Im Fuldaer Schlosstheater war die Compagnie „It Dansa“ aus Barcelona mit einem abwechslungsreichen Tanzabend zu Gast
Hanswerner Kruse
Fulda (Weltexpresso) - Rau bellt ein Mann spanische Befehle, eine Frau reagiert mit anmutigen Bewegungen, nähert sich zögernd. Zarte Berührungen, gemeinsame Figuren, dann unaufhörliches Ringen: Kampf. Loslassen. Annäherung. Kampf. Loslassen... Schon vorher kreieren drei Paare auf der leeren Bühne kraftvoll-dynamische Bewegungsbilder, später schaffen sie in diversen Konstellationen kunstvolle akrobatische Tänze. „Naked Thoughts“ ist vor allem eine sehr energiegeladene aber letztlich ziemlich ausdruckslose Choreografie: Purer Tanz.
Das ändert sich in den „Sechs Tänzen“ Jirí Kyliáns nach der Musik von Wolfgang Amadeus Mozart. Mit angedeuteten klassischen Figuren (Ballett kann man es wirklich nicht nennen) und Hüpfen, Hinfallen, Pantomimen, kleinen Gags reagieren die Tanzenden fröhlich auf die Mozartische Musik. Bereits das erste Stück ist von großer Leichtigkeit, gleitet jedoch nie ins Burleske ab. Die folgenden Tänze werden komplexer, ein Mann zankt sich mit zwei Frauen, liegende Tänzerinnen werden herausgezogen, eine ist auf zwei turtelnde Männer eifersüchtig. Immer wieder halten die Männer die Frauen an den Kleidern fest, ziehen sie daran hoch oder scheinen sie damit zu erwürgen. Zum Schluss rieseln Unmengen Seifenblasen auf das Ensemble. Mozart hätte seine Freude an diesen leicht getanzten Stücken gehabt, die bereits ein Klassiker des zeitgenössischen Tanztheaters sind.
„Whim“, unaufhörlich „Whim“, schreit ein Tänzer im Lichtkegel. Neben ihm ein Riesenhaufen von Stühlen und Menschen, aus dem sich vierzehn Tanzende jeweils mit einem Stuhl herauslösen: Synchron recken sie sich, strecken sich, knuddeln sich zusammen oder gleiten auf den Boden. Manchmal fällt jemand kichernd aus der Rolle, steckt die anderen an, auch das Publikum macht mit: Lach-Yoga für alle. Irgendwann entsteht ein Chaos von Stühlen und Menschen, in das Vivaldis Musik dann geradezu hineinfährt. Gruppen bilden sich, im Vordergrund Kusstänze, im Hintergrund Kontakttänze mit Stühlen. Weitere zwanzig Minuten lang tanzt und spielt das Ensemble unaufhörlich mit den Sitzgelegenheiten, ohne dass es je langweilig wird. Zu Maurice Ravels „Bolero“, dann zu „My baby don’t care“ Nina Simones entstehen ständig neue, abwechslungsreiche Mensch-mit-Stuhl-Bilder. Zum Schluss rotten sich alle erneut zusammen, der einzelne Tänzer brüllt „Whim!“, den Titel dieser theatralischen Choreografie von Alexander Ekman.
Das Publikum jubelt begeistert. Ovationen im Stehen für das Ensemble, das aus jungen Leuten besteht, die gerade ihre Ausbildung beendet haben. Im zeitgenössischen Tanz arbeiten Choreografen meist für ihre eigenen Compagnien oder in Residenzen als Gäste und schaffen neue Stücke. Das Repertoire aktueller Choreografien ist klein, nur wenige werden weitergegeben. Die Kritik setzt sich deshalb meist mit den Choreografien und ihrer tänzerischen Umsetzung auseinander. An diesem Abend sind jedoch eher die Leistungen der Tanzenden zu loben als die bereits bekannten Arbeiten.
Kylián war lange Jahre Leiter des legendären „Nederlands Dans Theaters“, das behutsam und weniger dramatisch als das deutsche Tanztheater den zeitgenössischen Tanz prägte; Ekman arbeitete bei ihm und ist mittlerweile selbst ein gefeierter Choreograf. Der Fuldaer Abend, leicht wie der Frühling, zeigte, vieles kann Tanz sein und der darf auch komisch sein. Dennoch - bei aller Leichtigkeit, hätte man sich manchmal etwas mehr Drama und Tiefe gewünscht. Aber dem Publikum war es egal und die hessischen Tanzbühnen in Darmstadt, Wiesbaden oder Kassel präsentieren derzeit reichlich Apokalyptisches und Kritisches, über das wir noch berichten werden.
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