Bridges zu Anna Seghers opt 2018FRANKFURT LIEST EIN BUCH: ‚Das siebte Kreuz‘ von Anna Seghers, vom 16. bis 29. April, Teil 15 

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Als wesentliches Moment erscheint im Zusammenhang mit dem Wiederlesen des Romans ‚Das siebte Kreuz‘, von Anna Seghers, dass die Räume, in denen gelesen wird, von einer anderen Zeitstruktur, einer eigentümlich herausgehobenen Tonlage des Vortrags eingenommen werden: ein Beleg für die exzellente Verfügung über die Sprache in Romanen.
Die Textur diktiert die Weise des Vortrags. Diese ergibt sich aus der Verfügung über die klug aneinander verfügten Zeiteinheiten. Daraus folgt ein Auftrittsmoment, das in der Ausführung einzigartig ist. Es ist keine Effekthascherei. Die Tonlage muss gehalten werden – es darf keinen Bruch geben. Es handelt sich nicht um die Suggestion durch eine Masche, denn die anhaltende Aufmerksamkeit fordernde Vortragsweise ist der Handlung, dem Grund der Flucht, geschuldet. Der Text herrscht seltsam über all jene, die ihn vortragen. Sie selbst treten ganz zurück. Kein Schauspieler muss sich um diesen Text bemühen. Ein gedanklicher Spin kommt zum Tragen, zur Vorherrschaft. Das war vor etlichen Jahren noch nicht so klar.


Eine Knappheit bleibt übers Ganze in Funktion

Es kommt nicht so sehr darauf an, wer den Roman liest. Niemand kann kurz loslassen, kein eigener Sinn kann sich einarbeiten. Der Stoff führt selbst eine Rhythmisierung, eine Spannung mit sich, die konsequent verfängt. Die Flucht treibt die Rhythmisierung voran. So ist eine ganze Aufmerksamkeit gefordert, vor allem aufgrund des Fluchtmotivs. Der Hörende findet sich wie in die Fahrstrecken eines Gespanns gepresst, das durch die Episodenstruktur rast. Aber es ist keine Methode, es ist die Ebene der souveränen Sprachlichkeit, die nach einer Choreographie abläuft.

Kommt jemand etwas verspätet zum Lesetermin (die Kirche war nicht so leicht aufzufinden) oder hört unversehens einen Auszug aus dem Radio, es ist immer das gleiche. Das, was ankommt und wie es zum Leben erweckt wird, hängt von der Begnadung einer Schriftstellerin ab. Sie hat ein Werk geschaffen, das viel mehr ist als stringent.


Unangemessene Anwürfe gegen Anna Seghers

Eine Begebenheit kommt immer wieder in Erinnerung: im Rahmen einer Tätigkeit für die Fach-Bibliothek einer konservativen Frankfurter Bank, Unterabteilung Belletristik, Ausleihe für den Freizeitgebrauch. Eine aus der DDR übergesiedelte Sekretärin entrüstet sich: es sei eine Ungeheuerlichkeit, dass Anna Seghers Roman Das siebte Kreuz hier inventarisiert und zum Lesen in der Freizeit zur Verfügung gestellt werde, denn dieser Roman sei das Machwerk einer Kommunistin, die in der DDR ihre Heimat gefunden habe und einem diktatorischen Staat zuarbeite, - die sich ihm andiene.

Es war in den Siebziger Jahren noch bezeichnend für die Ausläufer der Adenauer-und Erhard-Zeit, dass - ungeachtet der andauernden Widerstände gegen die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit auf der Westseite -, eine Schriftstellerin, ganz unabhängig von ihrer literarischen Leistung, gebannt werden sollte, weil sie sich für die andere Seite des Eisernen Vorhangs entschieden hatte.

Ob es eine richtige Entscheidung war oder nicht, tut nichts zur Sache, es war die Entscheidung in einer Existenzsituation, die nicht ohne inneren Konflikt war. Die konsequent antifaschistische Positionierung der DDR war voll in Kraft, die zu erkennende Illusion darüber aber war erst nach und nach im Kommen, aber das zog sich lange hin, weil Menschen Bindungen haben. Und im Westen war die alte Nazi-Garde wieder/noch in Amt und Würden.

In den Siebziger Jahren war die Ost-West-Entspannung noch im Werden. Der Kampf der Systeme zeitigte unversöhnliche Gegensätze. Wer in der heutigen Zeit kritische Positionen zur eigenen Welt einnimmt, ist auch schnell als Schwarzmaler und Unruhestifter ausgemacht. Der voll-mündige Staatsbürger ist auf konservativer Seite noch nicht anerkannt.

Die Sechziger Jahre, die eine Zeit der Öffnung und des aufkommenden jugendlichen Sich-selbst-Bestimmens waren, gelten in konservativen Kreisen immer noch als Unzeit, die besser nicht gewesen wäre. Kommunismus oder freie Marktwirtschaft, hin oder her, simplifizierte Bekenntnisse waren damals an der Tagesordnung, aber es ging (und geht) um Bekenntnisse, die sich um Tod und Teufel ranken. Diese Dichotomie herrscht noch heute.

Anna Seghers ging in die DDR, weil der westliche Staat zumindest mit ihr fremdelte und sie auch nicht absehen konnte wie sich die weitere Entwicklung gestaltete. Sie fragte sich einfach nur, wo könnte ich ein bisschen mehr zuhause sein. Manche, die sich von der DDR abwandten, waren ihr zunächst zugetan, bis sie sich zu wundern begannen und von ihr abfielen. Es gibt keine ganz irrtumsfreie Zeit, weil die Welt nicht so einfach aufteilbar ist.


Auf das Werk kommt es an

Es ist ein Unding, dass eine Schriftstellerin, ungeachtet ihrer literarischen Leistung, die ein Werk des objektiven Geistes ist, umgehend als Ausgeburt der Verirrung abgelehnt und verurteilt wird. Die dies heute noch ähnlicherweise versuchen, sollten sich bei der eigenen Nase fassen und lieber das Fortbestehen und die Wiederkehr von NS-Überzeugungen und einer neuen Deutschtümelei und Gründelei - bei Nichtaufarbeitung des Nationalsozialismus und des fortbestehenden Verdrängens der Vergangenheit – zum Thema machen.

Im Westen wurde damals schnell unfair und vorurteilsbehaftet aufgeteilt. Die spiegelbildliche Verblendung im Westen war ein Grund für das Aufbegehren einer jungen Generation und es bleibt deren Verdienst, eine historische Aufgabe und Rolle bewältigt zu haben - die noch nicht abgeschlossen ist. Die Befreiungstätigkeit stellte auf Ausläufer einer unaufgearbeiteten Zeit ab, verwies die Täter in ihre dunstige Sphäre, der sie angehörten, belastetes Personal wurde nach und nach aus seinen Stellungen, zumindest: Alleinstellungen, verabschiedet. Es war eine belastend beklemmende atmosphärische Periode, die nach Aufklärung schrie.

Abwegig erschien der aufbrechenden Jugend, dass eine Schriftstellerin nicht nach ihrem Werk beurteilt werden sollte, sondern nach einem persönlichen Werdegang, der der Zeit und ihren absurden und wenig beeinflussbaren Verwerfungen geschuldet war, die kein einzelner Mensch in der Hand hat und steuern kann. Eine Lösung stand nicht zur Wahl, die Blöcke hatten sich verfahren, in vernunftlos antagonistische Richtungen. Es galt die Logik der Lagermentalität. Ein rational geführter, von überkommener Herrschaftslogik freier und abgelöster Diskurs ging kaum. Willy Brandt hat das mit seiner Politik wahrlich durchbrochen.

Einen anderen Fall von degradierender Diffamierung haben wir in Frankfurt am Main mit der Architektin Margarethe Schütte-Lihotzki, der Entwicklerin der Frankfurter Küche, nach dem bahnbrechenden Einbauverfahren. Auch sie wird von konservativen Inquisitoren noch immer unerbittlich verfolgt und gebrandmarkt, weil sie auch Kommunistin war. Daher wird ihr die angemessene Würde als Ehrenbürgerin bis heute verweigert. Dass sie von den Nazis wegen Hochverrats zum Tode verurteil worden war – was sie charakterlich ehrt -, spielt bei den sonst so hochgradig gebildeten und resolut kunstliberalen Konservativen keine Geige.

Foto: Heinz Markert

Info:
Im Rahmen von ‚Frankfurt liest ein Buch‘: Lesungen von ‚Das siebte Kreuz‘ von Anna Seghers im Museum für Kommunikation im Wechsel mit: ‚Bridges - Musik verbindet‘ des Ensembles Aramesk · „Widerstand und Hoffnung“. Mit Maria Kaplan, Gesang, Johanna-Leonore Dahlhoff, Flöte, Mustafa Kakour, Oud und Markus Wach, Kontrabass. Geboten wurde Musik in traditionell hebräisch, sephardisch, palästinensisch und aramäisch.

Das Ensemble ist auf der Grundlage der Erfahrungen von Flucht entstanden. Es hat auch Umformungen und Neuschöpfungen der Traditionals im Repertoire. Der nahe Osten war ein Schmelztiegel der ersten alten großen Religionen. So hörten wir auch das Vaterunser in aramäisch, in gesprochener und vertonter Fassung, von der Sängerin Maria Kaplan. Sie stammt aus der Türkei, musste aber als kleines Kind fliehen, wie so viele. Jesus sprach aramäisch. Der Spieler des Saiteninstruments Oud, Mustafa Kakour, stammt aus Syrien und kam 2015 nach Deutschland. Er rezitierte den Text des Lieds ‚The Cry oft he syriac People‘ in perfektem Deutsch, bevor es die Gruppe konzertant darbot.