
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Im letzten Vierteljahrhundert wurde Sasha Waltz (56) zur innovativsten Tanzkünstlerin Europas. Mit ihrem Ensemble „Sasha Waltz & Guests“ entwickelte sie zuerst das zeitgenössische Tanztheater weiter. Doch sie überwand nicht nur die Grenzen dieses jungen Genres, sondern auch zur Oper und bildenden Kunst.

Im Jahr 2000 war ihre Co-Intendanz mit dem Theater-Regisseur Thomas Ostermeier in der legendären Berliner Schaubühne eine Wende. Hier hatte sie zum ersten Mal - für das Stück „Körper“ - Gelegenheit auf einer gigantischen Bühne zu arbeiten. „Dadurch, dass ich in diesen Raum gegangen bin, hat sich etwas anderes, Neues entwickelt.“

Waltz arbeitet gerne mit anderen Künstlern, mit Gästen, zusammen, daher der Name ihrer Compagnie: „Ich habe schon immer den Austausch gebraucht, das Gemeinsame und Lebendige.“ Nach der Krankheit setzte sie auch die Opernarbeit als Regisseurin fort, jedoch wollte sie die Singspiele nicht mit Tänzen illustrieren: „Für mich bietet Oper wirklich die Möglichkeit zu einem Gesamtkunstwerk. Ich arbeite immer weiter daran, dass Tanz, Gesang, Musik und Raum sich zu einer geschlossenen Einheit verbinden.“
Eine tanzende Sopranistin hatte man in Konzerthäusern bis dahin noch nicht erlebt! Die Choreografin schafft es, dass Tanz und Gesang ineinander aufgehen. Auch bei der Verdoppelung von Rollen - in Sängerin und Tänzerin - kreiert sie keine sich zum Gesang bewegende Pantomimen. Stattdessen wird das Libretto mit abstrakten Bewegungen umschrieben: „Die Körper erzählen in Bildern.“ Ein monströser Höhepunkt ihrer „choreografischen Opern“ war die Inszenierung von „Dido & Aeneas“ in der Berliner Waldbühne vor über zehntausend Besuchern. Es gab zwar 2011 endlich mal genug Tickets - aber keine Intimität bei der riesigen Distanz zum Publikum.
Diesen Abstand hob Waltz 2013 in der Ausstellung zum 20-jährigen Jubiläum des Ensembles in ihrer Geburtsstadt Karlsruhe fast völlig auf. Im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) gab es kaum Videos ihrer choreografischen Arbeit. Vielmehr belebten vier Monate lang Tanzende und Performer ihre Installationen, die Zuschauer wurden dabei unmittelbar hineingezogen. Als bildende Künstlerin löste Waltz flüchtige Bewegungsbilder aus ihren Choreografien und verwandelte sie in skulpturale Objekte - an Seilen schwebende Tanzkörper wurden zu Plastiken. Ein haushoher Ballon schluckte inmitten des Publikums eine Tänzerin.
Eine weitere Grenzüberschreitung der Tanzkünstlerin ist zu erwarten, wenn sie in der nächsten Spielzeit die Co-Intendanz des Berliner Staatsballetts übernimmt.
Fotos:
1 © Museum-MAXXI_Bernd_Uhlig
2 Dido-und-Aeneas © Sebastian_Bolesch.
3 © Andre_Riva
Info:
www.sashawaltz.de
LITERATUR
Viele Bücher über die Choreografin sind vergriffen, leider auch der großartige Katalog zur Ausstellung im ZKM. Empfehlenswert und verfügbar sind jedoch:
„Nahaufnahme von Sasha Waltz“, Alexander Verlag Berlin, broschiert 160 Seiten, aktualisierte Neuauflage 2012: In Gesprächen mit der Tanzjournalistin Michaela Schlangenwert äußerte sich die Choreografin intensiv über ihre Arbeitsweise und künstlerische Entwicklung. Alle Zitate in den beiden Texten sind aus diesem empfehlenswerten Buch.
„CLUSTER“ herausgegeben von Sasha Waltz & Guests, gebunden, 208 Seiten , 44 s/w und 148 farbige Abbildungen, 39,90 Euro: Dieser Band dokumentiert mit hervorragenden Fotos ihr choreografisches Werk bis 2007 und den Arbeitsprozess hinter der Bühne.