Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. Mai 2017, Teil 3

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Der Autor dieser Filmkritik hat ein Wochenende in der Nähe der Berliner U-Bahn-Station Kottbusser Tor („Kotti“) in einer Fortbildung verbracht. Obwohl das, stark sanierte Kreuzberg in der Nähe beginnt, gilt die Gegend immer noch als gefährlich.
Durch die massiven Polizeieinsätze in der letzten Zeit sind aber die Raubüberfälle und Körperverletzungen zurückgegangen, berichtete die Berliner Zeitung.

Freitagabend bahnt sich der Filmkritiker seinen Weg durch aggressive jugendliche Drogendealer am U-Bahn-Ausgang. Samstagfrüh watet er unten in der U-Bahn durch Erbrochenes und frische Blutlachen, mittags sitzt er direkt auf dem Platz beim Vietnamesen, blinzelt in die Frühlingssonne. Auf einem ehemaligen Telefonhäuschen hockt ein attraktiver Mann und trinkt Bier, irgendwo schläft ein anderer auf einem herumstehenden Sessel. Zwischen den vielen Türken, asomäßigen „Weißen“ und dealenden Jugendlichen drängen sich mit großen neugierigen Augen zahllose Backpackerinnen.

Im Film „Berlin Syndrom“ begegnet hier eine von ihnen, die junge australische Rucksackreisende Clare (Teresa Palmer), dem gepflegten deutschen Mann Andi (Max Riemelt). Von dem Englischlehrer lässt sie sich Kreuzberg zeigen und verbringt mit ihm eine wilde Liebesnacht in seiner nahe am Kotti gelegenen Wohnung. Morgens ist er bereits zur Arbeit verschwunden - und sie merkt, dass sie nicht aus seiner verschlossenen Wohnung herauskommt... Als Andi nach Hause zurückkehrt, empfindet sie ihren Einschluss noch als Versehen. Doch bald wird ihr klar, dass sie in dem ansonsten menschenleeren Kreuzberger Haus seine Gefangene ist und aufgrund seiner Sicherungsmaßnahmen keine Chance hat, zu entkommen.

Dann beginnt ein Psychospiel, in dem Clare alle Register zieht, um Andi zu überlisten: Sie verführt ihn, greift ihn an, verweigert den Sex, zieht sich zurück. In Parallelhandlungen erleben die Zuschauer Andi als erfolgreichen charmanten Lehrer, aber auch als einen, von seinem alten Vater seelisch misshandelten Versager.

Der Film ist ein spannender, schnörkelloser Thriller, dessen überraschende Wendungen hier natürlich nicht verraten werden. „Berlin Syndrom“ lässt sich nicht mit „Haus“ oder „3096“ Tage (dem Film über Natascha Kampusch) vergleichen, denn er bleibt einfach auf der spannenden Krimi-Ebene, deutet die psychische Deformation Andis nur an und entführt in das aufregende aber abseitige, dunkle Berlin.

Geschrieben wurde diese Rezension beim Vietnamesen am „Kotti“. Nachdenklich musterte ihr Verfasser immer wieder die weiblichen Backpackerinnen und fragt sich, ob das erste Anzeichen des Berlin Syndroms sind...

Foto: © MFA Teresa Palmer

Info:

„Berlin Syndrom“ D 2017, 116 Min. FSK 16 Jahre, Filmstart 25. Mai 2017

Regie Cate Shortland mit Teresa Palmer, Max Riemelt und anderen.