Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. November 2016, Teil 11

Karin Schiefer

Wien (Weltexpresso) - Über den Zugang zum Film: Egon Schiele war, als ich in der Mittelschule war, ein Geheimtipp und es war erstaunlich, dass meine
Klassenkameraden auf einmal der Meinung waren, er sei überhaupt der beste Maler. Er war „der“ Maler für unsere Generation und Filme über ihn habe ich erst später gesehen und war auch eher unzufrieden damit.

Der Roman von Hilde Berger und ihre Annäherung an diese Figur, die mich schon immer fasziniert hat, haben dann den Ausschlag gegeben. Wir haben oft Drehbücher miteinander geschrieben, aber zunächst hat sie mal gesagt, dass es keines wird, da es bereits ein Roman ist. Wir haben dann dennoch begonnen, daran zu arbeiten und unser Zugang bestand darin zu schauen, welche Erlebnisse uns diesen Maler näher bringen. Die uns erzählen, was er malt und das war dann die eigenartige Beziehung zur Sexualität und seine unkonventionelle Beziehung zu den Frauen, die für ihn Modell standen.


Mich hat zuerst sein Werk interessiert, aber da hab ich nicht im Geringsten daran gedacht einen Film darüber zu machen. Erst als ich ihn über Hilde Berger auch als Person kennengelernt habe, als der Zusammenhang zwischen der Person und seinem Werk deutlicher wurde, hat mich das gereizt darüber zu erzählen. Darüber zu erzählen, was Bilder für jemanden bedeuten können.


Das Zeichnen war für Schiele von Anfang an eine Art Ersatzleben. Als Junge war er in der Schule schlecht, hat auch seine Schulaufgaben vernachlässigt, weil er immer nur gezeichnet hat. Es war sein Weg, die Welt zu begreifen, die Welt irgendwie in den Griff zu kriegen. Wenn es ihm schlecht gegangen ist, hat die Schwester berichtet, ist er in die Donauauen gegangen und hat gezeichnet. Es müssen furchtbare Familienszenen gewesen sein mit seinem Vater. Dieses starke Jugendtrauma und dass daraus dann so ein großer Künstler geworden ist, das war für mich ein faszinierender Einstieg in die Geschichte. Eine Geschichte eines Menschen, der sein Leben in 28 Jahren verbraucht, der in 28 Jahren Dinge schafft, die man heute für wahnsinnig viel Geld kauft und an denen
heute viele Menschen Freude haben oder sich darin wiedererkennen.

 


Über die Jugend und den Einstieg in die Geschichte


Für mich ist die Jugend immer der dramatischste Teil des Lebens. Ich nenne es die Landnahme, denn jede Generation muss ihr Land erst erobern. Ich selbst würde mich als 68er Abkömmling bezeichnen, der notwendigerweise auch eine neue Sicht auf die Welt suchte, nachdem unsere Eltern den Krieg erlebt
haben und ihre Vergangenheit auch tabuisiert erschien. Die Aufgabe unserer Generation war es etwas Neues zu erfinden, eine neue Form. Wie lebt man? Was ist wichtig im Leben? Was können neue Werte sein im Gegensatz zur faschistischen Vergangenheit?


Das hat mich verbunden mit dieser Schiele Generation, die offensichtlich den Untergang der Monarchie, den Untergang der Welt, in der sie aufgewachsen sind, schon geahnt und gespürt haben. Man hat gesehen, dass es so nicht weitergehen wird und neue Konzepte daherkommen müssen, um diese neue
Zeit zu bewältigen. Diese Konzepte sind von der Regierung nicht gekommen. Dafür hat es diesen Aufbruch der Jugend gegeben und es ist die Zeit gewesen in der in Österreich eigentlich auf dem Gebiet der Wissenschaft, der Kunst und der Medizin ganz große Errungenschaften passiert sind.


Über Schiele wissen wir, dass er sehr viel gelesen hat. Sicherlich war in der Zeit von Sigmund Freud die Entdeckung der Sexualität ein ganz wichtiges Thema in der Gesellschaft. Ein anderes Thema für ihn war der Wahnsinn. Der Wahnsinn seines Vaters hat ihn sicherlich sehr bewegt und seine Bilder sind oft erfüllt von Fragen nach dem Tod und der Verwesung. Er selber war sehr vital, hat wie wir wissen sehr viele Frauenbeziehungen gehabt. Er war ein charmanter Mensch, eher lustig, aber auch fasziniert von dieser Untergangsstimmung.


Deswegen war meine Vorstellung immer, der Film müsste mit Flammen beginnen, weil er selbst ein Brennender war. Da hat mich immer dieses Thema, dass der Vater im Wahn den gesamten Familienbesitz in den Ofen geschmissen hat und Schiele selbst in seinem Leben immer gesagt hat, dass Geld nicht wichtig sei, fasziniert und es hat sich mir aufgedrängt, den Film mit diesem Erlebnis des Verbrennens von allem was scheinbaren Wert besitzt, zu beginnen. Das Verfolgen seiner malerischen Ziele war für Schiele unabdingbar. Er hat sich auch nicht vom Zeitgeschmack oder leichterer Verkaufbarkeit von seinem Weg abbringen lassen, da war er total konsequent. In diesem Sinne war er überhaupt nicht opportunistisch. Er war aber opportunistisch, wenn
es darum ging, irgendwie Geld zum Überleben aufzutreiben. Da hat er alle Mittel eingesetzt, von freundlichen Bitten über höhnisches Fordern, alles!

 


Über Hauptdarsteller Noah Saavedra


Ein wesentlicher Punkt meines Konzeptes bestand darin, junge Menschen zu zeigen. Nicht Schauspieler, die junge Menschen spielen, sondern welche, die vor der Kamera wirklich jung sind. Ich wusste von Anfang an, dass es sehr schwierig sein wird jemanden zu finden, der jung ist und gleichzeitig die Lebenserfahrung hat, die man braucht, um einen so komplizierten Charakter zu spielen. Deshalb haben wir auch sehr lange im Vorfeld bereits mit dem Casting begonnen. Es hat sich schließlich gezeigt, dass es notwendig sein würde, einen Laien zu besetzen oder jemanden der gerade von der Schauspielschule
kommt.


Schließlich haben wir einen jungen Mann gefunden, der Erfahrung als Fotomodell hatte und der es gerne als Filmschauspieler probieren wollte. Er konnte sich zunächst keine zwei Sätze merken, aber er hatte von Anfang an für mich diese Energie, diese Ausstrahlung, die ich mit dem Schiele in Verbindung bringen
konnte. Da habe ich mich entschlossen, das Risiko einzugehen und ihn über ein Jahr lang an diese Rolle herangeführt. Das hat dazu geführt, dass er tatsächlich Schauspieler werden wollte, dann die Schauspielschule besucht und schließlich auch die Aufnahmeprüfung der berühmten Ernst Busch Schule
bestanden hat. Er hat außerdem zwei Semester Malen und Zeichnen auf der Kunstakademie belegt, um die Zeichnungen, die im Film vorkommen, selbst machen zu können. Mir ist es gelungen einen jungen Menschen zu finden, der diese Energie bringen konnte, die so wichtig ist für diese außergewöhnliche
Figur des Egon Schiele.

 


Über das Casting der Frauenfiguren


Ja und die Frauen! Ich erzähle am besten von jeder einzelnen. Valerie Pachner habe ich entdeckt, als ich im Reinhard Seminar einen Kurs für Filmschauspiel gehalten habe. Sie hat nicht nur eine außerordentliche schauspielerische Begabung, sondern besitzt auch eine äußerliche Ähnlichkeit mit der echten Wally. Bei den Probeaufnahmen habe ich erkannt, dass wir niemanden finden werden, der so nahe an die Figur der Wally herankommt wie sie!


Maresi Riegner, die Schieles Schwester Gerti spielt, hat bei den vielen Castings zunächst nur die Stichworte gemacht. Doch durch ihre durchdachte Art den Text wiederzugeben und aufgrund ihres Aussehen ist sie mir ins Auge gesprungen. Sie stand noch ganz am Anfang, aber der Vorteil war, dass sie sich zusammen mit Noah Saavedra wirklich ein Jahr lang auf die Rolle vorbereiten konnte. Die beiden haben gemeinsame Proben gemacht und sich die Szenen zusammen erarbeitet. Das hat dazu geführt, dass sie schließlich so vertraut miteinander waren, dass sie auch wirklich glaubwürdig als das Geschwisterpaar gewirkt haben.


Da Amour Fou Luxembourg unser Partner war, haben wir auch Schauspieler in Luxemburg gesucht und so dann Marie Jung gefunden, die Schieles Ehefrau Edith verkörpert. Sie hat in München Theater gespielt, eine Ausbildung am Reinhard Seminar abgelegt und obwohl sie Luxemburgerin ist, gelang es ihr die österreichische Sprache so zu sprechen, dass man glaubt, sie sei aus Österreich.

 


Über den Maler als Regisseur


Wenn man einen Film über Malerei macht, dann stellt sich die Frage „Was ist das überhaupt, Malen? Was bedeutet das?“ Und dieser Frage sind wir natürlich bei Schiele auch nachgegangen. Es hat sich herausgestellt, dass er auch fotografiert hat und bei seinen Bildern fällt häufig auf, dass die gewählten Posen außerordentlich sind. Er hat neue, expressive Posen erarbeitet. Er hat den Körper zum Ausdrucksmittel gemacht, versucht über den Körper zu erzählen. Was erzählt uns alleine der Körper über einen Menschen? Das ist für einen Regisseur natürlich sehr interessant und diesen Vorgang wollten wir auch in dem Film erzählen. Wie kommt es dazu, dass jemand so ausdrucksstarke Posen erfindet? Das ist ja auch eine Art zu inszenieren. Insofern sind Maler die Regisseure ihrer Bilder.


Es gibt bei Schiele eine ganze Sammlung seiner Skizzenbücher. Er hat immer eines dabei gehabt, um Momente aus dem Leben festhalten zu können. Wie ein Regisseur hat er sich gefragt, was die sprechende Geste, was der visuell interessante Moment ist und das dann in seinem Skizzenbuch festgehalten. Seine Bilder sind durchdachte Konstruktionen und keineswegs so hingeworfen. Es ist ein Vorgang des Sehens und das wollten wir auch in unserer Geschichte erzählen.

 


Über den historischen Zugang


Mich interessiert bei einem historischen Thema zweierlei. Einerseits was mich mit dieser Zeit verbindet und andererseits, was unsere Zeit von dieser unterscheidet. Dadurch lässt sich zeigen, dass die Veränderung, die mit der Zeit kommt nicht nur Schicksal ist, sondern, dass diese Veränderung von Menschen gemacht wird. Wenn wir in der Geschichte zurückschauen können wir das sehr deutlich sehen. Gerade in unserer ist dies der Untergang der Monarchie, der Untergang einer ganzen Welt. Das ist etwas, was uns heute sehr beschäftigt, weil wir unsere Welt auch als bedroht ansehen und wir können sehr
deutlich sehen, was damals alles falsch gemacht wurde oder welche falschen Entscheidungen getroffen worden sind und welche Konflikte wir heute unter Umständen besser bewältigen. Zum Beispiel den Konflikt zwischen einer Frau, die nichts anderes gelernt hat als Ehefrau zu sein und einem Mann, der
einen künstlerischen Anspruch hat und eigentlich einen anderen Partner braucht. Das sieht man in dieser Geschichte ziemlich deutlich.

 

Info: Abdruck aus dem Filmheft