hwk the rite of spring 18als Tanz-Triptychon im Kasseler Staatstheater

Hanswerner Kruse

Kassel (Weltexpresso) - In einem Tanz-Triptychon beschäftigen den Choreografen Johannes Wieland ausgegrenzte, um Halt ringende, nach neuen Wegen suchende Menschen.

Wie immer im Kasseler Tanztheater zeigt die Compagnie kein Erzählballett mit Synchrontänzen. Stattdessen werden die Besucher durch ein Gesamtkunstwerk aus Bewegung, Musik, Licht und Bühnenbild zu eigenen Assoziationen herausgefordert. Die Choreografie ist kein Gefühlstheater, sondern lässt Emotionen in kurzen, schnell wechselnden Bildern aufblitzen:

hwk the rite of spring 06Ein Tänzer stürzt in einen engen Betonschacht, Stahlleitern führen ins Nirgendwo. Er rennt im Kreis, geht (wörtlich) die Wände hoch. Allmählich kommen Männer und Frauen dazu. Paare finden sich in kurzen gemeinsamen Bewegungen. Tänzer wickeln sich Tänzerinnen um den Hals, hängen selbst mal wie Affen an eisernen Sprossen. Immer wieder sind die Akteure einsam. Zwischendurch ist die Solo-Violine mit einer Partita (Nr. 2 d Moll) von Johann Sebastian Bach zu hören.

Im zweiten Tableau des Triptychons sind die Betonwände auseinander gezogen, das Ensemble hat mehr Platz. Breitbeinig, manchmal bis zum Spagat, agieren die Tanzenden oft nur mit Oberkörpern und Armen. Dazu lautlose Schreie, gebremste Bewegungen, zeitlupenhafte Veränderungen. Ineinander verwobene, sirrende Klänge von Györgi Ligeti („Ramifications“) setzen ein, aber es ist, als seien diese Töne längst vorher in die Körper der Tanzenden gefahren.

Nach der Pause folgt Igor Strawinskys „Sacre de Printemps“, im englischen „The Rite of Spring“ (Frühlingsopfer), das dem Tanzabend den Namen gibt. Der Verfasser dieser Zeilen fürchtete, die Kasseler Compagnie könne die Herausforderung nicht bewältigen. Die dissonanten Klänge des „Sacres“ waren, nach Strawinskys Wiederbelebung des Erzählballetts („Feuervogel“ und „Petruschka“, ein riesiger Skandal. Legenden wie Mary Wigman oder Maurice Béjart schufen wegweisende Choreografien dieses Stückes. Pina Bausch ließ 1975 ihre jungen Tänzerinnen und Tänzer bis zur völligen Erschöpfung in echtem Torf tanzen. In ihrer bis heute gezeigten Interpretation, scheinen sich die jeweiligen Akteure verschwitzt und verdreckt völlig zu entblößen.

Dagegen vermeidet es Wieland, den Kampf der Gruppe und die Opferung einer einzelnen Jungfrau als Frühlingsopfer (wie es im heidnischen Russland üblich war) zu zeigen. Vor einer riesigen Betonwand auf der schmalen Bühne kämpft, liebt und verfolgt jeder jeden. Zunächst in der Stille mischen sich Männer, Frauen, beide Geschlechter als Paare oder zur Ménages-à-trois. Dann beginnt die überaus eindringliche Musik, kleine Gruppen bedrängen sich, grenzen Einzelne aus, doch die Gejagten wechseln. Mal im grellen Licht, mal im Halbdunkel werden die Tänzerinnen und Tänzer fast unmerklich nackter, bis sie wirken, als seien sie aus dem Paradies vertrieben.

Das Ensemble bietet einen großartigen „Sacre“, die entkleideten Menschen sind keine Provokation. Auch im übertragenen Sinne machen sie sich nackt, begegnen sich erotisch und dennoch voller Unschuld - um dann plötzlich ins Böse und Animalische zu verfallen. Obwohl in den Begegnungen der Tanzenden viel gekämpft wird, ist Wielands eigensinnige Interpretation des Frühlingsopfers kein verzweifeltes düsteres Stück. Immer wieder verlachen die auf sich geworfenen Menschen ihre Verstrickungen, nehmen Distanz, gehen neue Bindungen ein.

Zur live gespielten Musik des hervorragenden Staatsorchesters Kassel (Leitung Alexander Hannemann) präsentiert Wieland dem begeisterten Publikum eine sehenswerte und zeitgemäße Interpretation des „Sacres“.


Fotos: © Martina Pipprich

Info: Weitere Aufführungen in dieser Spielzeit nur noch am 9., 16., 24. Juni.