Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. Januar 2017, Teil 10

Olivier Père

Paris (Weltexpresso) – Doch, es lohnt, sich diesen Film und seinen Hintergrund genauer anzuschauen. Uns wird durch heutige Technik auf der Leinwand das Übernatürlichste als vollkommen normal und abbildbar gezeigt, wie die Filme nämlich unsere Welt im Außerirdischen mit Phantasietechniken nachahmen. Warum nicht dem nachspüren, was sich im Inneren von Menschen zeigt und dies auf die Leinwand holen? Die Redaktion



Wie kam es zu PERSONAL SHOPPER? Es gibt ja einige Anknüpfungspunkte zu DIE WOLKEN VON SILS MARIA , Ihrem vorherigen Film . Aber da ist jetzt etwas Sprunghafteres, Schwindelerregendes – sei es die Form oder etwas, das tiefer liegt.

Ich glaube, das liegt an dem Kontext, in dem ich PERSONAL SHOPPER geschrieben habe. Es war eine schwierige Situation, weil ich den Film, den ich eigentlich gerade vorbereite und der in Kanada spielen sollte, kurz vor Beginn der Dreharbeiten abbrechen musste. Also kehrte ich zurück nach Paris mit einem Film, der nie gedreht werden würde, und ich tat etwas, was ich schon lange nicht mehr getan hatte : eine Geschichte aus dem Nichts heraus schreiben, ausgehend von einem völlig weißen Blatt Papier. Normalerweise haben meine Filme Wurzeln, sie durchleben einen besonderen Entstehungsprozess. Aber nun musste ich auf die Gegenwart zurückgreifen, auf einen Nullpunkt .

An diesem Tag begann ich , den Film basierend auf einem ganz einfachen Gedanken zu schreiben: Eine junge Frau, die in der heutigen Welt lebt, hat einen entfremdenden, materialistischen Job und sucht ihr Heil in der Ablehnung dieses Materialismus, also in der Welt der Ideen. Wie schon bei SILS MARIA wollte ich mich beim Schreiben von meinem Unterbewußtsein führen lassen. Ich vertraue sehr auf diese Schreibmethode, die ja genau das Gegenteil von dem ist, was in amerikanischen Drehbuch-Lehrbüchern steht . Man fängt an zu schreiben und enthüllt somit Stück für Stück die Geschichte, die sich wiederum Stück für Stück offenbart . Für mich ist das eine spannende Möglichkeit für zeitgenössische Fiktion, weil man sich von den Grundelementen einer Geschichte entfernt und dadurch mal mehr, mal weniger weit auf dem Weg der Fiktion geführt wird. Der Unterschied bei diesem Film war, dass ich nur einen Teil des Weges gegangen bin und Kristen Stewart den Rest gegangen ist .


PERSONAL SHOPPER erzählt die Geschichte von Maureen, einer jungen Amerikanerin in Paris, die einen Weg sucht, mit ihrem verstorbenen Zwillingsbruder zu kommunizieren. Aber irgendwie scheint sie auch den Kontakt zu sich selbst wiederfinden zu wollen.

Ja , sie sucht nach sich selbst, denn für sie bedeutet der Tod ihres Bruders den Verlust eines Teils ihrer selbst, was ihr Dasein unerträglich macht . Maureen ist eine Figur in der Schwebe. Sie ist keine Pariserin, aber sie kam nach Paris, um ihren verlorenen Bruder zu suchen. Sie glaubt an okkulte Kräfte, an die Möglichkeit der Kommunikation mit dem Jenseits, und versucht auf diese Weise, zu einem vergangenen Zustand zurückzukehren. Natürlich muss sie sich eigentlich von dieser Vergangenheit befreien, um ihre Trauer zu überwinden und schließlich zu sich selbst zu finden.


In der Art, wie sich der Film zwischen der sichtbaren und unsichtbaren Welt, zwischen den Lebenden und den Toten bewegt, geht der Film weiter als SILS MARIA und reflektiert somit auch die Bestrebungen Ihrerseits, sich mehr dem Fantastischen zuzuwenden.

Ich habe in meinen Filmen schon immer mit dem Fantastischen geliebäugelt, obwohl ich den Sprung bisher nie wirklich gewagt habe. Mit PERSONAL SHOPPER wollte ich herausfinden, was passiert, wenn ich mich einer Sache stelle, die mich immer wieder beschäftigt: Das intime, profunde Vermögen des Kinos, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Indem ich dies zum Gegenstand eines Films machte, war es mir möglich , mich mithilfe von Genreelementen dieser Idee anzunähern, ohne dass es rein theoretisch war.


Wie auch in IRMA VEP kommt in PERSONAL SHOPPER eine ganz besondere Seite Ihrer filmischen Handschrift zum Tragen. Diese besteht darin, Bilder ganz unterschiedlicher Natur innerhalb einer Geschichte zu vereinen. Diese Bilder vermischen sich und schaffen ein hybrides Kino, welches unsere heutigen Sehgewohnheiten widerspiegelt – vor allem angesichts der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Medien.

Für mich geht es darum, über den Zustand des Kinos nachzudenken. Wir neigen heute dazu, das Kino mit anderen Arten von Bildern gleichzusetzen, so dass diese das Kino als Rechtfertigung nicht brauchen, weil das Kino sie nicht als Rechtfertigung braucht . Die derzeitige Bilderflut führt dazu, dass wir die Stellung des Kinos aus den Augen verlieren, was aus meiner Sicht – vielleicht, weil ich Idealist bin – an seiner Fähigkeit liegt, das Zeugnis anderer Bilder zu sein. Das Kino ist kein Kapitel in der Geschichte der Malerei o der des Theaters, sondern eine eigenständige Kunstform, welche fähig ist, die anderen Künste wie auch deren Transformationen zu beobachten. Bilder machen heute einen beträchtlichen Teil unseres Leb ens aus, sie beeinflußen maßgeblich unser Sein und wie wir unsere Identität definieren. Ich habe den Eindruck, dass sich das Kino nicht damit zufrieden geben kann, bloß ein Bild unter vielen zu sein, sondern das Bild , dass dieses Phänomen beobachtet und es uns ermöglicht, darüber nachzudenken, indem es dieses Phänomen dokumentiert .


PERSONAL SHOPPER thematisiert auch die Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen in der Welt der Mode und des Luxus. Man kann sagen, dass sie immer eine kritische und moralische Distanz halten zu den Welten, die Sie zu faszinieren scheinen.

Man kann es abstreiten oder ablehnen, aber wir sind alle ein funktionierender Teil dieser Realität, in der wir leben. Wie jeder habe auch ich die „ Bling-Bling-isierung“ der Welt miterlebt, dieser neue Fetisch der Globalisierung, dessen stark symbolischer Ausläufer die Mode darstellt . In einer Wirtschaft, der es nicht gut geht, verkörpert der Luxus den Wohlstand. Er erhält eine eigene Identität, die das Gegenteil des Spirituellen ist . Es gibt nichts Brutaleres in der Artikulation des Individuums und der materiellen Welt als die Welt des Luxus. Aber so, wie der Kunstmarkt mit seinen Mechanismen mich nicht davon abhält,
die Relevanz der bildenden Künste zu erkennen, bin ich auch in der Lage, die Anziehungskraft der Schönheit und eine Form der Moderne in der zeitgenössischen Mode zu sehen. Ich bin in der Hinsicht kein Puritaner.



Der Film schließt durch die Figuren Victor Hugo und Hilma af Klint die Literatur und die Malerei in seine Erzählung ein. Denken Sie, die Kraft des Kinos liegt auch darin, andere Kunstformen in sich aufzunehmen?

Mit PERSONAL SHOPPER wollte ich experimentieren und Dinge weiterentwickeln, die ich früher schon gemacht hatte. Der Film handelt von Einsamkeit, die oft durch jemanden verkörpert wird, der nachdenklich ist und auf der Suche nach etwas. Die Suche eines jeden nach seiner Identität, seiner Art des Seins, wird von der Kunst genährt. Die Kunst dient diesem Zweck, sie ist einerseits ein Mittel zur Erkundung der Welt und gleichzeitig ein Trost, ein Balsam gegen die Einsamkeit. Ich wusste sofort, dass die Figur ein solches Innenleben haben würde, und ich habe darauf gesetzt, dass der Film dieses Innenleben
erzählen kann, indem er Maureens künstlerische und intellektuelle Gefühle mit dem Zuschauer teilt. Ich wählte dafür zum einen eine sehr wenig bekannte, aber sehr kraftvolle Dimension im Werk Victor Hugos, seine von spiritistischen Sitzungen inspirierte Poesie, und zum anderen die Figur der Hilma af Klint, deren Werk erst vor ein paar Jahren dank einer schwedischen Ausstellung entdeckt wurde. Die Rolle dieser Frau in dieser entscheidenden Phase der bildenden Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde bis dahin völlig ignoriert. Ich dachte mir, dass es für eine junge Frau von heute, die ihren Platz in der Gesellschaft, in dieser schrecklich sexistischen Welt sucht, ganz interessant sein könnte, eine solche Schlüsselfigur angeboten zu bekommen.


Sie behandeln die übernatürlichen Phänomene auf eine ganz besondere Art und Weise. Wurden Sie von bestimmten Horror- oder Geisterfilmen beeinflusst oder hat Ihre Inspiration andere Quellen?

Wenn ich schreibe, versuche ich zu ignorieren, wie diese Situationen oder Gefühle bereits im Kino behandelt wurden. Ich suche eher nach modernen, zeitgemäßen Wegen, um sie wieder in der Gegenwart zu verorten. PERSONAL SHOPPER ist keiner Genrefilmtradition verschrieben, sondern sucht lediglich nach einer Art der Darstellung der Kommunikation mit Geistern. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Ende des 19. Jahrhunderts eine Schlüsselperiode. Alle möglichen Erfindungen veränderten radikal unsere Wahrnehmung der Welt: Elektrizität, Röntgenstrahlen, Telegrafie. Dinge, die man bis dahin für undenkbar gehalten hatte, wurden plötzlich möglich. Mit Toten zu kommunizieren erschien deshalb nicht ungewöhnlicher oder schockierender als kabellose Kommunikationswege oder die Vorstellung, dass uns unsichtbare Wellen und Strahlungen umgeben. Zwischen Mitte und
Ende des 19. Jahrhunderts wird die Möglichkeit des Zugangs zum Jenseits eine nicht unwahrscheinliche Angelegenheit, und ich wollte verstehen, was die Spiritisten zu sehen glaubten. Besonders durch den damaligen Trend der Geisterfotografie, die mich offensichtlich inspiriert hat. Heute sieht man darin nicht mehr als relativ primitive Doppelbelichtungen, aber damals war es der Weg, durch den man am realistischsten abbilden konnte, was sich während der Sitzungen zutrug. Victor Hugo – sein „ Buch der Tische“ zeugt davon – hat aufrichtig daran geglaubt, dass er mit Toten in Kontakt trat. Die Figuren im Film teilen denselben Glauben, dieselbe Überzeugung, und das beeinflusst die Art und Weise, wie sie die moderne Welt erfassen. Meine Einflüsse sind eher unter den Dichtern des Symbolismus und in der Esoterik des ausgehenden 19. Jahrhunderts als im Horrorfilm zu suchen.


PERSONAL SHOPPER scheint aber in Verbindung mit einem anderen Film zu stehen, der auch das Unsichtbare verhandelt und sich ebenfalls mit den bildenden Künsten und der Mode beschäftigt: BLOW UP von Michelangelo Antonioni.

Ich war schon immer ein großer Bewunderer Antonionis – einem Regisseur, der ohne Zweifel einer meiner Geister ist. Und es stimmt: In der Zeit, als ich mit dem Schreiben von PERSONAL SHOPPER fertig wurde, sah ich BLOW UP anläßlich der Antonioni-Retrospektive in der Cinémathèque française – und der Film hat mich verfolgt. Ich war fasziniert von der Art und Weise, wie er eine Figur aus der Modewelt nimmt – einen Fotograf, der Handelnder und Beobachtender zugleich ist – und ihn aus dem Gleichgewicht bringt durch einen ganz beiläufigen Vorfall. Plötzlich dachte ich, dass es im Drehbuch von PERSONAL SHOPPER vielleicht eine unbewußte Reminiszenz an BLOW UP gibt. Auf jeden Fall glaube ich, dass die beiden Filme eine sehr ähnliche Dynamik haben. Aber mit einem Vorbehalt, der nicht zu vernachlässigen ist: Antonioni schuf BLOW UP zu einer Zeit, in der die Mode noch nicht zur Luxus-Industrie geworden war und man sie zweifellos noch mit unschuldigerem Blick betrachten konnte.



Foto: Der Regisseur mit seiner Hauptdarstellerin © Filmheft
Info:
Das Gespräch führte Olivier Père im Mai 2016. Abdruck aus dem Filmheft.