Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Natürlich können wir auch Goethe, in Frankfurt erst recht. In Reineke Fuchs heißt es im Ersten Gesang: Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen! Es grünten und blühten Feld und Wald; auf Hügeln und Höhn, in Büschen und Hecken übten ein fröhliches Lied die neuermunterten Vögel; jede Wiese sproßte von Blumen in duftenden Gründen, festlich heiter glänzte der Himmel und farbig die Erde.“
Pfingsten ist für unser Verständnis nämlich auch eine Jahreszeit und eine Öffnung zum Sommer hin. Aber daß die Christen Pfingsten an einen jüdischen Feiertag andockten, ist weniger bekannt. Das im vorherigen Artikel geschilderte PFINGSTWUNDER geschah - wie ausgeführt - nach der Überlieferung durch die Apostelgeschichte am jüdischen Feiertag SCHAWUOT, was auf Hebräisch Wochen bedeutet. Denn sieben Wochen und ein Tag nach dem Pessachfest wird an Schawuot der Offenbarung am Berg Sinai gedacht, als Moses ein zweites Mal die Zehn Gebote darbot, die man sich diesmal verdienen mußte. Der Dekalog beginnt mit: „ Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.“
Die jüdische Überlieferung spricht nämlich davon, daß Moses die auf Steintafeln eingeritzten Zehn Gebote zerschmettert hatte, als das jüdische Volk, das von Joseph nach Ägypten geführt worden war, auf dem Rückweg unter Moses am Berg Sinai das Goldene Kalb anzubeten begann. So steht es im 2. Buch Mose, an das sich Arnold Schönberg anlehnte, als er erst das Libretto schrieb und dieses zur Oper MOSES UND ARON vertonte. Moses blieb Fürsprecher Gottes am Berg Sinai, wo er die Zehn Gebote dann erneut den Juden übergab, woran der jüdische Feiertag Schawout erinnert. Auch hier geht es also wie später beim Pfingstfest um Worte, um heilige Worte.
Wieder mal ein weiterer Hinweis, wie sie es allerorten mit den Religionen hielten. Gab es eine neue, dann legte diese ihre Feiertage auf die Tage, die schon zuvor heilig waren. Oft bauten sie ihre Kirchen dort, wo schon zuvor heilige Stätten waren. Das kann man raffiniert nennen oder einfach auch, daß man lieber anknüpft an Traditionen und diese mit neuen Inhalten füllt. Pfingsten ist nämlich auch sieben Wochen nach Ostern, der Kreuzigung Jesu Christi mit nachfolgender Wiederauferstehung am 50. Tag angesetzt. In der Apostelgeschichte, die so viele Jahrzehnte nach dem Todesjahr von Jesu Christi das Geschehen schildert, wird ausgeführt, daß sich an diesem hohen jüdischen Feiertag eben auch die gerade bekehrten Christen in Jerusalem versammelten, wo an diesem Tage sowieso viele Besucher aus fernen Ländern und aus den einheimischen Stämmen zusammengekommen waren, die sich nach ihrer Herkunft zusammenscharrten. Es herrscht ein lebhaftes Treiben, gesprochen wird in vielen Sprachen, hauptsächlich: Aramäisch, Hebräisch, Griechisch, Latein. Die Aposteln bereiten sich auf ihre Predigten vor, in denen sie die revolutionäre Botschaft in der Stadt verkünden wollen, daß mit Jesus Christus der Sohn Gottes sich für die Menschen geopfert habe. Nun geht es darum, zu überzeugen und zu begeistern.
Und dann passiert das, was als Pfingstwunder eben geschildert, so unglaublich wird, was jeder von uns schon mindestens einmal im Leben für sich selbst gewünscht hat: Das, was man denkt und fühlt und ausspricht, wird von anderen verstanden und gut geheißen. Es ist der Heilige Geist, der vom Himmel ausgegossen wird und als Feuerzunge in die Apostel fährt, die nun auf einmal äußerst bewegt und in „fremden Zungen“ reden, so daß jeder sie in der eigenen Muttersprache verstehen kann. Die Apostel waren nach 50 Tagen nach Jerusalem zurückgekommen, weil sie laut Weisung des auferstandenen Christus zuvor und danach in der Welt unterwegs waren: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“
Ein kollektives Erweckungserlebnis, so wird es uns geschildert, und daraus wurde das Fundament der neuen christlichen Kirche. Kein Wunder, das Pfingsten, das Pfingsfest eines der beliebtesten christlichen Motive wurde, ein Fest für jeden Maler, der gerne Menschen malt und an ihnen die Verschiedenartigkeit und Buntheit liebt. Der Heilige Geist ist schwierig dazustellen, aber für ihn gibt es schon bei der Empfängnis Mariä eine hilfreiche Gestalt. Es ist die Taube, die, als Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria in der Verkündigung von ihrer Sendung kündet und von oben nahe dem Fenster einen Strahl durch den Raum fluten läßt, direkt in das Ohr von Maria, woraufhin sie nun Jesus in unbefleckter Empfängnis empfangen hat.
Auch in den Pfingstdarstellungen muß die Taube vorhanden sein, denn der Heilige Geist kann zwar in Worten als Feuerzunge über den Aposteln schweben und in sie eindringen, aber in bildlicher Darstellung wird das schwieriger, weshalb Bildprogramme immer Assistenzfiguren erschaffen und geschaffen haben. Was wir bisher unterschlagen haben, das ist, daß im MARIENLEBEN Pfingsten ebenfalls eine hohe Bedeutung hat. Denn an diesem Tage sah sie unvermittelt all die Jünger, die an ihren Sohn Jesus von Nazareth glaubten. Pfingsten ist darum im Bilderzyklus von Maria eine Vorstufe ihres Todes.
Denn als der nahte, bat sie Gott um die Gunst der Anwesenheit der Jünger Jesu. Mit Tosen und Donnergrollen – die Natur spielt immer mit – ergriffen daraufhin Engel die Apostel in aller Welt, wohin sie seit Pfingsten gezogen waren. Sie brachten sie nach Jerusalem zum Haus der Gottesmutter, wo sie von ihr Abschied nahmen. In der Koimesis, dem Marientod, ist dann der Tod Mariens zu einer der bekanntesten Bildmotive der Ostkirche geworden, so bedeutsam, daß das Bild die Westwand der Kirchen einnahm, damit man beim Verlassen des Gotteshauses der Gottesmutter als Mittlerin zwischen Menschheit und Gott noch einmal gegenüberstand. Aber das ist eine andere Geschichte.
Foto: (c)
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