Eine weitere Einschätzung der Berlinale 2017 – Erster Teil
Rita Kratzenberg und Claus Wecker
Berlin (Weltexpresso) - Passend zu den frostigen Temperaturen, die gerade in Berlin herrschen, startete die Berlinale mit Filmen, welche die Zuschauer durch winterliche Landschaften führen. So spielt der Eröffnungsfilm DJANGO von Etienne Comar im Herbst/Winter 1943 im von deutschen Truppen besetzten Frankreich.
Django Reinhardt; den Reda Kateb mit unbeweglichen Gesicht verkörpert, vermittelt mit seiner von Zigeunerweisen bis zum Jazz variierenden Musik selbst bei den gestrengen Nazis Lebenslust in einer Zeit, da sie die Sinti bereits massiv verfolgen und in Konzentrationslagern verbringen. Zu einem Verbot kann sich die Nazi-Verwaltung allerdings nicht entschließen. Django fühlt sich unantastbar, bis auch ihm klar wird, in welcher Gefahr er sich mit seine Familie befindet. Nach einem Konzert für deutsche Militärs, das im musikalischen Eifer in verbotenen Jazz abgleitet und deshalb abgebrochen wird, flieht er ohne seine zurückgelassen Familie durch die verschneiten Berglandschaft in die Schweiz. Der recht leblos geratene Film wirkt wie eine gutgemeinte Auftragsproduktion, der es an Atmosphäre und dramatischer Kraft fehlt.
In „Testről és lélekről“ (ON BODY AND SOUL) von Ildikó Enyedi begegnen sich die beiden Hauptfiguren, der Betriebsleiter und eine Qualitätskonrolleurin, zwar in einem Schlachthaus. In ihren Träumen finden sie als Hirsch und Hirschkuh in einem Winterwald zueinander. Es sind zwei einsame, sensibel Seelen. Die extrem scheue Kontrolleurin ist zudem seit Kindheitstagen in Therapie. Die poetischen Figuren überzeugen nicht immer, und die ausgesuchten Bilder sind nahe an der Grenze zum Kunstgewerbe.
Mit THE DINNER von Oren Moverman kam das Hollywood-Feeling nach Berlin. Richard Gere und Steve Coogan als ungleiches Brüderpaar, welches bei einem Dinner mit Ihren Frauen (Laura Linney und Rebecca Hall) den Umgang mit einem schrecklichen Verbrechen ihrer Söhne klären wollen. Anstatt miteinander zu reden und vor allem einander zuzuhören, kommt die Familiengeschichte (natürlich hochdramatisch), verquickt mit der amerikanischen Geschichte (vor allem die Schlacht von Gettysburg), auf den Tisch. Ein wenig überladen vielleicht, aber das amerikanische Kino weiß auch in dieser Literaturverfilmung eines Romans von Herman Koch zu überzeugen.
Höhepunkt der ersten Tage war zweifelsohne Josefs Haders Regiedebüt WILDE MAUS, zu dem er auch das Drehbuch geschrieben hat. Er spielt darin den Wiener Musikkritiker Georg, der unverhofft von seinem Chef die Kündigung erhält. Jetzt ist es nichts mehr mit Verrissen von Streichquartetten und Sinfoniekonzerten für die Tageszeitung der Hauptstadt. Aus dem unbarmherzigen Kritiker wird im Verlauf der blindwütige Rächer, eine „wilde Maus“ gewissermaßen. Der Filmtitel ist zudem der Name einer Achterbahn im Prater, die Georg mit Erich (Georg Friedrich) instand setzt. Wie es oft beobachtet werden kann, wenn Schauspieler die Inszenierung übenehmen, ist auch diesmal ein Fest der Darsteller entstanden, bei dem sich besonders Pia Hierzegger als Georgs Frau mit drängendem Kinderwunsch und Jörg Hartmann als hinterhältiger Chef hervortun.