KABBALAH. Ausstellung im Jüdischen Museum Wien bis 3. März 2019, Teil 1/3
Claudia Schulmerich
Wien (Weltexpresso) – Wie war das mit unserer Welt? Es werde Licht?! Die drei monotheistischen Religionen, deren Ursprung das Judentum ist, lassen im 1. Buch Moses die Schöpfung beginnen mit: Das Licht und damit Tag und Nacht werden geschaffen.
Und genau so beginnt die Ausstellung im 1. Stock. Von rechts außerhalb des Ausstellungsraumes fällt ein grelles Licht in das Dunkle des Raums, das, wenn man sich ihm zuwendet, einen die Augen zusammenkneifen läßt, denn pures Licht kann man genauso wenig mit offenen Augen vertragen wie einen tiefen Blick in die Sonne. Das ist gewollt, denn das Göttliche hat ja keine Gestalt, man darf darum Gott im Jüdischen auch nicht darstellen, was als Bilderverbot auch den Islam beeinflußt und im Christentum durch den byzantinischen Bilderstreit ausgestanden war.
Der israelische Künstler Belu-Simion Fainaru hat 2006 diese Lichtskulptur aus abstrakten Buchstaben des hebräischen Alphabets gestaltet, die "Canopy - Image in the Name of God" heißt. Die Skulptur besteht aus den Buchstaben des Tetragrams (Name Gottes), die wie vom Künstler angeordnet eine anthropomorphe Wirkung entfalten, was man auf unserem Bild gut nachempfinden kann, besser als in der Ausstellung selbst, weil ja, wie gesagt, der Blick ins grelle Licht schnell die Augen schließen läßt.
Und dann gibt es eine weitere Lichtquelle im Einführungsraum, der sich Prolograum nennt, was paßt, weil es hauptsächlich um Buchstaben geht. Diese langen schwarzglänzenden Stäbe im Prolograum sind die 22 Buchstaben des hebräischen Alphabet, die im Wechsel von strahlendem Licht zu völliger Dunkelheit unseren Blick auf die Wand werfen lassen, wo das Licht ein Zitat von David Bowie aufleuchten läßt: ES GEHT EIN RISS DURCH DIE WELT. Und genau darum geht es: „Da ist ein Riß. Ein Riß in allem. Da ist der Spalt, auf den das Licht einfällt. Gott schuf den Menschen in seinem Bilde...“. Und schauen wir genau hin, dann sehen wir den Spiegel, auf dem die schwarzen Stäbe stehen, zerbrochen. Denn so heißt es im Mythos, der erste Lichtstrahl irrt umher, bis er die Lichtgestalt des Adam Kadmon konstituiert, das Urbild des Menschen. Seinem Körper entsprechen die zehn Sefirot, die zehn göttlichen Emanationen des kabbalistischen Lebensbaums. Doch die brutale Gewalt des Lichts läßt drei der Gefäße zerbrechen, zerbersten...
Eigentlich ist es sogar ein doppelter Riß. Denn bevor Gott die Welt schuf, muß ja vorher ein Nichts dagewesen sein, wie es heißt: „Die Erde war wüst und leer (wirr)...“ Das Nichts ist ja nicht nichts, sondern etwas, eine Leere, die auch geschaffen worden sein muß – sagt besagter Rabbi Isaak Luria im 16. Jahrhundert, auch Ari der Löwe genannt – ein Nichts, das nun übrig bleibt, wenn das göttliche Licht unsere sichtbare Welt bedeutet. Droht nicht die von Gott geschaffene lichtvolle Welt in unseren angeblich so aufgeklärten Zeiten in ein Nichts zurückzustürzen, aus dem sie einst kam?
Bowies Riß läßt aber nicht nur an die Mystik von der „anderen Seite“ (Kubin und die Phantastische Literatur) denken, sondern bezieht sich direkt auf die Folge der Lichtwerdung, als nach jüdischer Überlieferung das strahlende, alles durchdringende Licht sieben Gefäße zerbersten läßt, deren Folgen, die Scherben, unser Leben eben auch bestimmen und als Sehnsucht einen Heilungsprozeß in uns pflanzen. Viele von uns bemühen sich unaufhörlich, Scherben zu kitten, die Welt besser zu machen, ob im Allgemeinen oder im Privaten, in der Psychoanalyse oder als Idee der Vereinten Nationen.
Da haben wir uns schon weit vorgewagt und sind doch erst am Anfang der Ausstellung im ersten Raum, wo wir auf einmal die Lichtwerdung gleich mehrfach erleben. Denn der Blick wird automatisch von der Lichtquelle draußen angezogen, aber wir folgen dem gleißenden Licht auch auf die Gegenstände im Raum, die nun wie von innen leuchtend in die Augen fallen und sofort sprachliche Muster eingeben wie: erleuchtet sein, Licht vor Augen haben, es geht einem ein Licht auf, man erkennt also - und dann soll auch noch Goethe als letzte Worte gesagt haben: „Mehr Licht!“
Während uns das durch den Kopf geht, verdunkelt sich der Raum durch die vielen Menschen, die nun von hinten angestrahlt vorne im Schatten stehen. Man braucht eigentlich nur in diesem Raum stehen bleiben und erhält alles das vor Augen geführt, was KABBALAH ist. Ein Geheimnis. Der Blick hinter die Dinge oder auch zwischen sie. Das, was bleibt, wenn der Verstand nicht weiter weiß.
Und natürlich auch als Hilfsmittel des menschlichen Verstandes dient, wenn die Ratio erschöpft ist und er lieber etwas Übersinnliches, Mystisches zu Hilfe nimmt, um die Welt erklärbar zu machen, deutbar in den Abgründen, die jeder menschlicher Seele innewohnen.
FORTSETZUNG FOLGT
Fotos:
Titel: Canopy von Belu-Simion Fainaru
© Conny Cossa
Text: © Jüdisches Museum Wien, Wulz
Info:
Diese Ausstellung ist gemeinsam mit dem Joods Historisch Museum Amsterdam entwickelt worden und wird in beiden Museen gezeigt.
Im Kerber Verlag ist der Katalog KABBALAH, hrsg. von Domagoj Akrap, Klaus Davidowicz & Mirjam Knotter, erschienen, der für die Ausstellungsbesucher viele Eindrücke in der Ausstellung klären und dem Wissen um die Dinge ein Fundament geben kann. Dieser Katalog geht allerdings über ein Buch zur Ausstellung weit hinaus, weil es auch ohne die Ausstellung eine hilfreiche Erklärung und Weiterführung dessen, was KABBALAH sein kann, bedeutet.
Außerdem wird es eine Kabbalah-Filmreihe geben. Sieben Filme vertiefen das Thema im Metro Kino. Beginn jeweils Montags um 18 Uhr mit Vortrag, dann um 19 Uhr der Film:
am 26. Nov.: PI USA 1998 (35mm OV)
am 03. Dez.: FOUNTAIN USA 2006 (35mm OV)
am 10. Dez.: POSSESSION USA 2012 (DCP OV)
am 17. Dez.: HA-SODOT Israel 2007 (blu ray, hebrew english sub)
am 07. Jän.: DIBBUK Polen 2015 (DCP polnisch dt UT)
am 14. Jän.: REVOLVER UK 2005 (DCP OV)
am 21. Jän.: MIRACLE IN CRACOW Ungarn 2004 (35mm ungarisch/polnisch engl UT)