Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. Januar 2017, BLUMEN VON GESTERN, Teil 10

Filmheft

Berlin (Weltexpresso) – Lars Eidinger muß man nicht vorstellen. Er gehört zu den profiliertesten gegenwärtigen Schauspielern auf deutschen Bühnen. In Spiel- und Fernsehfilmen übernimmt er völlig unterschiedliche Rollen. Diese hier ist sehr explosiv und extrovertiert. Die Redaktion


WIE HABEN SIE SICH IHRER FIGUR TOTO BLUMEN ANGENÄHERT?

Im Grunde versuche ich stets, alle Figuren aus mir heraus zu entwickeln. Es ist nicht so, dass ich mir überlege, wer aus meinem Bekanntenkreis oder wer von den Menschen, denen ich begegnet bin, vielleicht so wie Toto ist, und dann versuche, das zu imitieren. Das kann ich auch gar nicht. Ich bin ganz schlecht im Imitieren. Ich kann alles Elementare immer nur aus mir selbst holen. Und ich habe wahnsinnig viele Anteile an dieser Figur Toto, die musste ich nur entdecken und wachrufen.


WELCHE ANTEILE MEINEN SIE?

Der misanthropische Aspekt dieser Figur, der hat mich sehr interessiert.  Das  war  etwas,  glaube  ich,  von  dem  Chris  Kraus dachte, dass ich das nicht so einfach herstellen kann, weil ich von meiner Ausstrahlung fast gegenteilig auf die Leute wirke. Man hat womöglich immer das Gefühl, ich sei so ein sympathischer Typ, sehr kompatibel mit den Menschen, das Gegenteil eigentlich von einem Misanthropen.

Ich würde aber behaupten, ich bin ein totaler Misanthrop und betreibe wahnsinnig viel Aufwand, das zu deckeln. Das war  dann  eine  Herausforderung,  die  Aggression  zuzulassen. Ich musste einen Weg finden, das im Spiel glaubwürdig sichtbar zu machen.



WIE  FUNKTIONIERTE  DIE  ZUSAMMENARBEIT  MIT  DEM REGISSEUR?

Chris  ist  jemand,  der  nur  am  Schauspieler  arbeitet.  Die  ganze Inszenierung funktioniert nur über die Schauspieler. Wenn das Schauspielerische stimmt, dann stimmt für ihn auch der Rest. Und da ist er wahnsinnig irrational. Mich hat das auch wirklich berührt, weil ich so jemanden noch nie kennengelernt habe, der so emotional guckt, der so bei den Menschen und in den Figuren ist und da auch so eine wahnsinnige  Empathie  entwickelt.  Wenn  man  während  der  Dreharbeiten  sieht,  wie  er  am  Monitor  sitzt,  wie  er  da  völlig versunken reinguckt ...

Ich hatte das Gefühl, das analysiert er gar nicht, sondern er lässt sich einfach von seinem Gefühl leiten. Und wenn das für ihn funktioniert, dann ist er zufrieden – und wenn nicht, dann ist er verzweifelt. Und das ist natürlich etwas, was einen Schauspieler am Anfang
auch verunsichert, weil Chris nicht sagt: Okay, muss man mal gucken. Sondern er sagt: Nein, das funktioniert überhaupt  nicht.  Und  um  so  euphorischer  ist  er  dann,  wenn  etwas  gelingt.  Und  da  lässt  er  einem  auch  alle  Freiheit.  Man kann da auch mutig sein und ausprobieren und etwas anders machen, aber er ist immer wahnsinnig genau. Man fühlt sich da als Schauspieler auf der einen Seite natürlich unter Druck gesetzt, weil der Anspruch so hoch ist. Und auf der anderen Seite fühlt man sich sehr gut aufgehoben. Ich habe  selten  so  eine  extreme  Nähe  zu  dem  Regisseur  gespürt wie bei dieser Arbeit.



FÜR TOTO WIRKT DIE VERGANGENHEIT SEHR STARK IN  SEINE  GEGENWART  HINEIN.  SEHEN  SIE  DARIN  EHER EIN INDIVIDUELLES ODER EIN GESELLSCHAFTLICHES PHÄNOMEN?

Die wenigsten Leute werden dir – wenn du sie fragst: was hat denn dein Großvater im Krieg gemacht? – gleich sagen: Na, der hat soundsoviele Leute umgebracht, oder der hat im Konzentrationslager gearbeitet oder was weiß ich. Die meisten werden sagen: Der war halt Soldat. Oder sie werden sagen: Nee, der hatte damit gar nichts zu tun. Achtzig Prozent der Leute aus der jüngeren Generation, so habe ich  in einer Studie gelesen, gehen davon aus, dass ihre Großeltern dem „Dritten Reich“ ablehnend gegenübergestanden haben, was bei einem Massenphänomen wie dem  Nationalsozialismus  natürlich  extrem  fragwürdig  ist.  

Ich  finde,  der  Verantwortung,  mit  der  Vergangenheit  umzugehen,  muss man sich stellen. Und da darf man nicht leichtfertig
sein.  Sich  einfach  die  Wangen  zu  schattieren  und  mit  Grabesstimme zu sagen, jetzt geht’s nach Auschwitz, das finde ich zu banal. Deswegen war ich froh, dass unser Film keine Rückblenden hat, sondern in der Jetztzeit spielt und tatsächlich in erster Linie davon handelt, inwieweit denn unsere  Generation  noch  berührt  ist.  Wie  stark  sind  wir  davon noch infiziert? Welche Rolle spielt bei der Auslegung unserer  Persönlichkeit  oder  unserer  Charakteristik  die Geschichte unserer Großeltern? Das finde ich total interessant.  Weil  ich  immer  das  Gefühl  hatte,  dass  wir  davon  hochgradig betroffen sind, nach wie vor.


VOR  DIESEM  HINTERGRUND  ERLEBT  IHRE  FIGUR  EINE AUSSERGEWÖHNLICHE  LIEBESGESCHICHTE  VON  GROSSER  INTENSITÄT.  WIE  WAR  DIE  ARBEIT  MIT ADÈLE HAENEL?

Bei  Adèle  hatte  ich  das  Gefühl,  dass  ich  eigentlich  mein  weibliches Pendant gefunden habe. Wir ticken in Hinsicht  auf  die  Schauspielerei  beide  sehr  ähnlich.  Adèle  ist  niemand, die jemals gegen einen Kollegen spielen würde oder die zu sehr mit sich beschäftigt ist, im Gegenteil. Alles, was sie im Film spielt, funktioniert über mich als Partner, und umgekehrt, alles, was sie nimmt, nimmt sie aus mir. Und das ist wahnsinnig befriedigend. Das heißt ja nicht, dass es die absolute Harmonie gibt. Es gibt natürlich trotzdem Schwierigkeiten oder Momente, wo man lange braucht, um zusammenzufinden. Aber der Anspruch war immer der gleiche. Und deswegen waren wir in der Lage, zusammen in eine Emotionalität zu gehen, die man sonst in der Arbeit so nicht erlebt.




IST DAS KOMÖDIANTISCHE SPIEL EINE BESONDERE HERAUSFORDERUNG?

Die Schwierigkeit besteht darin aufzupassen, dass die Figur sich der Komik – die man als Schauspieler natürlich reflektiert,  wenn  man  die  Szene  liest  –  am  besten  gar  nicht  bewusst  ist.  Und  mich  interessiert  letztendlich  in  diesen  komödiantischen  Situationen  die  Tragik,  die  sie  für  die  Figuren bedeuten, auch so viel mehr, dass ich nie versucht wäre, die Figuren zu verraten, indem ich sie sozusagen an den  nächstbesten  Gag  verkaufe.  Auf  der  anderen  Seite  muss ich sagen: Ich fand das Drehbuch wirklich sehr lustig.

Das war dann immer ein ganz guter Lackmus-Test, wenn uns der Fahrer morgens am Hotel abgeholt hat und Adèle und ich schon einmal den Text gesprochen haben: Und der hat  sich  dann  schlapp  gelacht.  Da  bekam  man  eigentlich  schon eine Ahnung davon, was für ein komisches Potential die Szenen haben.