k Thoma Der WandererGroße Sonderausstellung zu 200 Jahre Kulturgeschichte des Wanderns im  Germanische Nationalmuseum Nürnberg

Felicitas Schubert

Nürnberg (Weltexpresso) - Millionen Deutsche tun es: Wandern! Diese Form des weitläufigen, mit dem Naturerlebnis verbundenen Gehens ist heute eine überaus beliebte Freizeitbeschäftigung, Tendenz steigend. Die große Sonderausstellung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg gibt ab Donnerstag, 29. November 2018 mit rund 400 Exponaten einen Überblick über 200 Jahre Kulturgeschichte des Wanderns und veranschaulicht den Wandel, dem es im Laufe der Zeit unterlag.

Die Ausstellung verfolgt einen kulturhistorischen Zugang. Neben Werken der Kunstgeschichte – wie grafischen Blättern von Hans Thoma und Ernst Ludwig Kirchner oder einem Gemälde von Max Slevogt – sind auch Wanderequipment in Form von Wanderschuhen, Stöcken, Rucksäcken und Wanderkarten sowie Wegweiser und Parkplatzschilder, Gesellschaftsspiele und Filmausschnitte zu sehen. Es geht um das Wandern als Massenphänomen, das politische Wandern, das Wandern als Wirtschaftsfaktor und als Metapher der Kulturgeschichte. Nie zuvor wurde das Thema in einer solchen Bandbreite ausgestellt.


Anfänge des Wanderns

Zur Zeit der Romantik begann das Wandern langsam populär zu werden. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde es vermehrt Teil eines bürgerlichen Lebensstils, bis es um 1900 allgemein verbreitet war. Was alle Wanderer lockte (und noch immer lockt), ist die erhabene Schönheit der Natur, von der Werke von Caspar David Friedrich und Johan Christian Dahl, aber auch zeitgenössische Fotografien der „German Roamers“ zu Beginn der Ausstellung eindrucksvoll zeugen. Neben den Landschaftsmalern waren es vor allem Literaten, Adlige und das Bürgertum, die sich von dem Naturerlebnis begeistern ließen und sich um das Wandern verdient machten. Am Beispiel ausgewählter Regionen stellt eine Ausstellungssektion unterschiedliche Akteure vor. Zu ihnen zählt Christian Friedrich Graf zu Stolberg-Wernigerode, in dessen Herrschaftsgebiet der Brocken lag. Auf seine Initiative wurde im Jahr 1800 auf dessen höchstem Punkt ein Gasthaus eröffnet. Damit stand zu Stolberg-Wernigerode ganz in der Tradition seiner Familie, die sich um die touristische Erschließung des Brockens mittels Wanderwegen, Wegweisern, Schutzhütten und eines Aussichtsturms verdient gemacht hatte.

Friedrich Ludwig Jahn erkannte Anfang des 19. Jahrhunderts das emotionale Potenzial des gemeinschaftlichen Wanderns, das sich hervorragend zur Förderung eines deutschen Nationalgefühls nutzen ließ. „Frisch, fröhlich, frei und fromm“ – so sollte der Wanderer fortan in die Natur hinausziehen. Jahn bemängelte allerdings die schlechte Infrastruktur. Das sollte sich bald ändern.


Neue Wege

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Wandern bereits so populär, dass immer mehr Regionen mit neuen Wegstrecken erschlossen wurden. Die Bahn erkannte das Potenzial, stimmte ihre Fahrpläne auf beliebte Wanderziele ab und bot spezielle Fahrtkarten für Wochenendausflüge an. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts bildeten zudem Wandererparkplätze für Autofahrer die idealen Start- und Endpunkte von Wander-Rundwegen – ausgewiesen durch ein eigenes Parkplatzschild. Die wandfüllende Auswahl zeigt die große Bandbreite der grafisch-nüchtern bis charmant verspielt gestalteten Entwürfe. Vor Ort erleichterten große Wanderwegweiser mit Entfernungsangaben die Orientierung, von denen ein Exemplar vom Rothaarsteig, dem ersten Premiumwanderweg weltweit, in der Ausstellung präsentiert wird.

Frauen wanderten lange Zeit nur vereinzelt und meist in männlicher Begleitung. Ihnen wurde vielfach der Verlust von Weiblichkeit vorgeworfen. Bemerkenswert ist daher die Darstellung von Kronprinzessin Marie von Bayern im Bergsteigerkostüm aus den 1840er Jahren. Eine Alternative zum Selbstwandern waren Tragesessel, von denen ein Exemplar aus der Zeit um 1870/90 zu sehen ist. Mit dem Aufkommen von Zahnrad- und Seilbahnen Ende des 19. Jahrhunderts verebbte diese Tradition allmählich.


Wandern als Metapher

In Kunst, Literatur und Musik findet sich auch das Thema des Wanderns als Metapher. Der Wanderweg wird mit dem Lebensweg gleichgesetzt, das bisweilen beschwerliche und Kraft raubende Vorwärtskommen mit den Mühsalen des Lebens. Beeindruckend ist das großformatige Gemälde „Der Wanderer“ von Koloman Moser aus der Zeit um 1915/16, eine Leihgabe aus dem Wien Museum. Sein Wanderer verkörpert den Typus eines Getriebenen, eines über das Irdische hinaus strebenden Menschen.


Wandern im 20. und 21. Jahrhundert

In den 1930er wurde aus dem Wandern immer häufiger ein Marschieren, oftmals verbunden mit paramilitärischen Übungen. Die NS-Diktatur begann, das organisierte Wandern zu vereinnahmen. Im Gegenzug ermöglichte das individuelle Wandern, sich diesem Druck zu entziehen.

Wandern spielte auch als Wirtschaftsfaktor eine immer größere Rolle. Wanderkleidung wurde zunehmend praktischer, die Materialien funktionaler und leichter, wie aktuelle Wanderschuhe, Rucksäcke und Jacken verdeutlichen. Inzwischen hat die Freizeitbeschäftigung auch den digitalen Raum erobert, mittels Spielkonsole und animierten Videos können bequem von zu Hause aus neue Welten entdeckt werden. Die Ausstellung endet mit aktuellen Künstler-Positionen, die einen ironisch-skurrilen Blick auf das Wandern werfen. Während das Fotografen-Ehepaar Blume sich auf einem monumentalen Triptychon durch einen dunklen Wald hangelt, zersägt Thomas Virnich einen eigentlich als hilfreiche Stütze gedachten Wanderstock. So schlägt die Ausstellung einen Bogen bis in die Gegenwart.


Foto:
Hans Thoma: Der Wanderer, 1906
Algrafie
64,2 cm hoch x 49,2 cm breit
©Hans-Thoma-Kunstmuseum, Bernau im Schwarzwald

Info:
Wanderland. Eine Reise durch die Geschichte des Wanderns
29.11.2018 – 28.04.2019