Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. Dezember 2016, Teil 9
Filmheft
Paris (Weltexpresso) - Was verbanden Sie mit dem Namen Cousteau, bevor Sie den Wunsch verspürten oder auf die Idee kamen, ihm einen Film zu widmen?
Das geht bis in meine Kindheit zurück... Ich bin in Südfrankreich aufgewachsen, meine Eltern hatten ein Segelboot, und wir segelten an Orten, an denen Cousteau anfangs getaucht war, zwischen den Inseln Embiez und Porquerolles, all diesen Inseln im Departement Var. Natürlich sind mir auch seine Dokumentarfilme, die im Fernsehen liefen, in Erinnerung geblieben. Von Anfang an waren dieser Mensch und sein Lebenswerk mit meinem eigenen Leben verknüpft.
Es ist ein Projekt, das viel Zeit bis zur Umsetzung brauchte - aber wo hat es seinen Ursprung?
Alles fängt mit einem meiner Kinder an. Ich habe zu Hause von Cousteau erzählt und stellte fest, dass mein Sohn keine Ahnung hat, von wem ich rede. Er kannte nichts, weder die Filme noch die Calypso oder die roten Mützen der Besatzung! Das war unfaßbar, denn für die Menschen meiner Generation war Kapitän Cousteau fast so etwas wie Jesus Christus, einer der bekanntesten Männer der Welt… Ich unterhielt mich mit Leuten aus meinem Umfeld und stellte fest, dass er bei den Leuten unter 20 oder sogar bei denen unter 30 allmählich völlig in Vergessenheit gerät.
Also fing ich an zu suchen, was über ihn geschrieben worden war, im Internet oder in Büchern. Ich sah mir noch einmal Dokumentarfilme an, und all das weckte schließlich das Heimweh zu meiner Kindheit. Ich stellte außerdem fest, dass, abgesehen von Wes Andersons Film „Die Tiefseetaucher“, kein Filmprojekt dieses außergewöhnliche Schicksal zum Thema gemacht hat… Ausgehend davon bin ich einfach „dem Faden gefolgt“ und habe bald gespürt, dass es da etwas Geheimnisvolles gibt: Wir wissen nur sehr wenig über Jacques Cousteau. Er hatte genau im Blick, was er preisgab, er filmte sich mit seiner Besatzung, ohne jedoch jemals etwas von seinem Innenleben offenzulegen.
Es gibt dennoch zwei Aspekte in Kapitän Cousteaus Schicksal, die Sie hätten zögern lassen können, einen Film darüber zu machen: seine Familie und das, was der Kapitän hinterlassen hat…
Was den ersten Punkt angeht, ist es richtig, dass Jean-Michel Cousteau noch lebt, ebenso wie Philippes Kinder. Ich habe alle ziemlich früh getroffen und ihnen klar gesagt, was ich gern machen möchte und wie ich es machen würde. Ich habe ihnen auch erläutert, dass es kein Dokumentarfilm, sondern ein richtiger Spielfilm werden würde, ein Kinofilm mit einem gewissen Unterhaltungswert. Die Familie Cousteau und selbst die Menschen, die mit ihm gearbeitet hatten, sollten keine Hagiografie erwarten. Ich sagte ihnen: „Vergessen Sie nicht, dass dieser Film nicht in erster Linie für Sie gedacht ist, sondern für Zuschauer, die wenig über das Thema wissen.“… Bezüglich der ikonenhaften Seite von Cousteau machte ich mir eigentlich keine Sorgen. Das ist nicht das Thema des Films, auch wenn wir natürlich das weltweite Ansehen des Kapitäns und seinen Einfluss auf den Umweltschutz gegen Ende seines Lebens zeigen…
Es stimmt, dass „JACQUES“ in erster Linie einen Menschen porträtiert, mit seinen Zweifeln, seinen Schwächen, seinen Fehlern und Widersprüchen…
Ja, und genau das hat mich im Gespräch mit Menschen, die ihm nie begegnet waren, verblüfft, dieses ungeheuer widersprüchliche Bild. Es gibt die, die ihn verehren und von ihm fasziniert sind, und es gibt die, die ihn nicht ausstehen können, übrigens oft, ohne ihn gut zu kennen. Wieder andere verwechseln ihn mit seinem Bruder Pierre-Antoine Cousteau. Jacques-Yves hatte wegen seiner Mitgliedschaft in der Résistance das Kreuz der Ehrenlegion bekommen, auch wenn er den Krieg im Grunde, ebenso wie Giono, als eine Absurdität betrachtete, die ihn kaum interessierte.
Andere wie Gérard Mordillat stellten ihn infrage und warfen ihm vor, Haie getötet und die Natur anfangs nicht immer respektiert zu haben. Aber das ist auch gerade das Interessante an Cousteau: die Entwicklung seines Verhältnisses zur Natur.
Er hat nie versucht, seine Fehler aus der Vergangenheit zu vertuschen, und das ist ihm hoch anzurechnen. Viele haben ihn gedrängt, „Die schweigende Welt“ neu zu schneiden, zum Beispiel, um schockierende Szenen wie das Massakrieren von Haien zu entfernen. Er lehnte das ab, weil er meinte, der Film müsse als Zeugnis für die vom Menschen in der damaligen Zeit begangenen Fehler, auch seiner eigenen, erhalten bleiben.
Die Dreharbeiten fanden in vielen verschiedenen Ländern statt: in Kroatien, Südafrika, der Antarktis und auf den Bahamas... Wie haben Sie diese Naturkulissen ausgewählt, damit sie zu Cousteaus wahrer Geschichte passen?
Der erste Teil des Films spielt in einem „verlorenen Paradies“, wie ich es nenne, an der unberührten, betonfreien Mittelmeerküste, die es in Frankreich nicht mehr gibt. Die kroatischen Inseln ähneln ein wenig dem Südfrankreich der 40er Jahre… Es ist ein Ort, den ich vorher nicht kannte und der uns herrliche, noch sehr wilde Landschaften bot.
In Südafrika hatte ich „Zulu“ gedreht und war auf dieses Schiff gestoßen, das zwar keine genaue Nachbildung der Calypso ist, aber derselbe Typ ist und aus derselben Zeit stammt. Das war schon mal ein guter Grund, dorthin zu gehen, zumal das Land für Regisseure toll ist, weil man dort viele verschiedene Landschaften und sehr fähige Techniker findet.
Was die Antarktis angeht – dahin wollte ich unbedingt, zum einen aus künstlerischen Gründen, denn dort findet man weltweit einzigartige Landschaften, und dann aus symbolischen Gründen: Es ist der letzte Kampf von Cousteau, dem es gelang, die mächtigsten Männer der Welt dazu zu bringen, ein Moratorium zu unterzeichnen, das die industrielle Ausbeutung der Ressourcen dieser Weltgegend bis 2048 einfriert…
Genießt man als Regisseur schon allein das visuelle Glück, an solchen Orten zu drehen?
Natürlich, zumal es schon ein unglaubliches Glück ist, diesen Film überhaupt zu drehen! Wir sind am Ende übrigens alle in eine kleine Depression verfallen… JACQUES war im wahrsten Sinne des Wortes ein solches Abenteuer, dass wir alle künstlerisch und menschlich verändert daraus hervorgegangen sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass man noch einmal ein solches Abenteuer erlebt, ist äußerst gering.
Um auf die Antarktis zurückzukommen: Da sind wir zum Ende der Dreharbeiten hingereist. Ich hatte allen Bescheid gesagt: Wir würden zu zwölft fahren, plus ein Arzt und ein Drohnenpilot, und alles unter eher harten Bedingungen. Egal, ob Schauspieler oder Techniker, wir würden jeweils zu zweit in 5 Quadratmeter großen Kabinen wohnen… Und 24 Stunden am Tag aufeinander hocken! Im Vergleich zu dem Komfort bei einem gewöhnlichen Dreh war das doch schon speziell… Aber dieser Teil der Welt ist so wunderschön, er führt uns so sehr zum Wesentlichen zurück, dass sich niemand beklagen kann. Bis auf einen Tag, an dem wir in einen heftigen Sturm mit Windgeschwindigkeiten von 140 km/h geraten sind, war jeder von uns in jeder Minute dieser Reise sehr glücklich…
Es gibt in diesem Film auch unglaublich schöne Bilder, zum Beispiel die Ballette von Haien oder Walen…
Das sind in der Tat absolut einzigartige, verrückte Momente… Ich erinnere mich, wie wir eines Nachts, immer noch in der Antarktis, in eine große Bucht mit dem Namen Paradise Harbor gelangten. Der Wind hatte sich endlich gelegt, und wenn das passiert, erstarrt das Meer aufgrund der extrem niedrigen Temperaturen.
Es war ein Uhr früh, und die Sonne, die in diesen Breiten zu der Jahreszeit nicht untergeht, stand knapp über dem Horizont. Das Licht war einfach wunderschön. Unmöglich, mit dem Drehen aufzuhören, selbst nach 16 oder 17 Stunden ohne Pause! Es ist ein einzigartiges Schauspiel von einer unglaublichen Schönheit, eigentlich unbeschreiblich, und das versuchen wir, mit der Kamera einzufangen… Es ist einer der letzten unberührten Orte unseres Planeten, und wir waren nur auf der Durchreise dort - das war sehr beeindruckend. Sie sprachen von den Haien, das ist genauso! Wenn Sie sich einem 4,5 Meter langen Tigerhai gegenübersehen, ist das ein ziemlich verrückter, beeindruckender und bewegender Augenblick!
Sprechen wir über Ihre Schauspieler, zunächst von Kapitän Cousteau alias Lambert Wilson…
Ich fand es wunderbar, mit Lambert zu arbeiten, und es ist übrigens nicht ausgeschlossen, dass wir es schon recht bald wieder tun… Er ist ein Schauspieler, der all das hat, was ich bei vielen Angelsachsen sehr mag: eine Mischung aus Talent, Bescheidenheit und Respekt vor dem Team. Er ist ein Mann mit großer moralischer Eleganz, mit einer wunderbaren Großzügigkeit… Cousteau war ein recht harter Mann, aber Lambert ist so nett (im positiven Sinne des Wortes), dass ich ihn sehr barsche Szenen spielen lassen konnte, ohne dass man seine Filmfigur schrecklich finden konnte! Er strahlt etwas Gütiges aus… Das ist und bleibt eine sehr schöne Begegnung, und ich weiß heute, dass Lambert die ideale Besetzung für Cousteau war.
Der außerdem eine spektakuläre körperliche Leistung erbracht hat, um dem Original ähnlich zu sein…
Ich habe ihn während der Dreharbeiten ständig leiden sehen: Nichts essen, nichts oder fast nichts trinken, eine extrem strenge Diät einhalten und am Ende nur noch Haut und Knochen sein… Lambert hatte ständig Hunger, aber das ist der Preis dafür, dass er Cousteau geworden ist. Ich füge hinzu, dass er am Anfang ganz und gar nicht die Gestalt seiner Vorlage hatte. Die Illusion entsteht nur dadurch, dass er so dünn ist, dass sein Körper so trocken wirkt…
Es gibt eine Figur im Film, die eine echte Entdeckung für das breite Publikum sein wird, und zwar Simone, Jacques-Yves Cousteaus erste Frau, die eigentliche Seele der Calypso. Audrey Tautou hat sie großartig gespielt...
Simone ist eine ganz zentrale Figur in der Geschichte. Ich glaube, Audrey, die eine großartige und intelligente Schauspielerin ist, hat das sofort verstanden. Sie hat mir auch bei unserem ersten Treffen gesagt, dass sie sich Simone sehr nah fühle. Und es stimmt, ich glaube, sie haben wirklich Gemeinsamkeiten. Erstens sind sie beide sehr französisch, mit einer gewissen geistigen Unabhängigkeit, ein bisschen rebellisch, manchmal mit einer großen Klappe, aber im Kern sehr schamhaft. Eine weitere Gemeinsamkeit ist ihre Fähigkeit, ihren Platz in einer sehr männlichen Umgebung zu finden. Es gab in unserem Team nur wenige Frauen, und Audrey hat sich perfekt integriert und ihren Platz an Tischrunden mit zehn Männern gefunden!
Und schließlich muss man wissen, dass Audrey, wie auch Simone, das Meer sehr liebt, sie ist eine echte Seefahrerin. Ich habe sie während des Sturms in der Antarktis gesehen: Der Wind blies mit 80 Knoten, und sie zuckte mit keiner Wimper, war ruhig und heiter. Ich hatte immer das Gefühl, dass es für sie ganz natürlich war, Simone zu spielen. Man muss auch sagen, dass mich Audrey mit ihrer Technik beeindruckt hat und auch mit der Emotion, die sie rüberbringen kann. Es gelang ihr, die Dinge noch nach mehreren Takes exakt zu wiederholen, sie setzte sie um und beherrschte sie, ohne dass man jemals die Technik spürte...
Kommen wir zu den beiden Söhnen von Cousteau und dabei zunächst zu Pierre Niney, der die Rolle des Philippe spielt, eine wichtige, zum Ende der Geschichte sogar entscheidende Rolle…
Ich hatte Philippe getroffen, bevor der Film „Yves Saint Laurent“ anlief und nachdem ich ihn in „Just Like Brothers“ von Hugo Gélin gesehen hatte. Ich hatte ihm die Rolle des Philippe angeboten, die damals noch nicht so wichtig war, und er hatte zugesagt… Das heißt, Pierre war von Anfang an für das Projekt eingeplant - damals waren noch Adrien Brody und später Romain Duris vorgesehen, um Kapitän Cousteau zu spielen. Trotz aller Schwierigkeiten blieb er dem Projekt immer treu!
Als wir für die letzte Etappe der Dreharbeiten wieder zusammenkamen und uns auf der Brücke des Schiffes, das gerade ablegte, um uns in die Antarktis zu bringen, wiedersahen, fielen wir uns in die Arme. Wir hatten so lange von der „Odyssee“ gesprochen, von dieser Reise in die Antarktis, die den Film abschließen sollte, und endlich war es soweit, wir hatten es geschafft!
Pierre ist ein großartiger Schauspieler, der eine große Stärke hat: einen echten Sinn fürs Erzählen, also für das, was die Amerikaner „Storytelling“ nennen. Ich denke, das wird er nutzen können, wenn er einmal als Regisseur Spielfilme macht, was früher oder später unweigerlich geschehen wird… Es ist eine Gabe, die er schon jetzt als Schauspieler hat. Er kann sofort erfassen, auf welche Momente oder Repliken er sich in einer Szene stützen muss, damit der Zuschauer den Erzählstrang oder eine Gefühlsregung, die seine Filmfigur in diesem Moment empfindet, besser verstehen kann. Diese Fähigkeit, diese Reife hat er. Trotz seines Alters. Auch wenn er - während wir ihn dauernd als jungen Mann bezeichnen, inzwischen immerhin schon 27 ist!
Jetzt ist Ihre lange, vor so vielen Jahren begonnene Reise mit Kapitän Cousteau zu Ende. Wie betrachten Sie Ihre „Odyssee“ heute?
Was mich am meisten freut, ist die Feststellung, dass der Film anscheinend alle, die ihn bisher sehen konnten, genauso berührt, wie mich diese Geschichte berührt hat. Ich erinnere mich noch an den Augenblick, in dem ich die letzte Fassung des Drehbuchs, das ich in einem Rutsch in drei Wochen geschrieben hatte, fertigstellte. Ich hatte Stunden um Stunden gearbeitet und fing an zu weinen… In diesem Zustand schrieb ich die letzten Seiten.
Ich hoffe, dass die Zuschauer diese Emotion auch fühlen können, denn „JACQUES“ ist ein Film, der von sehr einfachen, aber für die meisten unter uns wichtigen Dingen handelt, zum Beispiel von unserem Verhältnis zur Natur, die uns umgibt, oder von komplizierten Verhältnissen innerhalb der Familie, die das Leben manchmal kaputtmacht. Ich möchte dazusagen, dass das ein Abenteuer ist, das mich als Mensch verändert hat.
Früher hatte ich zwar ein Umweltbewusstsein, aber es wurde noch einmal deutlich gestärkt. Die biologische Vielfalt, die Klimaerwärmung… Das sind ganz wesentliche Themen für die kommenden Jahre. Wir reden viel darüber, aber wir tun sehr wenig, viel zu wenig. Und schließlich waren die Dreharbeiten so schwierig, dass sie mir für alles Weitere eine unglaubliche Kraft gegeben haben! Das ist wahrscheinlich Cousteaus Anteil, der auf uns abgefärbt hat: Er hatte diese wahnsinnige Fähigkeit, Dinge möglich zu machen, die der Rest der Welt für unmöglich hielt… Tja, und ich glaube, mit der Realisierung dieses Films sind wir seinem Beispiel gefolgt.
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