Bildschirmfoto 2018 05 27 um 20.43.09erhält in der Frankfurter Paulskirche den Ludwig Börne-Preis 2018

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Souad Mekhennet ist Journalistin, wurde 1978 in Frankfurt geboren, ist hierzulande fast unbekannt, weltweit durch ihre Artikel und Interviews in der Washington Post und New York Times dagegen ein Begriff. Und weil Maybrit Illner dieses Jahr den 24. Preisträger auslobte, gab es endlich wieder eine Preisträgerin, die den Lebens- und Arbeitsbedingungen des Ludwig Börne im Ansatz entspricht: unter schwierigen persönlichen Verhältnissen öffentlich die Wahrheit zu sagen.

sDamit ist gemeint – und darauf ging Maybritt Illner in ihrer Laudatio ausführlich ein – daß es in der Lebensgeschichte von Börne und Mekhennet sowohl Gemeinsamkeiten wie auch interessante Unterschiede gibt. Mit ihr ist übrigens das erste Mal eine Preisträgerin aus der Stadt Frankfurt am Main dabei, wo Börne am 6. Mai 1786 im jüdischen Ghetto als Juda Löb Baruch geboren wurde. Sowohl sein Name wie auch sein Judentum waren seinen journalistischen Absichten abträglich, einfach, weil er kaum Aufträge bekam und seine Artikel nicht zur Kenntnis genommen wurden. Er nannte sich seit 1818 Carl Ludwig Börne, trat zum evangelischen Glauben über und wurde der bekannteste Journalist seiner Zeit, war auch Literatur- und Theaterkritiker, der die deutsche Sprache wie ein Florett nutzte und sprachmächtig den Oberen die Meinung so messerscharf sagte, daß er der Zensur wegen 1830 nach Paris ins Exil mußte, wo er auf seinen Intimfeindfreund Heinrich Heine traf, der den Kunstfreund Börne genauso beneidete und verabscheute wie Börne den Dichter Heine.

Nein, Souad Mekhennet mußte nicht ins Ausland gehen, um ihre Meinung sagen zu können, aber sie mußte ins Ausland gehen, weil hier ihre Meinung erst einmal nicht zählte. Denn die Tochter eines marokkanischen Kochs, der der sunnitischen Glaubensrichtung angehört und einer türkischen Wäscherin, die die schiitische Variante des Islam lebt, war in den Achtziger Jahren für die Frankfurter Gesellschaft, auch am Wohnort im Nordend, erst einmal Gastarbeiterkind, wo schon aufs Gymnasium zu gehen und zu studieren etwas Besonderes war. In der Begrüßung durch den Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann charakterisierte dieser die Journalistin als „sunnitisch-marokkanisch, schiitisch-türkisch, typisch Frankfurt“. Denn längst sind solche Kategorisierungen in Frankfurt nicht mehr negativ gemeint, sondern sollen den sozialen Zusammenhalt aller in Frankfurt kennzeichnen, wo Menschen aus 177 Ländern leben.

Nein, darauf legte Maybrit Illner Wert, Souad Mekhennet hat anders als Ludwig Börne nicht ihren Namen geändert, noch ihre Muslimzugehörigkeit aufgegeben, aber die Chance, hierzulande sich journalistisch hervorzutun, die bekam sie nicht und als sie versuchte, dies als Korrespondentin fürs Radio in der Heimat ihres Vaters – sie spricht Marokkanisch, also Arabisch, spricht Türkisch, ist mit Deutsch aufgewachsen, schreibt auf Englisch – zu tun, wurde ihr vom Redaktionsleiter beschieden, nein, man nehme nicht Leute mit ethnischen Wurzeln für die jeweiligen Länder. Die seien nicht objektiv, ist da die Vermutung. Wie albern, in ihrer Dankesrede spießte die Preisträgerin dies gerne auf, wonach eben alle deutschen Journalisten nicht mehr über Deutschland schreiben dürften.

Unter der Hand wurde damit der recht voll besetzten Paulskirche eben auch vermittelt, wie schwer es Migrantenkinder eben doch haben, selbst dann, wenn sie die ersten Hürden wie Spracherwerb und schulische Abschlüsse auf höchstem Niveau erreicht haben, unterstützt durch die Nachbarfamilie Weiß. Ihr Berufsziel Journalismus hatte mit dem Film Die Unbestechlichen zu tun, der 1976 als All the President‘s Men die Watergate Affäre aufarbeitete und darin die Journalisten der Washington Post, verkörpert von Robert Redford und Dustin Hoffman, zu Helden der Wirklichkeit machte. Das ist schon eine Ironie der Geschichte, daß sie ausgerechnet bei der Washington Post gelandet ist. Damals war sie 16 Jahre, aber sie zog ihren Berufswunsch durch, studierte in Frankfurt Politologie, ging auf die Henri-Nannen-Schule in Hamburg, die im Jahr ihrer Geburt gegründet worden war, und wurde politische Korrespondentin. Insbesondere in Krisen- und Kriegsgebieten versuchte sie durch Interviews mit Tätern und Opfern den Konflikten ursächlich auf den Grund zu gehen. Sie selbst hat dabei oft zu hören bekommen, daß gar nicht beide Seiten zu Wort kommen sollten, denn wenn sie das tue, unterstütze sie die falsche Seite, weil die richtige für den Westen eh klar sei.

Und in ihrem weiteren Vorhaben konnte sie gerade ihre Herkunft mitsamt ihren Sprachfähigkeiten nutzen: sie führte – oft als einzige – Interviews mit Dschihadisten, untersuchte die Motive der IS-Kämpfer genauso wie deren Opfer, wo sie über diejenigen schrieb, die ihre Angehörigen bei islamistischen Anschlägen verloren haben. Alles in allem, darauf ging die Preisträgerin in ihrer Dankesrede ein, haben sich da ihre anfänglichen Nachteile als Migrantenkind zu Vorteilen gewandelt, womit nicht allein ihre sprachlichen Möglichkeiten gemeint sind.

Auch der These, dem Islam fehle im Gegensatz zum Abendland die Aufklärung, um aus dem Status des Gottengnadentums herauszufinden und eine säkulare Gesellschaft zu akzeptieren, setzte Souad Mekhennet eine geschichtliche Wahrheit entgegen, nämlich, wo denn während des Holocausts diese Aufklärung gewesen sei...

Sie sprach noch berührende Wort, wie in der Besetzung Frankreichs durch die Nazis der Imam von Paris jüdische Mitbürger als Muslime ausgab und so vor der Deportation und dem Tod rettete und eben auch vom Verhältnis von Minderheiten untereinander.

Im Jahr 2018 zeigte sich wieder einmal, wie sinnvoll das Konzept der Auslobung des Preisträgers durch einen einzigen Juror ist, weil auf diesem Wege auch Menschen geehrt werden können, die nicht die Mehrheit einer Jury überzeugen müssen, was eben immer den Beigeschmack von Mittelmaß hat. Das letzte Mal, daß jemand im Namen von Ludwig Börne geehrt wurde, der unter sehr schwierigen Bedingungen das journalistische Handwerk erlernt und segensreich ausgeübt, war 2005. Damals war der wunderbare und nun längst verstorbene Jorge Semprun Preisrichter und wählte die Journalistin und Autorin Daniela Dahn, die in der DDR ihrer Texte wegen ins Gefängnis kam und hierzulande kaum gelesen wird, weil sie wie damals unter die Decke der offiziellen Meinung blickt und insbesondere die ökonomischen Verhältnisse, den Aufkauf der Ex-DDR durch Westdeutsche und die Verschleuderung von Grund und Boden an diese benannt hat und benennt.

Mit welcher Häme hatte damals die FAZ die Preisrede Daniela Dahns beantwortet. Es war unglaublich, aber alle schwiegen. Souad Mekhennet dagegen ist als Preisträgerin akzeptiert. Das zeigt weniger, daß sich die Verhältnisse ändern, sondern doch eher, daß heute in der Bundesrepublik Deutschland bezogen auf Politik eine größere journalistische Bandbreite akzeptiert wird, als wenn es um Eigentumsverhältnisse geht. Da bleibt auch die Journaille in der Regel beinhart kapitalistisch.

Fotos:
Preisrichterin Maybrit Illner gratuliert Souad Mekhennet
© Maik Reuss