Bildschirmfoto 2019 04 23 um 10.07.09DAS JÜDISCHE LOGBUCH  

Yves Kugelmann

Basel (Weltexpresso) -  April 2019. Die Glocken werden für lange verstummen. Die Kathedrale wird wieder aufgebaut. So hat es Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch Montagnacht in die laufenden Kameras versprochen. Innerhalb von fünf Jahren soll die Kathedrale auch Dank immenser Spenden wieder über Paris strahlen. Doch ihre Geschichte und Seele hat das Feuer­inferno von Paris am Vorabend von Ostern und Pessach aus den alten Gemäuern des UNESCO-Weltkulturerbes herausgebrannt.

Ein Monument Europas der Katholiken und Juden geht nach 1000 Jahren überlebter Kriege und Revolutionen vor den Augen der ganzen Welt zugrunde. Der Ort, an dem im August 1944 die Befreiung vor den Nazis mit Glockenklang begangen wurde. Wie ein gutes Omen blieben diese zwei Türme stehen und mit ihr die Würde eines Ortes, der nicht in die Knie zu zwingen war und die Bilder von New York nicht wiederholen liess. Doch die Feuer in den Kathedralbögen hinter den zerborstenen Scheiben erinnern an die brennenden Synagogen von einst. Dieses Feuer allerdings hat kein totalitärer Mob entfacht. Der französische Autor Marek Halter («Abraham, die Wege der Erinnerung») erinnerte noch während der Feuersbrunst daran, dass Notre-Dame de Paris ein Ort aller Religionen und Kulturen sei. Mit Verweis auf die 24 jüdischen Propheten aus den fünf Büchern Mose, die zierlich auf der Kathedrale standen, erinnerte er an die Bedeutung der Kirche weit über die christliche Welt hinaus.

In kaum einer Kirche sollte die christlich-jüdische Versöhnung auf immer verinnerlicht sein, wie es in der Notre-Dame de Paris geschah. Das Kaddisch hallte noch Jahre nach, den Arno Lustiger im Jahre 2007 in der Kathedrale zum Tode seines Cousins Kardinal Jean-Maire Lustiger sprach. Es war dies der letzte Wille des Verstorbenen. Beim Betreten der Kathedrale wurde Erde aus Israel auf sein Grab gestreut. Danach rezitierten mit Arno Lustiger die jüdischen Mitglieder seiner Familie den Psalm 113 und das Kaddisch. Lustiger sah nach der so schmählichen und blutigen Geschichte durch die Jahrhunderte das Christentum nun «Seite an Seite» neben dem Judentum. Wie Kardinal Lustiger sagte: «Verwurzelt im selben Glauben an den einzigen Gott und in der Hoffnung auf das Kommen des Messias vereint.» Er, der so intensiv an der Erklärung Nostra Etate beim zweiten Vatikanischen Konzil im Vatikan mit- und die blutige Geschichte auch seiner Kirche aufgearbeitet hatte.

Vermutlich ist die Tafel Montagnacht zerstört worden, die in der Kathedrale Notre-Dame de Paris fortan an den jüdischen Kardinal erinnern sollte, mit einem Text, den er selbst verfasste: «Ich bin als Jude geboren. Ich trage den Namen meines Grossvaters väterlicherseits, Aron. Christ geworden durch den Glauben und die Taufe, bin ich doch Jude geblieben, wie es auch die Apostel geblieben sind. Meine heiligen Patrone sind der Hohepriester Aron, der heilige Apostel Johannes, die heilige Maria voll der Gnade. Von S. H. Papst Johannes Paul II. zum 139. Erzbischof von Paris ernannt, wurde ich am 27. Februar 1981 in dieser Kathedrale inthronisiert und habe meinen gesamten Dienst hier verrichtet. Wer hier vorbeigeht, möge für mich beten.» Unterschrieben mit Aron Jean-Marie Kardinal Lustiger, Erzbischof von Paris.

In der Feuersbrunst vom 16. April ging auch dieses symbolische Vermächtnis des Religionsfriedens zugrunde, das sich die Gemeinschaft nun über die Momente des Schocks und der Trauer neu erarbeiten werden muss. Der Religionsfrieden, der in Europa so vieles zur Disposition stellt im Ringen um das Zusammenleben zwischen Kulturen, Ethnien, Religionen.

Die UNESCO-Generaldirektorin Audrey Azoulay rief am Montagabend bei ihrem Besuch am Ort des Infernos dazu auf, den Wiederaufbau der Kathedrale zu unterstützen: «Notre-Dame ist ein Symbol für die ganze Welt.» Diese Welt hat die Tochter des Marokkaners André Azoulay verinnerlicht. Ihr Vater, der Berater der Könige von Marokko, engagiert sich seit Jahrzehnten für den religiösen Frieden in den Gemeinschaften. Zentral dabei ist auch das respektvolle Zusammenleben mit Muslimen und sein Einsatz für gegenseitiges Verständnis und Respekt. Notre-Dame war durch die Geschichte längst auch ein Symbol für die Verortung der Religionen in der Gesellschaft.  Ein Symbol, das in wirren politischen Zeiten zur Besinnung anmahnen könnte. Ein Symbol, das in diesen Tagen der Erinnerung an die Pessach- und an die Ostergeschichte abseits der Mythen die Versöhnung von Frankreichs Gesellschaft und Menschen in der Welt vorantreiben könnte. Ein Symbol letztlich, wie sehr Zerstörung von Kultur Schmerz und Trauer hinterlassen - ohne Glockenschlag. Kultur aus Menschenhand. Wie es im Kaddisch heisst: «an diesem heiligen Ort und an jedem anderen Ort».

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© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 18. April  2019

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der
JM Jüdischen Medien AG.