Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. Januar 2017, Teil 4
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die lebenslustigen, liebenswerten Städte und Touristenmagneten, Rom und Wien, einmal ganz anders. Mit dem Überlebenskampf von Viola (Violetta Schurawlow) gegen den Serienkiller beginnt es in Österreich und noch im Januar folgt mit SUBURRA die Ewige Stadt in Italien, wo fast alles im Finsteren stattfindet und es ununterbrochen regnet.
Das ist in Wien ganz anders und dennoch gelingt es Stefan Ruzowitzky, diesem Wiengefühl von Sachertorte und Kaiserschmarrn den Garaus zu machen. Und natürlich schaut man bei einem Ruzowitzky besonders hin. Er hat mit DIE FÄLSCHER damals den Auslandsoscar erhalten und diesen Film kann man bedenkenlos immer wieder sehen, so funktioniert diese Geschichte und ihre Bannung auf die Leinwand. Aber auch der Dokumentarfilm DAS ABSOLUT BÖSE ist absolut gut. Wir sind dem Regisseur in die Tiefen der Nacht von Wien einschließlich der furchterregenden Taxifahrt und deren Gegengewicht, dem vorsichhinarbeitenden Kommissar Steiner (Tobias Moretti) und seinem dementen Vater (Friedrich von Thun) atemlos gefolgt – und belohnt worden.
Man – und vor allem der Kommissar – braucht schon ein bißchen Zeit, bis man das alles auf die Reihe bekommt und mit Recht steht der Serienmörder, seine Auftritte und was die junge muslimische Taxifahrerin Özge damit zu tun hat, im Mittelpunkt. Wir sind einfach dabei, wenn es losgeht, wenn die junge Frau, die sich zur Mehrzweckwaffe ausgebildet hat, der keiner frech kommt, die schon mit Blicken signalisiert: hier wird zurückgeschossen, wenn diese in die ihr unbekannte und verhaßte Situation gesperrt wird: die der Zuschauerin, die nicht handeln kann.
Sie muß nämlich von ihrem Fenster aus einem Mord zuschauen, bei dem sie sofort weiß, daß hier der aktuelle und in den Zeitungen verschrieene Serienkiller am Werk ist. Natürlich muß man an Hitchcocks DAS FENSTER ZUM HOF denken, aber mit der Assoziation hat es sich auch schon. Hier ist alles ganz anders. Sie sieht im Fenster gegenüber wie die Umrisse eines Mannes eine Frau regelrecht abschlachten und wie der Mörder sich dann ihr selbst zuwendet und sie direkt anschaut. Damit ist klar, daß sie als Mitwisserin ausgeschaltet werden muß, auch wenn er sie deutlicher gesehen hat, als sie ihn. Und ab jetzt ist der Film ein Thriller, der hält, was er verspricht.
Parallel hatten wir schon mitbekommen, daß Kommissar Steiner sehr ungern nur noch seinen Dienst versieht, der sich sehr geändert hat und Steiner sich deshalb nicht mit voller Leidenschaft, sondern mit Wiener Granteln der Verbrechensaufklärung widmet. Außerdem hat er ganz andere, nämlich private Sorgen. Das wird sich ändern und wie diese beiden Stränge miteinander verwurschtelt werden und einen dicken Zopf ergeben, das ist spannend, vor allem, weil dann dieser Zopf auch noch abgeschnitten wird.
Inzwischen hat der Horror voll von der jungen Taxifahrerin Besitz ergriffen, als dieser Typ einsteigt, den sie sofort erkennt und sie nun den Serien- und potentiellen Mörder ihrer selbst durch Wien kutschieren muß. Das ist ein Horrorfilm und die Verfolgung per U-Bahn durch das Wiener Netz dann gleich ein Actionfilm dazu, wo der Horror Teil der Beschleunigung wird, die Özge innerlich und äußerlich ereilt. Das Gegenteil dann, als sie sich in die Wohnung des Kommissars rettet, der ihr seine Adresse gab, als sie ihm gegenüber aus Angst vor allem, der Polizei und dem Mörder, nichts weiter als Augenzeugin berichten wollte. Der Kommissar ist über ihr Erscheinen verblüfft, will sie erst einmal gleich loswerden und wie er mit kleinen Gesten so nach und nach anderen Sinnes wird, diesem Prozeß schauen wir bei dem wie immer subtil spielenden Moretti zu, gerne zu, weil die Filmfigur nur so zu verstehen ist.
Daß in der Welt immer wieder alles anders ist, als es scheint, hat Drehbuchautor Martin Ambrosch an der Figur und Familie des Kommissars aufgezeigt. Der im Kern ruhelose Film – er muß ja so sein – wird durch die handelnden Personen nun entschleunigt. Wenn wir überrascht zur Kenntnis nehmen, daß der verbitterte Kommissar zu Hause seinen dementen Vater pflegt und ihn mit Liebe und Kompetenz, wenngleich auch Entschiedenheit, wo es nottut – und das tut es bei diesem Vater dauernd – betreut, bekommt diese Figur ganz andere Hintergründe und Dimensionen und nur deshalb können wir auch verstehen, weshalb er – nach Dawiderreden und Granteln – Özge dann doch in der Wohnung bleiben läßt.
Und für sie ändert sich in dem Moment alles in ihrem Verhältnis zu diesem Kommissar, als sie sieht, wie dieser seinem Vater den Hintern abputzt. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Wieso der Mörder sie aufspürt und wie der alte Vater seinen Schabernack treibt und sich klüger verhält, als die Polizei erlaubt, damit treten wir ins langgestreckte Finale des Films ein, von dem man jede Minute genießt.
Das ist alles richtig, und dennoch haben wir die entscheidenden Treiber im Film noch nicht benannt. Özge auf der Flucht sucht natürlich sofort ihre Eltern aus. Das ist schon deshalb nicht natürlich, weil wir durch Bemerkungen und Blicke mitbekommen, daß ihre Zuhause, ihre Familie kein friedlicher Ort für sie sind, sondern Ort der Gewalt und des sexuellen Mißbrauchs durch ihren Vater, was die Mutter gewähren ließ. Sie muß erleben, daß der Vater die Polizei, die sie sucht, informiert und die Mutter schon wieder zusieht, daß die kleine Tochter ihrer Schwester Sexobjekt für den Vater werden wird. Deshalb schnappt sie die Kleine und nimmt sie mit, was die Verbrecherjagd noch turbulenter und bunter macht.