Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Dezember 2016, Teil 13
Filmheft
Berlin (Weltexpresso) - Die Habenichtse ist ein Film über meine Generation. Über unseren Wunsch nach Besonderheit, nach Erlebnis, unserem Wunsch, etwas zu werden oder zu sein und unserer Unfähigkeit zu Gemeinschaft und Selbstsorge.
Können wir wirklich geben und nehmen, oder nehmen wir am Leben anderer nur Anteil, während wirkliche Teilnahme nur vorgetäuscht wird?
Fast 8 Jahre haben wir an der Verfilmung der Habenichtse gearbeitet. Das Auf und Ab der Finanzierung hat uns immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt, die die Adaption des Romans weiter und weiter verdichtet haben. Mona Kino, die Autorin des Drehbuchs, verglich es einmal mit dem Kochen einer Essenz: während Katharina Hacker einen reichhaltigen Garten voller verschiedenster Zutaten angelegt hatte, war es an uns, diesen so weit zu verdichten, bis nur noch die Essenz davon vorhanden ist. Im Geschmack jedoch musste noch immer die Vielfalt des Ursprungs spürbar sein.
Das faszinierend Befreiende an der Verfilmung einer literarischen Vorlage ist für mich das Wechselspiel zwischen Treue und Verpflichtung. Verpflichtung einer Autorin gegenüber, die unter einem immensen Aufwand an Kreativität und Selbstreflexion aus sich selbst heraus ein Werk geschaffen hat, und der Freiheit, die aus dieser Verpflichtung für den filmischen Prozess entsteht: es geht gleichberechtigt nicht nur darum was erzählt wird, sondern ebenso wie es erzählt wird.
Im amerikanischen Englisch hat die Kinoleinwand den schönen Terminus Silver Screen. Für mich ist das auch ein Synonym für die Magie des Kinos. Wir, die Filmemacher spiegeln uns in einem Film, in diesem Fall auch noch in der Vorlage eines Romans, einem Spiegel der Romanautorin. Der Film wiederum wird zum Spiegel für die Zuschauenden.
Aus dieser Haltung heraus war wichtig für mich, dass Die Habenichtse kein sentimentaler Film wird, nicht die romantische Erzählung einer verzweifelten Liebe, keine Menage-a-trois, die sich dem Zuschauer quasi auf den Schoß setzt, um ihm von dem Leben anderer zu erzählen. Das hätte der Buchvorlage, in der sich Katharina Hacker jeglicher moralischer Kommentare enthält, Unrecht getan und den Zuschauer in eine unmündige Rezeption gedrängt. Der Film erzählt aus diesem Grund aus einer Distanz heraus, auch damit es mir möglich ist, zu denken, mich selbst in der Geschichte zu finden.
Unter diesem Credo haben wir alle Verdichtung vorangetrieben, erwuchs die Entscheidung in Schwarz-Weiß zu drehen, wurden im Schnitt die Dialoge wieder und wieder reduziert. Und auch in meiner Arbeit mit den Schauspielern war dies meine Grundmotivation: Julia, Sebastian, Ole, Bibiana, Guy, Aljoscha - all diese Menschen darin zu ermutigen, sich selbst in diesen Rollen zu zeigen. Nicht nur eine Figur darzustellen, sondern sich mit ihren eigenen Sehnsüchten, Wünschen und Ängsten zu öffnen.
Die Habenichtse erzählen auch vom Verlust einer Wirklichkeit, auf die man Anspruch zu haben glaubt, von der Weigerung, die uns sehenden Auges den Blick verschließen lässt. Im Film führt das zu einem Ausbruch sinnloser Gewalt – für mich eine Metapher für unseren aktuellen Zeitgeist, den Katharina Hacker fast prophetisch vorweggenommen hat: Jim, der Verlierer unter den Habenichtsen, dem am Ende nicht mal mehr ein eigener Traum bleibt, rächt sich mit brutaler Gewalt an der Teilnahmslosigkeit seiner Umgebung.
Die Habenichtse wurden im Herbst 2015 in 26 Tage gedreht. 22 davon wurden auf Grund der Förderungsstruktur in Deutschland gedreht, vier blieben für die Außenmotive in London. In einer waghalsigen Kraftanstrengung schafften wir es, unter extremen Zeitdruck das nötige Pensum zu bewerkstelligen. Umso mehr wird folgende Episode für immer in meinem Gedächtnis bleiben:
Am Ende des Films gehen Jakob und Isabelle davon und aus dem gewalttätigen Finale erwächst die Möglichkeit einer Liebe. Ich hatte dafür eine lange Kamerafahrt geplant, an deren Ende die beiden in der Tiefe der Einstellung verschwinden. Wir hatten diese Szene bereits vier Mal gedreht, jedoch immer wieder schauspielerische Momente verändert: nehmen sie sich an die Hände? Wenn ja wann? Wer wartet auf wen? etc... Die Zeit drängte und obwohl mit dem bereits entstandenen Material eine Gestaltung im Schnitt möglich war, beharrte ich darauf, nochmals zu drehen. Julia und Sebastian gingen auf ihre Anfangsposition und fingen an davonzulaufen. Und plötzlich geschah das Unerwartete: wie auf ein geheimes Zeichen und ohne unser Zutun füllte sich das Bild mit Spaziergängern, Sportlern, Radfahren, jungen Eltern und unsere beiden Hauptfiguren verschwanden im nachmittäglichen Treiben. So wird das, was sie uns von sich gezeigt haben, zu einer Geschichte in mitten von vielen, zu einer Geschichte von uns.
Berlin, Juni 2016
Filmfestivals / Preise:
Internationales Filmfest München 2016 (Weltpremiere)
Tallinn Black Nights Film Festival 2016
Film Festival Cologne 2016
Braunschweig International Film Festival 2016
Über den Regisseur Florian Hoffmeister
Florian Hoffmeister studierte Regie und Kamera an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb).
Für sein Regie-Debüt 3 Grad kälter erhält er 2005 den Silbernen Leoparden beim Internationalen Filmfestival von Locarno.
Er ist international als Kameramann erfolgreich, arbeitet mit diversen englischen Regisseuren/innen, unter anderen mit Antonia Bird und Terence Davies. Mit seinen Arbeiten gewinnt er BAFTA, EMMY, als auch den ASC Award, der von der American Society of Cinematographers vergeben wird. Die Verfilmung von Die Habenichtse nach dem gleichnamigen Roman von Katharina Hacker, Gewinner des Deutschen Buchpreises 2006, ist seine zweite Regiearbeit.
Foto: Julia Jentsch in der Hauptrolle