“GOEAST: Festival des mittel-und osteuropäischen Films vom 26. April bis 2. Mai in Wiesbaden, Teil 7

Claudia Schulmerich

Wiesbaden (Weltexpresso) – Wer dies zur starken Agnieszka Holland, weltberühmte polnische Regisseurin, gesagt hat – und warum, das war in der ersten Reihe des so wunderschönen Filmpalastes CALIGARI nicht zu hören, so verheerend war die akustische Anlage – weiter hinten soll es besser gewesen sein.


Also wieder einmal ein Beweis für die biblische Weisheit, daß die Ersten die Letzten sein werden. Trotzdem schade und unnötig. Agnieszka Holland saß auf dem Podium und wurde zu ihrem gerade als Matinee vorgeführten Film SPOOR, auf Polnisch POKOT, was im Deutschen Fährtenlesen oder wie die offizielle Übersetzung heißt: Die Jagdstrecke, befragt. Ha, wenn man den Film von der diesjährigen BERLINALE kennt, wo er im Wettbewerb den Alfred Bauer Preis – für neue Perspektiven der Filmkunst - in Form des Silbernen Bären erhielt, dann freut man sich auf das nochmalige Sehen besonders.


Und ehrlich: ich würde stracks noch gleich in eine dritte Aufführung gehen, so vielschichtig sind Handlung und filmisches Personal, von den traumhaften Naturaufnahmen abgesehen, die einen verleiten, sich sofort in diese mittlere Dorf in den Bergen aufzumachen, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, was für die Füchse schon mal nicht stimmt, denn da gibt es den widerlichen, gewalttätigen Typen, der nicht nur die Frauen als Ware benutzt – heimlich gibt es ein Bordell im Wald -, sondern der in seiner Fuchsfarm die eingefangenen Tiere systematisch quält, zusammenschlägt etc.


Das sind Bilder, auf die man nur mit Wut, anhaltender Wut reagieren kann, die sich steigert, wenn man dann den örtlichen Dorfpfarrer in seiner vollgestopften Kirche – Polen ist gläubig! - „Tiere haben keine Seele“ schwadronieren hört. Zur Hauptfigur, der aufmüpfigen, eigentlich pensionierten Brückenbauerin Janina Duszejko (Agnieszka Mandat) sagt er dann, als sie ihn auf ihre im Garten begrabenen Tiere hinweist: „Tiere behandelt man nicht wie Menschen. Sie sind dem Menschen unterlegen“, was seinerseits dann natürlich mit dem weltbekannten Bibelspruch für Unrecht an der Natur dann noch beglaubigt und bekräftigt wird, daß sich der Mensch die Erde untertan machen solle. Das wird auch nicht besser dadurch, daß die angebliche fehlende Seele der Tiere vom großen Aufklärer Descartes stammt.


Wir haben den Film auf der Berlinale schätzen gelernt, was in der Besprechung zum Ausdruck kommt
https://weltexpresso.de/index.php/kino/9088-pokot-spoor

Bitte nachlesen, denn dort wird die Handlung ausführlich geschildert, auf die wir hier nicht kontinuierlich eingehen, sondern lieber auf das verweisen, was beim zweiten Mal besonders auffällt.


Das ist die Dunkelheit, die den Film umgibt. Zwar fährt Janina, die von niemandem so genannt werden, sondern als Duszejko angesprochen werden will, fast immer morgens mit ihrem Auto los, aber nach Hause kommt sie immer, wenn es dunkelt. Der dunkle Wald, der mystische Wald, der mythische Wald, das prägt das Sehen eminent. Und dann die Musik! Was beim ersten Mal einfach passiert und als passendes Ambiente optisch und akustisch wahrgenommen wird, das erweist sich als schon geniale Untermalung dessen, was sich als Sinn, Zweck und Absicht des Films herauskristallisiert: hier geht eine Gesellschaft ihrem Untergang entgegen. Das mörderische Finale eines Totentanzes erleben wir – nicht mehr und nicht weniger. Der Film ist von Handlung und Gestaltung her exakt geplant. Er fängt geruhsam und natürlich an, der schöne Morgen, wenn Duszejko ihre Arme der aufgehenden Sonne entgegenstreckt: vollkommene Hingabe an die Natur und Einssein mit ihr. Dazu passen die Hunde, ihre liebevoll ‚Mädels‘ gerufenen Hündinnen. Und er endet in gleicher Harmonie – nur woanders und mitsamt den Menschen, die den Ort des Grauens verlassen haben. Dazwischen Tod und Verzweiflung, Gewalt, Vernichtung und Ende.


Was weiter auffällt, das ist, daß Regisseurin Holland gleich mehrere Genres bedient. Ja, es ist ein Naturfilm, manche der Aufnahmen sind so schön, daß man unter anderen Umständen bremsend sagen würde: kitschig. Hier aber werden diese schönen Bilder zur Verteidigung dessen, was als Thriller weitergeht. Selten gab‘s in einem Film, der nicht von einem Massenmörder handelt, so viele Ermordete. Ausnahmslos Männer. Und das ist auch richtig so. Schließlich werden auf der anderen Seite der Tiere, bei der Jagdgesellschaft auch nur Männer gesichtet. Der Pfarrer schießt übrigens mit. Und auch er muß dran glauben und kommt schneller in den Himmel – nein, wir sind sicher: in die Hölle – als er will.


Zum Naturfilm und Thriller kommt aber ein Film über das zwischenmenschliche Verhalten von Älteren als Genre noch dazu. Ganz empört sagte eine junge Frau nach der Vorstellung: „Die“ - gemeint ist Hauptfigur - „treibt es ja gleichzeitig mit zwei Männern.“ Also, potzblitz, so was! Und in dem Alter! Denn sie ist ja pensioniert, erinnern Sie sich? In dem Film lernt man aber auch eine Menge, vor allem Naturkunde, sagte man früher. Das, was man aus den gängigen Pathologiefilmen kennt, die Bestimmung des Todeszeitpunktes wird hier an den in der Natur – in der Rinde der Bäume überlebend – leichenlieben und leichenfressenden Aasinsekten vorgeführt, deren Anblick als praktizierende Maden einen froh sein läßt, noch nicht gefrühstückt zu haben. Absolute Schocker, was Agnieszka Holland einem da vorsetzt, aber auch absolut gekonnt.


Der Film ist sowohl eine Komödie wie eine Tragödie. Und dann ist dieser Film auch noch ein feministisches Manifest? Na klar, wenn darunter verstanden wird, daß kein Mensch einem anderen untertan sein soll und eben auch keiner einen anderen unterwerfen und benutzen soll.


Die Diskussion auf dem Podium ging munter weiter und mit links antwortete die Regisseurin auf die Feststellung, man sage, „sie sei ein richtiger Mann“. Wenn das heißen soll, konsequent einen Weg und konsequent einen solchen Film zu machen, Bitteschön, seien wir alle „richtige Männer“. Die falschen auf jeden Fall haben wir in dem Film gesehen. Aber – und das ist die Botschaft – solche überleben nicht!


Ach so, muß man das wirklich noch jemandem erklären, daß diese Film mit Metaphern arbeitet?! Und daß es zu den Paradoxien gehört, daß Friedliebende die töten müssen, die den Frieden der Welt gefährden, bzw. unmöglich machen. Und da sind wir schon beim 14. Juli 1944 und dem seit der Antike erlaubten Tyrannenmord. Ein Politfilm ist SPOOR also auch noch, wo bei wir den Ökothriller, das Märchen, den Mysteriethriller, den Tierschützerfilm links liegen ließen...Alle Achtung, Frau Holland.


P.S. Der Film basiert auf dem Buch „Der Gesang der Fledermäuse“ von Olga Tokarczuk.



Foto: © Verleih


Info:


Regisseurin: Agnieszka Holland
Musik komponiert von: Antoni Lazarkiewicz
Kostümdesign: Katarzyna Lewińska
Besetzung: Jakub Gierszał
Drehbuch: Agnieszka Holland, Olga Tokarczuk
Produzenten: Krzysztof Zanussi, Janusz Wąchała