Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. Dezember 2016, Teil 13

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Und was passiert mit der einsam im Bett lesenden Susan? Sie kann gar nicht anders, als zum einen diese schreckliche Geschichte mitzuerleben, mitzudurchleiden, zum anderen ihre eigene gegenwärtige Situation zu spiegeln. Weshalb hat sie diesen Mann, der hier so herzergreifend schreibt, überhaupt verlassen?


Wieso lebt sie zwanzig Jahre in einer Ehe, die im Kern keine ist? Denn wie könnte sie sonst so einsam sein? Auf jeden Fall ist ihr bewußt, daß dieses Buch ihre Einschätzung ihres ehemaligen Mannes verändert. Und sie teilt ihm mit, daß sie es liest, sein Manuskript. Und dann, wie sie davon gefesselt ist. Bis zum Ende des Buches. Ja, sie will ihn gerne treffen, sie macht sich besonders schön und wir begleiten sie in das feine Restaurant, wo sie mit ihm speisen will und erst einmal dem Wein zuspricht....

Das kommt Ihnen bekannt vor? Ja,  es ist eine häufig in Filmen dargestellte Situation, die besonders Frauen betrifft und besonders häufig schöne Frauen: schön und einsam zu sein. Das ist das eine. Das andere ist, daß Ford diese Einsamkeit geradezu durchbuchstabiert und es für uns und die Protagonistin kein Entrinnen gibt, weil alles auf das Lesen des Buches/ den Film im Film zugeschnitten ist und sonstiges Leben ausgespart bleibt und nur in den Rückblenden ihrer ersten Ehe stattfindet. Bis auf den Anfang. Da leistet sich der Regisseur  wie in einem Prolog etwas Irres, was am Ende zur bloßen Wandgestaltung wird.

Man sieht Frauen, dicke, teil alte, teil überfette Frauen mit tiefroten Mündern, deren Haut aus Fleischwülsten besteht, alles Insignien von großer Häßlichkeit und im Dunkeln verborgen, sonst. Hier aber geschieht das Gegenteil. Diese Frauen fangen an, ihre Fleischwülste, ja Fleischberge in einen Rhythmus zu versetzen, daß alles an ihnen wabert und auf- und abspringt, in Bewegung gesetztes Fleisch. Unglaublich. Und das nicht einmal, sondern mehrmals. Exotisch und gewöhnlich gleichermaßen. Und eine Ästhetik für sich.  Außerdem erinnern die rhythmisierten Fleischbewegungen, die gegenüber der Echtzeit verlangsamt sind, so daß man jedes Schwabbeln genau verfolgen kann,  uns an dieses Cheerleadergehobse, irgendwie tragen die Frauen auch solche Rüschen, Epauletten, bedecken ein wenig ihr Fleisch bei dem Getue, was wir immer als besonders absurd für die heutige Zeit empfinden.

Irgendwie unheimlich und noch nie dagewesen. Kommen sie zur Ruhe, die fetten alten Damen, liegen sie fast nackt auf einem weißen Podest. Was man zu Beginn zuerst für eine Vorführung hält, entpuppt sich als Videoinstallation, die in der Galerie von Susan an der Wand hängt und Teil der Vernissage ist, mit der der Film dann wirklich beginnt. Und diese Videos hängen auch an der Wand des schicken Restaurants am Schluß oder foppt uns jetzt die Erinnerung und  verfolgen uns diese Bilder schon im Schlaf und beim Schreiben? Eigentlich hat das vordergründig und logisch überhaupt nichts mit der folgenden Handlung zu tun, aber doch und doch...

Wenn Susan dann nach der Vernisage nach Hause fährt, sehen wir ein lebhaftes Los Angeles in Autoströmen, sie aber kommt in ihre sterile Villa, die so einladend ist, wie ein Eiskeller, nur sehr viel teurer – und dann auch noch ein Jeff Koons im Garten. Es ist eine vorzeigbare, aber kalte Welt, die uns das Glas, die schicke Küche, also all das Designergetue der Einrichtung vorführt. Und inmitten der Kälte eine kleine dünne Person, die der Welt nur die eine Gesichtshälfte zeigt, die andere hat sie unter dem brustlangen rotblonden Haar verborgen. Ach so, dick zugeschminkt ist sie auch, auszgezogen nur um die Brust. Es stimmt alles am Ambiente dieser Immobilie, nur will es bei näherer Betrachtung keiner haben. Auch Susan nicht, die, als sie nicht schlafen kann, dann ratlos doch das Buch ihres Mannes zur Nachtlektüre herausholt und zu lesen beginnt.

Eigentlich fallen einem erst im Nachhinein kleine feine Filmpralinen auf, die nicht aufdringlich, aber doch perfekt gesetzt sind. Als Susan das Paket mit dem Manuskript bekommt, da fügt ihr der  aufgeschnittene Umschlag einen kleinen Schnitt im Finger zu. Wer je so etwas erlebte, ich auf jeden Fall mehrmals, der weiß, wie weh das tut und  daß Blut austritt und man selbst gar nicht fassen kann, daß eine Papierkante einen schneidet. Gut beobachtet und in Zukunft muß ich mich fragen, ob wie bei Susan ein Zusammenhang von wirklicher Verletzung und innerer Verwundung besteht.

Oder die Szene mit der Mutter von Susan, der die grandiose Laura Linney kurz aber durchschlagend Gestalt gibt, als sie ihre Tochter vor einer Ehe mit dem dahergelaufenen Schriftsteller warnt. Schließlich kommt Susan aus guter Familie mit Geld im Hintergrund und die Mutter warnt, wie das weitergeht, mit den Müttern und den Töchtern, bis diese eben genauso zu jenen werden. Was stimmt. So gibt es noch mehr, was nicht aufdringlich, aber doch klug verteilt aufblitzt.

Bei all dem Durcheinander an zeitlichen Ebenen, heute, gestern, der Roman, was eigentlich den Film zusammenhält, fällt dann zunehmend auf, wie schlafwandlerisch die Susan der Amy Adams wird. Geradezu somnambul wandert sie durch ihr eigenes Leben, wozu sie die Lektüre des Buches zwingt. Warum schreibt ihr Exmann ein solches blutiges Buch? Das er ihr widmet. Was hat es mit ihr selber zu tun? Diese Frage bleibt exentiell. Susan durchläuft zweierlei: einmal rückverwandelt sie sich ein Stück in ihr früheres Selbst, aber andererseits wird sie immer blasser und ein Schatten ihrer selbst, was sie mit viel Schminke zum Date mit dem Verflossenen korrigieren will. Aber die Blässe ist ja nicht nur eine der Haut, sondern die ihrer Existenz.

Doch, es muß noch ein Nachsatz kommen. Dieser Film basiert auf einem Buch, das TONY & SUSAN heißt und von Austin Wright stammt. Tom Ford ist ein berühmter Name im Fotogeschäft. Mit A SINGLE MAN hat er  ein bemerkenswertes Debüt fortgesetzt; dieser zweite Film zeigt ihn einerseits als Mann der geläufigen cineastischen Filmkunst, andererseits als jemanden, der was zu erzählen hat. Es bleibt dabei. Man muß zu diesem Film mindestens zwei Meinungen haben...aber doch und doch…

 

Foto: (c) Verleih

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BESETZUNG


Rolle Schauspieler Synchronstimme
Susan Morrow AMY ADAMS Giuliana Jakobeit
Tony Hastings JAKE GYLLENHAAL Marius Clarén
Edward Sheffield JAKE GYLLENHAAL Marius Clarén
Bobby Andes MICHAEL SHANNON Oliver Stritzel
Ray Marcus AARON TAYLOR-JOHNSON Alexander Doering
Laura Hastings ISLA FISHER Maria Koschny
Lou KARL GLUSMAN Patrick Roche
Hutton Morrow ARMIE HAMMER Sascha Rotermund
Anne Sutton LAURA LINNEY Katrin Fröhlich
Alessia ANDREAS RISEBOROUGH Anna Grisebach
Carlos MICHAEL SHEEN Markus

 

Buchvorlage: Austin Wright, Tony § Susan, Luchterhand Literaturverlag 2012