67. BERLINALE vom 9. bis 19. Februar 2017, WETTBEWERB, Teil 0

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Das Vorstellen von Personen auf dem Papier ist das eine. Bei lebendigen Menschen ist das aber immer etwas anderes, wenn man sie dann leibhaftig sieht. So auch bei der ersten Pressekonferenz der Jury, mit der die Pressearbeit der vielen tausend Journalisten im Presseraum der Berlinale auch offiziell beginnt.

Da sitzen dann vorne auf dem Podium diejenigen, auf die sich die Berlinale als Jury geeinigt hatte und die auch zugestimmt hatten, nach Berlin zu kommen und diese zeitaufwendige, aber spannende Arbeit zu tun. Übrigens sieht man in den Pressevorführungen dann immer mal wieder die einzelnen Jurymitglieder. Die einzelnen Personen sind im Vorartikel gewürdigt worden und es war klar, daß das zufällige (oder nicht?) Zusammentreffen des Juryvorsitzes von Paul Verhoeven und seinem wirklich aufregenden Thriller, der am Donnerstag nächster Woche in deutschen Kinos anläuft, dazu führen würde, daß auch zu ELLE in der Pressekonferenz einige Fragen gestellt wurden. Doch die Pressekonferenz selbst ist für die  Fragen zum Wettbewerb und zu den Personen in der Jury gedacht.

So ist eine erst einmal allgemeine Aussage diejenige, die Berlinale sei das politischste Filmfestival. Das finden die einen gut, die anderen schlecht. Von daher muß eine solche Frage schon gezielter gestellt werden, will man aussagekräftige Antworten erhalten. Dafür taugte diese Pressekonferenz nun überhaupt nicht. Es war einfach peinlich, wie billig manche mit dem Begriff POLITIK umgingen und man konnte zunehmend den Juryvorsitzenden Paul Verhoeven verstehen, wenn er sich gegen eine platte Gleichsetzung von politischem Anliegen und gutem Film wehrte.

Er ist Filmemacher und als Jury-Präsident will er hier etwas lernen und etwas erfahren, nämlich, was es Neues gibt in Filmen, Aufregendes, eben filmische Ansprüche und nicht Ansprüche an Filme, die von außerhalb kommen. Er stellte eindeutig klar, daß er nicht Politik bewerte, gute oder schlechte, sondern Filme. Das ist kein Gegensatz dazu, daß ein politischer Film sehr gut sein kann. Ich selbst gehöre zu denen, die den letzten Goldenen Bären Gewinner, der die kleine Insel Lampedusa zum Mittelpunkt seines Films machte, weil dort Tausende von Flüchtlingen stranden, also, die diesen Film SEEFEUER sehr gut fand und völlig angemessen für den Goldenen Bären. Aber das heißt im Umkehrschluß eben nicht, daß jeder Film mit einer politischen Botschaft ein preiswürdiger Film wäre. Oft sind die politischsten Filme die, die auf Botschaften verzichten und einfach durch den Film wirken. So war das auch bei SEEFEUER, wo Gianfranco Rosi zwei Handlungen erst parallel und dann miteinander verflochten erzählte.

Zurück zur Pressekonferenz: Die Berlinale sei politisch und welche Aussage sie habe. War die Frage. Der Jurypräsident antwortet, es gehe um Filme, ein anderer betonte, man wolle die Filme befragen, aber habe keine politische Präferenz.

Es wird nachgefragt, warum keine russische Filme dabei seien. Diese Frage wird vom Moderator rüde abgeblockt, was schade ist; er hätte darauf verweisen sollen, daß die Entscheidung über die Filme von der BERLINALE ausgeht, nicht von der Jury, die jetzt zur Diskussion steht. Stattdessen stellte der Moderator den fragenden Kollegen aus Rußland bloß, daß dies eine Frage sei, die nicht hergehöre, man könne nicht den russischen Film hier diskutieren.  Grundsätzlich ist das aber mit die wichtigste Frage, die aber keine Resonanzei bei den Pressekollegen fand, denn keiner hatte das Verhalten des Moderators gerügt. Stattdessen waren die meisten Fragen obrigkeitshörig und von unendlicher Dudelei über die Meriten der einzelnen Jurymitglieder bestückt. Dabei ist Rußland  in der Tat auf dem deutschen Markt, was Filme angeht, ausgespart. Das ist ein Skandal und hier hätte unbedingt ein Statement zur Situation kommen müssen.

Das alte Hollywood stirbt, wird von einer Journalistin betont, nicht wegen der Fernsehserien, sondern wegen der neuen technischen Welle, wo auf einmal alte Schauspieler in junge verwandelt werden können etc. Darauf antwortet Paul Verhoeven, daß er davor überhaupt keine Angst habe. Aus der Jury wird betont, daß die Mischung aus Tradition und den neuen technischen Möglichkeiten das Hilfsmittel für den Film von morgen sei. Das Problem von Hollywood sei ein ganz anderes, sagt Verhoeven: seit vielen Jahren werden kaum noch oder sogar gar  keine Erwachsenenfilme mehr gemacht. Denn alles sei auf Jugend zugeschnitten und auf das Geldverdienen.

„Herr Luna, wenn Sie als Mexikaner in Berlin sind, wo mal eine Mauer stand...“  war eine direkte Frage an das mexikanische Jurymitglied. Der antworte hier besonders gerne:  er sei ja in Berlin und werde vor Ort recherchieren, wie man Mauern einreißt, und diese Information mit nach Mexiko nehmen... Er selbst agiert dagegen mit Offenheit und dem Ansprechen der Probleme. Großer Beifall.

Olafur Eliasson, dieser wirklich wunderbare, so ganz eigenständige Künstler, wird befragt, ob er sein künstlerisches Thema LICHT auch in den Filmen suche. Er gab die schlüssigste Antwort: er sei als Außenseiter hier und gehe auch völlig naiv an alles heran und beurteilt die Filme daraufhin, ob er sich in ihnen wiederfinde und ob die filmischen Mitteln in ihm etwas ansprechen, was nur das Medium Film kann. Er hat das Gefühl, nicht ich schaue den Film, sondern der Film schaut mich an und bestätigt mir, ich bin dabei. Es geht auch um mich. Ich bin Teil der Welt.

Es geht bei den Fragen auch um China und Regisseur Wang Quan‘an betont, wie sehr ihm die Bären, mit den ihn die Berlinale ausgezeichnet hatte,  genutzt hatte,  und freut sich darauf, jetzt selber welche zu verleihen. Was China angeht, ist der Anteil von Arthousefilmen und Arthousekinos noch zu gering. Er sieht die Berlinale anders als andere Filmfestivals mit einer soliden nachhaltigen Unterstützung des chinesischen Films und der chinesischen Filmindustrie.

Als US-Amerikanerin bei einem Festival dabei zu sein, sei für sie in der gegenwärtigen politischen Situation außerordentlich und solche wie sie gäbe es in den USA massenhaft, kündete Maggie Gyllenhaal, die sich auch bei anderen Fragen selbstbewußt und kompetent einmischte . Brausender Beifall der Journalisten. Und Ende.


Natürlich gab es zwischendurch Nachfragen nach dem letzten Film des Jurypräsidenten. So fragte einer, warum die Rolle in ELLE, die Isabelle Huppert nun spielt, von vielen anderen amerikanischen  Schauspielerinnen abgelehnt wurde. Das lag daran, antwortet Verhoeven, daß die amerikanische Seite keinerlei Finanzierungen erreicht habe, also auch keine Schauspieler eine Sicherheit hatten, weshalb man nach Frankreich zurückgekommen sei und da sei Isabelle Huppert die erste Wahl gewesen und man habe sie auf den Knien angefleht, aber sie habe auch von sich aus unbedingt diese Rolle, die ihr auf den Leib geschrieben ist, spielen wollen.