67. BERLINALE vom 9. bis 19. Februar 2017, WETTBEWERB, Teil 15
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Wenn man Joseph Beuys in der immer noch währenden Nachkriegszeit der 60 und dann 70er Jahre noch erlebt hat, dann freut man sich schon darüber, daß dieser charismatische Zeitgenosse – ja, Künstler auch – überhaupt in einem Dokumentarfilm gewürdigt wird, erst recht, wenn dieser Film einem auch noch gefällt.
Wenn man Beuys kennt, kann man aber leider nicht mehr genau unterscheiden, ob dieser Film ihn der Welt von heute wirklich nahe bringt. Denn heute ist er den meisten nur noch ein Name für Besucher von Museen Moderner Kunst oder auch denen, die Kunstgeschichte studieren und fassungslos konstatieren, daß ihr Fach, heute eine welkende Blüte, einstmals die gesellschaftspolitische Speerspitze war und jemand wie Beuys über 400 Studenten in seinem Seminar an der Düsseldorfer Universität hatte.
Diejenigen, die ihn als Figur der Zeitgeschichte noch kennen, wissen sofort von seinen bevorzugten Kunstmaterialien: Filz und Fett. An seinen Kunstobjekten entfaltete sich dann auch die Diskussion, was daran Kunst sei, wobei er immer von seinem erweiterten Kunstbegriff sprach. Das war für die damalige Zeit geradezu revolutionär, von daher ist ein Film 30 Jahre nach seinem frühen Tod (1921-1986) für uns alle eine Gelegenheit, zu überprüfen, wie sich die Kunst und der gesellschaftliche Anspruch an sie weiterentwickelt, bzw. zurückentwickelt hat.
Wie entschieden er war und nicht nur seine Studenten für die Demokratisierung aller Lebensbereiche und eben auch für die Kunst mobilisierte, zeigt dieser Film in immer neuen Spiralen. Das wirkt im Film, der grob erstmal zeitlich vorgeht, immer wieder eine Schwerpunktsetzung, die nicht langweilig wird, sondern aufzeigt, daß zumindest Beuys sich sein Leben lang gleich blieb, im Anspruch, eine bessere Welt für möglich zu halten und dafür etwas zu tun, nicht nur etwas, sondern viel und das immer mit dem Anspruch, seine ganze Person einzusetzen.
Aber es wäre falsch, ihn nur als Sozialrevolutionär zu sehen und das tut der Film auch nicht. Er schuf unaufhörlich: Zeichnungen, Installationen, Plastiken auf Fett und Filz, aber sein erweiterter Kunstbegriff brachte auch mit sich, daß er zu einer Documenta in Kassel dort 3 000 größere Steine platzierte, die stellvertretend für 3000 Eichen standen. Heute sind diese Eichen längst alle gepflanzt. Aber zu den Schwierigkeiten der Bevölkerung, mit seiner Kunst als Kunst umzugehen, zeigte der im Film nicht gezeigte Vorgang, daß eine Putzfrau im Landesmuseum Darmstadt eines seiner Kunstwerke, die Fettecke, weggeputzt hatte, da sie es für Dreck hielt. Das gab den guten Bürgern, die ihn ablehnten und von Sperrmüll sprachen, dann Auftrieb und den Versicherungen schwierige Diskussionen.
Für andere waren nun gerade seiner künstlerischen Artefakte das non plus ultra. Und es sagt schon etwas aus, was im Film gleich am Anfang vorkommt, daß er als erster deutscher Künstler eine Einzelausstellung im New Yorker Guggenheim Museum erhielt. Es gilt der Prophet wenig im eigenen Vaterland. Andres Veiel erteilt dem Künstler selbst das Wort. Überwiegend hören wir von ihm nicht aus zweiter Hand, sondern sehen und hören ihn original. „Aus zahlreichen bisher unerschlossenen Bild- und Tondokumenten montiert er ein assoziatives, durchlässiges Porträt, das, wie der Künstler selbst, eher Ideenräume öffnet als Statements verkündet. Beuys boxt, parliert, doziert, erklärt dem toten Hasen die Kunst und fragt: ‚Wollen Sie eine Revolution ohne Lachen machen?‘“, heißt es in der offiziellen Verlautbarung.
Am Rande bekommt man auch seine Frau und Kinder mit, stärker aber seine Verbindung mit der Öffentlichkeit, wo er sich einmischte, wenn er es für nötig hielt. Er hatte sich als jemand, der den Nationalsozialismus knallhart mitbekommen hatte und als Flieger im Krieg über der Sowjetunion abgestürzt war, immer für die Teilhabe der Bevölkerung an der Entwicklung der eigenen Gesellschaft ausgesprochen. Das führte dann dazu, daß er in den Achtziger Jahren die GRÜNEN mitaufbaute. Gut daß der Film schon frühzeitig das zeigt, wohin der Weg der Grünen dann ging: nämlich in die Verteilung von Pfründen einer gewissen bürgerlichen Mittelschicht wie beispielsweise in Frankfurt am Main. Beuys wurde also früh fallengelassen. „Er kostet uns Stimmen“, war so ein erbärmliches Argument.
Das Allerpersönlichste bleibt im Film ausgespart. Zwar geht Beuys selbst in einer Befragung auf seinen Absturz und die Rettung durch sowjetische Tataren ein, die ihn mit Fett beschmierten und den Halbtoten ins Leben zurückführten. Die durchaus psychoanalytische Sicht auf seine Materialien Filz und Fett wird ausgespart. Allein der Hut bleibt übrig, der ja nicht eine Marotte von Beuys war, sondern seinem Schutz diente – das wird er im Film auch dezidiert gefragt, was er bejaht - denn so verbarg er seine Kopfverletzungen, die massiv waren.
Der Film macht deutlich, welch hinreißender charismatischer Mensch Joseph Beuys war und wie stark er die damalige Bundesrepublik aufstörte. Inwieweit sein Kunstbegriff nicht längst durch den von ihm entlarvten Kapitalismus eingekauft wurde, muß sich der Zuschauer selber fragen. Auf jeden Fall ist schon witzig, daß im Film Andy Warhol in Düsseldorf Joseph Beuys auf einer Party sucht und nicht findet. Denn Warhol hat im Kunstgeschäft den gegenteiligen Part gefunden und seiner serielle Kunst so teuer verkauft, wie es der besagte Kapitalismus einigen wenigen auch möglich macht.
Foto: © berlinale.de
Info:
Andres Veiel
Deutschland 2017
Deutsch, Englisch
Dokumentarische Form
107 Min · Schwarz-Weiß & Farbe
von Andres Veiel
Deutschland 2017
Deutsch, Englisch
Dokumentarische Form