Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. Februar 2017,  Teil 11

Filmheft

Paris (Weltexpresso) - Die Aussagen über Teheran im vorangegangenen Interview mit dem Regisseur von THE SALESMAN - FORUSHANDE sind verblüffend. Er beschreibt eine völlig Veränderung des Stadtbildes und vergleicht das heutige Teheran mit dem New York zu Zeiten des Handlungsreisenden von Arthur Miller. Abgesehen davon, daß einem wieder auffällt, daß wir wohl nur noch in die USA starren und jeden Trump-Pieps vorgesetzt bekommen, aber so wenig von der übrigen, der vielschichtigen und großen Welt wissen.

Sehr wenig auch über das Rußland von heute und wie es in Teheran aussieht, wie man dort lebt, wissen wir auch nicht. Warum? Nein, das kann uns keiner weismachen, daß man sowohl in Rußland wie auch im Iran - es sind nur Beispiele für viele Länder - keine Drehgenehmigungen bekäme für einen Film, der vom Leben der Leute, ihren Ansichten, ihren Problemen etc. handelt. Die gesellschaftlichen Umwälzungen, auch was jung und alt angeht, sollen im Iran gewaltig sein. Wenigstens gibt es Filmemacher, die ihr Land im Blick, uns Einblicke gewähren. Und nun zu Teheran, das ja im Film eine große Rolle spielt. Die Redaktion

Der amerikanische Schriftsteller und Dramatiker Arthur Miller (1915-2005) schrieb den Bühnenklassiker „Tod eines Handlungsreisenden“ im Jahr 1949, für den der damals 33-jährige mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Darin beschreibt er anhand des Schicksals seines Protagonisten, des älteren Handlungsreisenden Willy Loman, den Zusammenbruch des American Dream in der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Vorstellung, durch harte Arbeit einen höheren Lebensstandard erreichen zu können, kann Loman nicht mehr erfüllen. Für ihn, wie für viele andere Amerikaner der Nachkriegszeit, ist der Amerikanische Traum zu einem unerreichbaren Mythos geworden. Trotz des Wirtschaftsbooms der Vierziger Jahre besteht Chancengleichheit für alle allenfalls auf dem Papier, die Zugehörigkeit zu einer Klasse und ethnischen Gruppe sind oft stärkere Faktoren, die zu einem immer drastischeren Gefälle zwischen Arm und Reich führen, zumal in Amerikas wichtigstem Wirtschaftszentrum New York.

Der iranische Filmemacher Asghar Farhadi sieht deutliche Parallelen in dem von Miller beschriebenen New York der 1940er Jahre und der heutigen Situation in seiner Heimatstadt Teheran. Durchaus vergleichbar sind schon die Bevölkerungszahlen. Die Population in Teheran ist in den letzten drei Jahrzehnten rasant gewachsen. Waren es 1986 rund sechs Millionen Bewohner, leben heute nach offiziellen Angaben rund acht Millionen Menschen in der Stadt, in der Metropolregion sogar über 15 Millionen. Die Bevölkerungsdichte liegt bei knapp 11.000 Menschen pro Quadratkilometer. Teheran ist damit durchaus mit New York City vergleichbar: die Stadt hat 8,4 Millionen Einwohner, die Metropolregion rund 19 Millionen, die Bevölkerungsdichte liegt ebenfalls bei knapp 11.000 pro Quadratkilometer.

Auch Irans Wirtschaft boomt. Teheran gilt als Start-Up Hochburg im Nahen Osten, auf den Straßen gehören teure westliche Automodelle längst zum Erscheinungsbild, Kliniken für Schönheits-OPs florieren. Und auch die Baubranche wächst, ganze Stadtteile werden luxussaniert und damit gentrifiziert. Luxusapartments sind Spekulationsobjekte der wenigen Superreichen, es herrscht Wohnungsknappheit, viele Menschen können sich die hohen Mieten im Zentrum Teherans nicht mehr leisten. Mit der Modernisierung ändern sich auch Werte und Moralvorstellungen im seit 2013 von dem als gemäßigt geltenden Präsidenten Hassan Rohani regierten Staat. Auch diese Entwicklung geht vielen zu schnell und zu weit.

In seiner Heimat hat Farhadis Film einen Nerv getroffen, ähnlich wie Millers Stück vor 67 Jahren in den Vereinigten Staaten und danach weltweit. Irans urbane Mittelschicht erkennt sich in THE SALESMAN (FORUSHANDE) wieder, der Film hat seit dem Start Ende August alle Zuschauerrekorde gebrochen. Andere iranische Regisseure wie Abbas Kiarostami oder Bahman Ghobadi, die mit Geschichten vom einfachen, oft ländlichen Leben international erfolgreich waren, blieben dem heimischen Publikum dagegen eher fremd. Asghar Farhadi zeigt ihnen und uns mit seinem Film nicht nur das Teheran der Gegenwart, sondern auch eine Wirklichkeit, die viele Politiker und konservative Kommentatoren im Iran nicht akzeptieren wollten. So gab es massiven Einfluss auf die Jury, die über den iranischen Oscar-Beitrag zu entscheiden hatte. Der Film wurde als unwürdig diffamiert. Glücklicherweise ließ sich die Jury nicht einschüchtern: THE SALESMAN (FORUSHANDE) ist Irans Oscar-Kandidat 2017.

 

Foto: (c)

Info: Abdruck aus dem Filmheft