Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das ließ sich keiner der drei Festredner: zur Begrüßung Kulturdezernentin Ina Hartwig, Laudator Günter Rohrbach und die preisgekrönte bedeutendste deutsche Filmregisseurin Margarethe von Trotta entgehen, diesen Widersinn, diese schöne Volte zu zitieren, was nämlich Theodor W. Adorno über das Ins Kino Gehen in seiner MINIMA MORALIA schrieb: "Aus jedem Besuch des Kinos komme ich bei aller Wachsamkeit dümmer und schlechter wieder heraus."
Ein gefundenes Fressen für eine in seinem Namen ausgelobte Filmemacherin! Und deshalb endete die Preisrede der Adorno-Preisträgerin auch damit, daß sie hoffe, Adorno nach dem Zeigen des Ausschnitts aus ihrem Film ROSA LUXEMBURG durch ihre Bilder widerlegt zu haben. Da geht es darum, daß Rosa Luxemburg noch annimmt, in ein anderes Gefängnis verlegt zu werden, stattdessen aber am Landwehrkanal erschlagen und ins Gewässer hineingeworfen wird, eine zu Tränen und nicht stillbare Wut rührende Szene und geschichtliche Wahrheit, woran wir persönlich an jedem Jahrestag, dem 15. Januar (1919) denken und sehr oft darüber schreiben. Ja, sie hat Adorno in diesem obigen Satz widerlegt. Auch Geistesgrößen können irren. Aber geben wir es zu: für die allermeisten Filme trifft ja sein Verdammungsurteil ja zu. Nun aber zum Anfang.
In einem feierlichen Festakt wurde am Dienstag, 11. September, in der Paulskirche der alle drei Jahre vergebene Theodor-W.-Adorno-Preis an die Filmemacherin und Regisseurin Margarethe von Trotta verliehen. Erst zum zweiten Mal wird damit eine Frau mit dem Adorno-Preis der Stadt Frankfurt ausgezeichnet. Nach einer Begrüßung durch Stadträtin und Kulturdezernentin Ina Hartwig hielt der Film- und Fernsehproduzent Günter Rohrbach, von 2003 bis 2010 Präsident der Deutschen Filmakademie.
Kulturdezernentin Ina Hartwig begrüßt die Wahl von Margarethe von Trotta ausdrücklich: „In Zeiten, in denen das demokratische Fundament unserer Gesellschaft dringlicher denn je verteidigt werden muss, ist die Auszeichnung einer dezidiert gesellschaftspolitischen Regisseurin wie Margarethe von Trotta ein wichtiges Signal. Mit ihren großartigen Filmen etwa über Rosa Luxemburg und Hannah Arendt hat sie sich als eine herausragende Künstlerin erwiesen, die ein breites Publikum mit mutigen Denkerinnen im Geiste der Aufklärung, Humanität und Emanzipation vertraut gemacht hat.“
Der mit 50.000 Euro dotierte Preis wird alle drei Jahre von der Stadt Frankfurt zum Gedenken an den Philosophen Theodor W. Adorno vergeben und dient der Förderung und Anerkennung hervorragender Leistungen in den Bereichen Philosophie, Musik, Theater und Film. Adorno wirkte viele Jahre an der Universität Frankfurt sopie dem Institut für Sozialforschung und war einer der namhaftesten Vertreter der Frankfurter Schule. Seine Schriften, darunter „Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben“, „Negative Dialektik“ und die gemeinsam mit Max Horkheimer im Exil verfasste „Dialektik der Aufklärung“, zählen zu den einflussreichsten philosophischen und kulturtheoretischen Werken des 20. Jahrhunderts.
Alle drei Redner, die zwei Rednerinnen und der Laudator, gingen auf ihre wichtigsten, bekanntesten Film ein. Dann merkt man erst einmal, wie wichtig diese für einen waren. Vorneweg DIE BLEIERNE ZEIT, für den sie bei den Filmfestspielen in Venedig 1981 den Goldenen Löwen gewann, eine Aufarbeitung bundesdeutscher RAF-Geschichte. Wenn man sich die weiteren Filme anschaut, herausragend ROSA LUXEMBURG (1986 und in Cannes für die beste weibliche Hauptrolle: Sukowa geehrt) erkennt man, daß sie insbesondere eine Chronistin deutscher Geschichte ist, eine Geschichte der Frauen. Das wird so bleiben. Später ist HANNAH ARENDT aus dem Jahr 2012 ein weiterer Höhepunkt, aber ich mochte auch gerne DIE ABHANDENE WELT (2015), ein Film, der hierzulande kaum zur Kenntnis genommen wurde. Derzeit läuft - wo? - ihr letzter Film AUF DER SUCHE NACH INGMAR BERGMANN. Er war die für sie wichtigste filmische Orientierungsfigur. Und so begann ihre Rede auch mit ihm und ein Erinnern an einen anderen Preis der Stadt Frankfurt: "Im Jahr 1976 hat ein anderer Filmemacher, Ingmar Bergmann, an dieser Stelle einen Preis empfangen: die Goethe-Medaille. In seiner Dankesrede sprach er voller Bitterkeit über sein Land, in dem er nicht mehr leben wolle." Hintergrund war damals eine Steuergeschichte, die ihm als Vergehen angelastet wurde, weshalb er nach Deutschland in die Emigration ging. Das alles löste sich damals auf und er ging zurück in das Land, in dem er ja nicht mehr hatte leben wollen.
Margarethe von Trotta hatte schon immer in Deutschland leben wollen, wohin sie nach dem Krieg mit ihrer deutsch-baltischen Mutter aus der siegreichen Sowjetunion geflohen, bez. vertrieben worden war. Beide Frauen waren staatenlos. Unglaublich lange staatenlos. Was das im normalen Leben bedeutete, schilderte von Trotta eindringlich. Von ihrem Vorbild Ingmar Bergmann, der sich der Heimat zwischenzeitlich abgewandt hatte, im Redeanfang schlug sie am Schluß eine Brücke, was sie selbst angeht: " Adorno sagt in "Die Wunde Heine": 'Es gibt keine Heimat mehr als eine Welt, in der keiner mehr ausgestoßen wäre, die der real befreiten Menschheit. Die Wunde Heine wird sich schließen erst in einer Gesellschaft, welche die Versöhnung voranbrachte.' Daß ich heute Abend von der Stadt Frankfurt einen Preis entgegennehmen darf, der mit seinem Namen verbunden ist, macht mich zu einer Person, die in ihrem Land nun endgültig keine Fremde mehr sein muß. Dafür danke ich der Jury. Sehr."
P.S.: Wir haben übrigens bei der Preisverleihung in der Paulskirche Filmleute aus Deutschland vermißt. Vor allem Barbara Sukowa, die viele Filme der von Trotta getragen hat, was auch umgekehrt gilt, daß sie diese Schauspielerin wie niemand sonst in Szene, ins Licht setzte. Nicht mal Alexander Kluge war da. Und aus Frankfurt: Hannelore Elsner? Wenigstens der SPD-Landtagsabgeordnete und dort für Kultur zuständige Gernot Grumbach war anwesend, denn eigentlich ist es der Bedeutung des Preises angemessen, wenn auch die politische Repräsentanz geleistet wird.
Foto:
©Eva Mittmann
Info:
Dem Kuratorium des Theodor-W.-Adorno-Preises 2018 gehören neben den ständigen Mitgliedern laut Satzung in diesem Jahr Prof. Petra Gehring (Technische Universität Darmstadt), Prof. Martin Saar (Goethe-Universität Frankfurt), Christian Thomas (Feuilletonleiter der Frankfurter Rundschau) und der Schriftsteller und Buchpreisträger Frank Witzel an. Vorherige Preisträger waren Georges Didi-Huberman (2015), Judith Butler (2012) und Alexander Kluge (2009). Der erste Preisträger war im Jahr 1977 der Soziologe Norbert Elias. Erstmals wurde 1995 mit Jean-Luc Godard ein Filmemacher ausgezeichnet.
Kulturdezernentin Ina Hartwig begrüßt die Wahl von Margarethe von Trotta ausdrücklich: „In Zeiten, in denen das demokratische Fundament unserer Gesellschaft dringlicher denn je verteidigt werden muss, ist die Auszeichnung einer dezidiert gesellschaftspolitischen Regisseurin wie Margarethe von Trotta ein wichtiges Signal. Mit ihren großartigen Filmen etwa über Rosa Luxemburg und Hannah Arendt hat sie sich als eine herausragende Künstlerin erwiesen, die ein breites Publikum mit mutigen Denkerinnen im Geiste der Aufklärung, Humanität und Emanzipation vertraut gemacht hat.“
Der mit 50.000 Euro dotierte Preis wird alle drei Jahre von der Stadt Frankfurt zum Gedenken an den Philosophen Theodor W. Adorno vergeben und dient der Förderung und Anerkennung hervorragender Leistungen in den Bereichen Philosophie, Musik, Theater und Film. Adorno wirkte viele Jahre an der Universität Frankfurt sopie dem Institut für Sozialforschung und war einer der namhaftesten Vertreter der Frankfurter Schule. Seine Schriften, darunter „Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben“, „Negative Dialektik“ und die gemeinsam mit Max Horkheimer im Exil verfasste „Dialektik der Aufklärung“, zählen zu den einflussreichsten philosophischen und kulturtheoretischen Werken des 20. Jahrhunderts.
Alle drei Redner, die zwei Rednerinnen und der Laudator, gingen auf ihre wichtigsten, bekanntesten Film ein. Dann merkt man erst einmal, wie wichtig diese für einen waren. Vorneweg DIE BLEIERNE ZEIT, für den sie bei den Filmfestspielen in Venedig 1981 den Goldenen Löwen gewann, eine Aufarbeitung bundesdeutscher RAF-Geschichte. Wenn man sich die weiteren Filme anschaut, herausragend ROSA LUXEMBURG (1986 und in Cannes für die beste weibliche Hauptrolle: Sukowa geehrt) erkennt man, daß sie insbesondere eine Chronistin deutscher Geschichte ist, eine Geschichte der Frauen. Das wird so bleiben. Später ist HANNAH ARENDT aus dem Jahr 2012 ein weiterer Höhepunkt, aber ich mochte auch gerne DIE ABHANDENE WELT (2015), ein Film, der hierzulande kaum zur Kenntnis genommen wurde. Derzeit läuft - wo? - ihr letzter Film AUF DER SUCHE NACH INGMAR BERGMANN. Er war die für sie wichtigste filmische Orientierungsfigur. Und so begann ihre Rede auch mit ihm und ein Erinnern an einen anderen Preis der Stadt Frankfurt: "Im Jahr 1976 hat ein anderer Filmemacher, Ingmar Bergmann, an dieser Stelle einen Preis empfangen: die Goethe-Medaille. In seiner Dankesrede sprach er voller Bitterkeit über sein Land, in dem er nicht mehr leben wolle." Hintergrund war damals eine Steuergeschichte, die ihm als Vergehen angelastet wurde, weshalb er nach Deutschland in die Emigration ging. Das alles löste sich damals auf und er ging zurück in das Land, in dem er ja nicht mehr hatte leben wollen.
Margarethe von Trotta hatte schon immer in Deutschland leben wollen, wohin sie nach dem Krieg mit ihrer deutsch-baltischen Mutter aus der siegreichen Sowjetunion geflohen, bez. vertrieben worden war. Beide Frauen waren staatenlos. Unglaublich lange staatenlos. Was das im normalen Leben bedeutete, schilderte von Trotta eindringlich. Von ihrem Vorbild Ingmar Bergmann, der sich der Heimat zwischenzeitlich abgewandt hatte, im Redeanfang schlug sie am Schluß eine Brücke, was sie selbst angeht: " Adorno sagt in "Die Wunde Heine": 'Es gibt keine Heimat mehr als eine Welt, in der keiner mehr ausgestoßen wäre, die der real befreiten Menschheit. Die Wunde Heine wird sich schließen erst in einer Gesellschaft, welche die Versöhnung voranbrachte.' Daß ich heute Abend von der Stadt Frankfurt einen Preis entgegennehmen darf, der mit seinem Namen verbunden ist, macht mich zu einer Person, die in ihrem Land nun endgültig keine Fremde mehr sein muß. Dafür danke ich der Jury. Sehr."
P.S.: Wir haben übrigens bei der Preisverleihung in der Paulskirche Filmleute aus Deutschland vermißt. Vor allem Barbara Sukowa, die viele Filme der von Trotta getragen hat, was auch umgekehrt gilt, daß sie diese Schauspielerin wie niemand sonst in Szene, ins Licht setzte. Nicht mal Alexander Kluge war da. Und aus Frankfurt: Hannelore Elsner? Wenigstens der SPD-Landtagsabgeordnete und dort für Kultur zuständige Gernot Grumbach war anwesend, denn eigentlich ist es der Bedeutung des Preises angemessen, wenn auch die politische Repräsentanz geleistet wird.
Foto:
©Eva Mittmann
Info:
Dem Kuratorium des Theodor-W.-Adorno-Preises 2018 gehören neben den ständigen Mitgliedern laut Satzung in diesem Jahr Prof. Petra Gehring (Technische Universität Darmstadt), Prof. Martin Saar (Goethe-Universität Frankfurt), Christian Thomas (Feuilletonleiter der Frankfurter Rundschau) und der Schriftsteller und Buchpreisträger Frank Witzel an. Vorherige Preisträger waren Georges Didi-Huberman (2015), Judith Butler (2012) und Alexander Kluge (2009). Der erste Preisträger war im Jahr 1977 der Soziologe Norbert Elias. Erstmals wurde 1995 mit Jean-Luc Godard ein Filmemacher ausgezeichnet.