verfilmung der Memoiren, in denen ausdrücklich vom Licht und der Finsternis gesprochen wird.
Nicht zu Unrecht, ach was, völlig zu Recht, sagte nach der Filmvorführung die extra aus Israel gekommene Tochter, Fania Oz-Salzberger, daß dieser Film für sie doch mehr Finsternis denn Licht sei. Dabei kann natürlich aus den Memoiren die Mutter Fania als Extrakt herausgezogen werden, denn sicher hat ihr Selbstmord 1952 das Leben von Amos Oz für immer bestimmt. Aber da diese Fania gar nicht Mittelpunkt sein soll, alles aus den Augen des Kindes erzählt wird, kommen seine Erinnerungen und ihr wirkliches Wesen und Leben nicht zur Übereinstimmung und wird wie gesagt, leicht zur Portmanschau.
Diese Fania Oz-Salzberger, die möchte man in Frankfurt wiedersehen, mit mehr Zeit und Gelegenheit, ihre klugen Ausführungen über Israel fragend zu vertiefen. Allein, was sie über ihre Jugend in den Kibbuz erzählt, wo sie aufwuchs, ja über die ganze Bewegung der durch die osteuropäischen Juden initiierten Kibbuzimbewegung, ist eine Einladung und weite Reise wert. Sie gehört zu denen, die uns die Wahrheit sagen können, über das, was mit Israel seit den Tagen passiert ist, wo die alten und gut gelebten Werte durch eine amerikanische Lebensart und eine zunehmend orthodoxe, ultra-individualistische Lebensweise mit dem Ziel der Homogenität in Israel Platz greift
Über diesen Film bisher in Weltexpresso
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Foto: Mutter und Sohn