Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 10. November 2016, Teil 11

N.N. und Corinna Belz

Paris (Weltexpresso) - Wie ist die Idee zu ihrem Film entstanden?


Nach meinem Film über Gerhard Richter wollte ich etwas über Sprache machen. Wir leben in einer bilderüberfluteten und durch Bilder gesteuerten Welt,
und  es  erschien  mir  richtig,  meine  Aufmerksamkeit  von  den  Bildern  auf  die Sprache zu lenken. In dieser Zeit wurde gerade das Stück „Immer noch Sturm” von  Handke  uraufgeführt,  ich  schaute  es  mir  in  Salzburg  an  und  dachte,  ein Film über einen Schriftsteller kann der Sprache etwas zurückgeben. Es war eine neue  Herausforderung,  den  Bogen  vom  Bild  zur  Schrift  zu  spannen,  zum  Schriftbild – und mir die Frage zu stellen, ob ich eine Form für das Kino finden kann, in der der Zuschauer manchmal vom Betrachter zum Leser wird.


PORTRAIT UND ESSAY


Wie sehen Sie das Verhältnis von Künstlerporträt und tiefer liegenden Fragestellungen in ihrer Arbeit?


Die Idee, einen Film zu machen und dann auch mit einem unbegrenzten Interresse über einen langen Zeitraum zu verfolgen, braucht aus meiner Sicht meh-
rere  Quellen,  damit  ich  die  Schwierigkeiten,  die  sich  unweigerlich  auftun, durchstehen und etwas daraus machen kann. Deshalb ist der Film der Versuch,
ein  Portrait  des  Schriftstellers  Peter  Handke  zu  zeichnen  und  gleichzeitig  ein Portrait seiner Sprache, also der Versuch, Sprache und Literatur in ihren schönsten  Formen  zu  zeigen.  Dabei  will  ich  über  die  Frage,  wie  der  Autor  lebt  und arbeitet, hinausgehen. Die Sprache selbst tritt auf in Form von Zitaten, Notizbüchern und Schrift.


LESEN


Welche Beziehung haben sie zum Lesen und zu den Büchern von Peter Handke?


Lange bevor ich daran dachte, Filme zu machen, wollte ich lesen. Ich las schon, bevor ich überhaupt lesen konnte. Ich schaute mir Buchrücken an, ihre Farben
und Titel und folgte den Buchstaben in der schönen Regelmäßigkeit ihrer abstrakten  Ordnung.  Der  Wunsch  lesen  zu  können  war  eigentlich  meine  erste
eigene Idee als Kind, etwas, woran ich mich deutlich erinnere, fast so eine Art Projekt. Man spürt ja als Kind, dass Erwachsene, die lesen, über die Fähigkeit
verfügen, aus abstrakten Zeichen etwas zu entziffern. Vielleicht erschien mir das Lesen als eine Art Geheimwissen. Das ist – abgesehen von dem Wald vor
unserer Haustüre, der vielleicht auch zum Titel dieses Films beigetragen hat – die erste bewusste Entdeckung, an die ich mich erinnere, vielleicht weil die Fähigkeit zu lesen nicht angeboren ist, weil sie einem nicht einfach zufällt.


Und dann stieß ich als Teenager auf den Schriftsteller Peter Handke, jemanden, der das Licht zwischen den Stauden eines abgeernteten Feldes in seinen Sätzen aufscheinen  lässt,  dass  man  sich  die  Augen  reibt,  auch  das  Eis  in  zwischenmenschlichen Beziehungen genau darstellen kann, wie in dem Buch „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“; und die Gefährdung des Ichs. Und zugleich kann Handke  die  Welt  durch  seine  Sprache  erwärmen  wie  nur  wenige  andere zeitgenössische Autoren. Man las das damals alles, wie man Musik hörte, nicht als Weltflucht, sondern um die Welt zu begreifen.

 


BIN IM WALD. KANN SEIN, DASS ICH MICH VERSPÄTE.


Wie haben sie Peter Handke dazu bewegt, sich auf den Film einzulassen?


Nachdem ich in Salzburg Handkes Stück „Immer noch Sturm” gesehen hatte, das mir sehr gefiel, wandte ich mich an den Verlag und schrieb Handke einen
Brief. Ich gehe am liebsten durch die Vordertür, den offiziellen Weg, auch wenn das eine Weile dauert. Hier dauerte es ungefähr ein halbes Jahr, bis Handke mir zu   rückschrieb  und  ich  ihn  in  Paris  besuchen  konnte. Von da an bin ich  öfter hingefahren,  und  wir  haben  über  die  Möglichkeit  eines  Films  gesprochen.  Er  hatte mit seiner Tochter meinen Richter-Film im Kino angeschaut und sagte, aber was wollen Sie denn drehen? Schreiben kann man nicht darstellen, wie das Malen eines Bildes.


Diese Frage rannte bei mir offene Türen ein. Aber es gab schon Ideen. Durch die Besuche  hatte  ich  einen  Eindruck  von  Handkes  Umgebung  und  seinen  Gewohnheiten bekommen, und mir wurde klar, dass alles unmittelbar mit seinem Schreiben zu tun hat. Ich sah den Ort, an dem sich das ganz alltägliche Leben ereignet,  als  den  Ursprungsort  der  Bücher  und  des  Schreibens  –  auch  wenn  Handke viele Bücher unterwegs geschrieben hat. Deshalb ist das erste Zitat im Film  ein  Ausschnitt  aus  dem  „Versuch  über  den  geglückten  Tag”,  dem ersten Buch, das Handke in diesem Haus geschrieben hat. Dieser Spur bin ich gefolgt, und irgendwie sind wir übereingekommen, dass wir es versuchen wollen. Im Ok tober 2012 machten wir erste Aufnahmen, wir kamen nur zu zweit, mit der RER, es regnete ein wenig, und wir standen dann vor dem Eisentor, an dem dieser Zettel hing: Bin im Wald. Kann sein, daß ich mich verspäte.

 


GRUNDSTOCK


Wie sah Ihre Recherche für diesen Film aus?


Es war absolut notwendig und ein Vergnügen, mich in den Stoff, in die Bücher zu vertiefen – das ist das Schöne daran, dass man sich die Zeit nimmt, alles
noch einmal zu lesen. Handke hat weit mehr als sechzig Bücher, Romane, Essays, Gedichte, Theaterstücke, Drehbücher, Zeitungsartikel geschrieben und
Über setzungen gemacht. Das kann natürlich nicht alles im Film vorkommen,aber ist es der Grundstock, die Basis für das Verständnis seiner Syntax, für Inhalte und auch für den Sound, den Klang der Sprache, der die ganze Zeit ar beitet, auch wenn man mit etwas ganz anderem beschäftigt ist. Vor allem verstand
ich wieder besser, warum Handke so empfindlich auf die Sprache und Wort wahl seines Gegenübers reagiert. Man wird durch das Lesen seiner Texte
auf eine gute Weise hellhörig, auch für die Abnutzungserscheinungen in der ei genen Sprache.


Aus der Recherche, aus dem Lesen und den Besuchen entstehen dann ununterbrochen Ideen, die man dann erwägen, umsetzen oder verwerfen kann, ein
Ge spür für mögliche Bilder und Szenen, auch für das, was nicht funktioniert. Man ist ja sehr frei im Dokumentarfilm, während man dreht, und nicht an ein
Drehbuch und eine große Maschinerie gebunden.

 


POLAROIDS


Sie greifen immer wieder auf von Handke gemachte Polaroid-Aufnahmen zurück.


Ich war einige Male im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, wo eine große Sammlung von Polaroids, die Peter Handke in den 70er
Jahren gemacht hat, als permanente Leihgabe aufbewahrt ist. Diese Polaroids sind Aufnahmen von ihm selbst und seinem Familienleben zu dieser Zeit, Aufnahmen von Landschaften und immer wieder von Straßen. Sie wirkten auf mich wie eine Art der Selbstvergewisserung, und man sieht den Spaß, den er
beim Machen dieser Bilder hatte. Man kann diese Polaroids als Vorläufer der vie len Handyfotos sehen, die heute gemacht werden, nur dass Handke sie sicher
in erster Linie für sich selbst gemacht hat und nicht, um sie weiterzugeben. Im Film stehen sie durch ihre Materialität, die Farben und das Format für eine
ganz bestimmte Zeit. Und im Schnitt entdeckte ich, dass diese Fotos zusammen mit einer Textstelle aus Handkes Stück „Über die Dörfer“ eine Art doppeltes
Selbst portrait ergeben, in Bild und Sprache. Es beginnt mit dem schönen Satz „Er ist es …“

 


NOTIZBÜCHER


Auch Handkes Notizbücher spielen eine Rolle, mitunter bildfüllend.


Ich war mehrmals im Deutschen Literaturarchiv Marbach, wo Handkes Notizbücher aus den siebziger bis Anfang der neunziger Jahre liegen. Die Notizbücher
sind ein großartiger unzensierter Kosmos, eine Art Bergwerk aller Schichten, aus denen Handkes Werke entstanden sind: Reisen, Lektüre, Freunde, Skizzen
für Bücher, Zeichnungen, Träume, Entwürfe, das Familienleben ist festgehalten. Seine Handschrift lässt unterschiedliche Stimmungen ahnen. Da sie graphisch
sehr unterschiedlich und interessant sind, haben Stephan Krumbiegel und ich sie wie Zustandsbilder und Zeichen einer großen Produktivität, auch als ständi
ge Begleiter des Autors in den Film eingebaut. So wie das Notizbuch, das Handke ge ra de bei sich trug und das er für uns durchblätterte. Dass er in kleinen
Zeich nun gen über Wochen das Aufblühen der Birkenblätter und auch die Wind rich tung festhält, sagt viel über den spielerischen Charakter dieser No tizen
und Hefte, weit über das Sprachliche hinaus.

 


SPRACHE, SCHRIFT, BILD


Wie haben Sie zu ihrem filmischen und visuellen Konzept gefunden?


Es war mir von Anfang an klar, dass man den Schreibprozess, das Entstehen von Tex ten, nicht durch bloßes Abbilden darstellen kann, indem man eine Kamera
hin ter den Schriftsteller stellt – abgesehen davon, dass Handke das nicht zu gelassen hätte und an unterschiedlichen Orten, manchmal auch im Wald, schreibt.
Ich hatte den Eindruck, dass das Haus, in dem er wohnt, eine wichtige Rolle spielt, ebenso die vielen Tätigkeiten und Gewohnheiten, die eine Art Raum für
den Text entstehen lassen. Diese kleinen Tätigkeiten, das Schälen der Kastanien, das Sticken, das Gehen im Wald, schaffen Platz für den Text. Und sicher
ist es von Bedeutung, dass das ein nichtsprachlicher Raum ist. Diese Art Stille, die Handke immer wieder verteidigt gegen die Familie, Nachbarn und selbstverständlich auch gegen Besucher wie uns, die er großzügig bewirtet (die legendäre Pilzsuppe), dann aber auch gerne verabschiedet, wenn sie zum Zug müssen....

 

Foto: (c) Filmheft

Info: aus dem Filmheft