Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. Februar, Teil 4
Filmheft und James Schamus
New York (Weltexpresso) - „And how Death is that remedy all singers dream of, sing, remember, prophesy as in the Hebrew Anthem, or the Buddhist Book of Answers—and my own imagination of a withered leaf—at dawn—Dreaming back thru life, Your time—and mine accelerating toward Apocalypse…“
Allen Ginsberg, “„Kaddish“
„I love people. Everybody. I love them, I think, as a stamp collector loves his collection. Every story, every incident, every bit of conversation is raw material for me. My love’s not impersonal yet not wholly subjective either. I would love to be everyone, a cripple, a dying man, a whore, and then come back to write about my thoughts, my emotions, as that person. But I am not omniscient. I have to live my life, and it's the only one I’ll ever have. “
Sylvia Plath, „The Journals of Sylvia Plath“ (July 1950 – July 1953)
2008 veröffentlichte Philip Roth mit „Empörung“ seinen 29. Roman, eine Geschichte, die ihn in seine eigene Jugend zurückversetzte – wie er in Newark aufwuchs und dann auf ein kleines geisteswissenschaftliches College ging. Roth, einer der besten und angesehensten Autoren Amerikas (er gewann zweimal den National Book Award, den National Book Critics Circle Award sowie einen Pulitzer Preis), war bereits 75 Jahre alt, als er auf diesen Abschnitt seines Lebens zurückblickte.
„‚Empörung‘ ist zwar nicht der bekannteste Roman von Philip Roth, aber in gewisser Weise ist das ein Segen“, sagt Regisseur und Drehbuchautor Schamus. „Er gleicht einem Kammerspiel, das einen bestimmten Moment im Leben eines jungen Mannes einfängt.“ Zwar spiegelt das Buch einige Details aus Roths Leben in groben Zügen wider (das Winesburg College steht hier stellvertretend für die Bucknell University in Pennsylvania, Roths Alma Mater), dennoch ist die Geschichte nicht wirklich autobiografisch. Aber die Gedankenwelt, in die Roth mit „Empörung“ eintaucht, fühlt sich trotzdem sehr persönlich und tiefgründig an. Vor allem die unglaubliche Fülle von „Empathie und Elegie“ in „Empörung“ „hat tief in mir eine Saite zum Klingen gebracht“, so Schamus.
Für seine Leinwand-Adaption ließ sich Schamus von zwei weiteren Persönlichkeiten des späten 20. Jahrhunderts inspirieren: Sylvia Plath und Allen Ginsberg.
Beide waren zwar Zeitgenossen von Roth, aber keiner von ihnen gehörte zu seinem intellektuellen Umfeld. Der acht Jahre ältere Ginsberg wurde in Roths Heimatstadt Newark geboren, seine Familie zog dann ins nahegelegene Paterson. „Man würde nicht drauf kommen, dass Philip Roth und Allen Ginsberg dem gleichen Umfeld entstammen könnten“, bemerkt Schamus, „aber beide waren sehr ehrgeizige jüdische Kids aus New Jersey mit einem Arbeiterklasse- bzw. Mittelstandshintergrund, die jeweils auf ihre Art ihren Weg in die amerikanische Literatur gefunden haben.“ Ihre Wege haben sich dabei tatsächlich gekreuzt, allerdings nicht so, wie man es erwartet: Ginsbergs Tante Hannah Litzky, die als Englischlehrerin an der Weequahic High School arbeitete, hatte Roth als Schüler in ihrer Klasse.
Auch wenn Ginsbergs Beat-Poesie und queere Empfindsamkeit auf dem biederen Campus des Winesburg Colleges ein wenig fehl am Platze wirken mag, fand Schamus Wege, Teile davon in die Geschichte einfließen zu lassen. So ist das Kaddisch, dass am Anfang des Films für Jonah Greenberg gesungen wird, eine Anspielung auf Ginsbergs Klagelied „Kaddisch“ aus dem Jahr 1961, das er seiner Mutter Naomi Ginsberg gewidmet hat. Und in der Figur von Bertram Flusser, einer von Marcus’ Zimmergenossen, keimt bereits mit zarten Trieben der Geist der sexuellen Revolution, die Ginsberg erst in der nächsten Dekade maßgeblich vorantreiben wird. „Flussers Kummer spiegelt den von Marcus wider“, erklärt Schamus, „aber weil Marcus dies nicht erkennt, berührt es mich umso mehr. Ich hoffe, dass Flusser in den nächsten Jahren Ginsberg und die anderen Stimmen der Beat-Generation entdecken und sich darin wiederfinden wird.“
Da Sylvia Plath und Philip Roth in unterschiedlichen Kreisen unterwegs waren, stellte Schamus zumindest einen ästhetischen Bezug zwischen den beiden her. „Ich weiß nicht, ob Philip Roth ihre Tagebücher gelesen hat, aber für mich hat die Figur von Olivia Hutton viel mit Sylvia Plath zu tun“, erläutert Schamus. Da „The Unabridged Journals of Sylvia Plath“ zum ersten Mal im Jahr 2000 veröffentlicht wurden, also acht Jahre bevor Roth „Empörung“ veröffentlichte, scheint so eine Querverbindung nicht abwegig. Als Schamus und Sarah Gadon die Figur von Olivia Hutton entwickelten, war die Figur Sylvia Plath sehr hilfreich, um ein Bewusstsein für ihr Wesen und die Zeit, in der sie lebte, zu bekommen.
„Was ich als junge Frau immer an Sylvia Plaths Texten geliebt habe, war, dass man in die weibliche Psyche blicken konnte – all diese Stärke, aber zugleich diese Verletzlichkeit, die man dort findet“, erklärt Gadon. „Aber diese zwei Seiten können in dieser sonderbaren Welt, in der man einerseits zum Objekt degradiert wird und andererseits selbstbewusst seine Standpunkte vertritt, nebeneinander bestehen. Und ich finde, das sieht man das alles in Olivia.“ Schamus verweist zudem darauf, dass die Figur Olivia ihr erstes Semester am Mt. Holyoke College verbracht hat, nur ein Steinwurf vom Smith College entfernt, an dem Plath ihr Studium begann. „Plaths Tagebucheinträge aus jenem Jahr zu lesen hat mir geholfen zu verstehen, was Olivia wohl alles hat durchmachen müssen“, sagt Schamus, „auch wenn sie eine komplett andere Persönlichkeit ist.“
Foto: (c) Verleih
Info:
DIE BESETZUNG
Marcus Messner LOGAN LERMAN
Olivia Hutton SARAH GADON
Dean Caudwell TRACY LETTS
Esther Messner LINDA EMOND
Max Messner DANNY BURSTEIN
Bertram Flusser BEN ROSENFIELD
Sonny Cottler PICO ALEXANDER
Ron Foxman PHILIP ETTINGER
Marty Ziegler NOAH ROBBINS