fb Peer GyntAndreas Kriegenburg inszeniert Peer Gynt im Schauspiel Frankfurt

Oliver Blohme

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Peer Gynt wird in einer psychiatrischen Einrichtung behandelt. Mit langen Haaren liegt er reglos in einem typischen Krankenhausbett, das in der rechten Ecke eines engen weißen Kastens mit niedriger Decke steht. Am anderen Ende befindet sich eine kistenförmige Kommode, die jedoch nie benutzt wird. Nicht nur räumliche Enge in dieser Eröffnungsszene ist spürbar: "Für manch einen ist das da draußen einfach zu viel", erklärt sein behandelnder Arzt (großartig gespielt von Christoph Pütthoff), der selbst im weiteren Verlauf des Abends zum Patienten wird, zwanghaft einen kleinen Hasen im Arm haltend und streichelnd.

Am Krankenbett besuchen Peer Gynt (Max Simonischek, der sehr lange seine theaterhafte Fistelstimme beibehält) seine Mutter, stippvisitenhaft sein Vater, der fast zu klischeehaft zum Flachmann greift, um sich schnell mit den Worten zu verabschieden „ich warte im Wagen.“ Woraufhin die Mutter ausrastet. Solveig (Sarah Grunert), eine Tochter aus frommen Haus, die Peer Gynt immer noch liebt, versucht, sie zu beruhigen.

Indessen entzieht sich Peer Gynt und steigt eine Leiter empor, während die Bühne sich absenkt. Nun präsentiert er uns in dieser Regieinterpretation seine psychotische, bi-polare Welt, die er durch dieses kleines rundes Loch erklommen hat. Frohlockend verkündet er später, „ein Königreich für ein Loch.“

Die betretene schwarze Arena wird begrenzt von breiten Planken in dämmrig fahlem Licht (Frank Kraus), in der Peer Gynt sich sofort seiner Kleidung entledigt und mit anderen stöhnenden, schwach ausgeleuchteten Gestalten suhlt, aufsteht und sich immer wieder niederwirft. Körper wälzen sich sehr lange vor den emporragenden Brettern, die hier schwarz wie küstennahe Stelen in einem unberechenbaren Meer wirken. Mit gerade diesen breiten Brettern wird getanzt, Räume werden begrenzt und regelmäßig fallen sie fast unmotiviert mit sumpfigem Plumps auf den weichen Sanboden.

Wir folgen Peer Gynt weiter auf seiner Reise: er raubt eine Braut, die er schnell liegenlässt. Schnell vermag der Protagonist unwiderstehliche Nähe aufzubauen, um sie im nächsten Moment vollständig zu zerstören. Diese Borderline Tendenzen passen gut ins Frankfurter Schauspiel, in diese Vollmondnacht des heutigen Abends und begründen die Zeitlosigkeit der Textvorlage. Leider wird sie stark verkürzt, denn es sind gerade diese Textpassagen, die es gelegentlich vermögen, Tiefgang zu gewinnen, in einer Performance, die viel von Instagram Posing hat: Junge, gutaussehende, schlanke Menschen halten inhaltsleer in Gruppenszenen gerade lang genug inne, für das zwei- bis dreimalige Betätigen des Auslösers. (Wenn es nur nicht so dunkel wäre.) Rammstein würde es möglicherweise einen wilden Reigen nennen, aber die Musik von Edvard Grieg bleibt den ganzen Abend sehr verhalten im Hintergrund, einem leisen Lüftchen gleich.

Als junge Frauen mit extravaganten Klanghölzer-Kostümen (Andrea Schraad) in einer - möglicherweise - Fjordlandschaft  tanzen, sind es eben diese Längen, die an dem heutigen Abend immer wieder schwere Atemzüge hörbar machen: Viel Geklapper, Gerassel, Gefauche, Gestöhne und Schreie. Wie so manches an dieser fast fünfstündigen Performance bleibt das Warum unbeantwortet. Ob schiere Aufführungslänge allein einen Epos rechtfertigt? Manche Bilder erinnern an das Burning Man Festival in Kalifornien, und es mag sein, dass die Spieler auch unter dem neuen Intendanten in ähnliche Sphären driften, wie unter dem Vorgänger.

Peer Gynt, der seit dem Betreten dieser Welt immer fast nur mit nacktem Oberkörper zu sehen ist, heiratet eine Trollkönigin. Die Bühne hebt sich und wir befinden uns wieder in der sterilen, hellen, weißen Welt. Die Mutter begeht Selbstmord und lässt einzig Solveig mit ihrer unerschütterlichen Liebe als Konstante zurück.

Die Geschichte von Peer Gynt hat zahlreiche Wendungen, die dem des Hasardeurs entsprechen: Sklavenhändler, Ausgeraubter, Schiffbrüchiger, Prophet. Immer wieder erfindet er sich neu, ohne dass die Produktion sich ändert: In gleichem Rhythmus und Tempo erzählt die Theaterregie eine Geschichte, in der es um „sei du selbst“ geht? Einiges bleibt unklar an dem Abend, einmal wird ein Rollstuhl über die Bühne geschoben, ein anderes Mal mit Taschenlampen geleuchtet, dann in aller Ausführlichkeit nordafrikanische Klischees auf die Bühne gestellt. Für einen langen Abend, an dem der Vollmond schien und sich nach jeder Pause die Ränge etwas leerten, war es erstaunlich, wie wenig überraschende Ideen sich entwickelten, überhaupt, dass nur am Anfang Zuschauer, bei einem Regisseur, der für seinen Slapstick Humor bekannt ist, lachten. Doch das am Ende noch anwesende Publikum schien überzeugt und klatsche bis fünf vor Mitternacht.

Foto:
© Birgit Hupfeld

Info:
Peer Gynt
von Henrik Ibsen
Deutsche Fassung von Botho Strauß und Peter Stein
Regie: Andreas Kriegenburg, Bühne: Harald B. Thor, Kostüme: Andrea Schraad, Dramaturgie: Volker Bürger
Mit: Max Simonischek, Katharina Linder, Sarah Grunert, Paula Hans, Friederike Ott, Melanie Straub, Sebastian Reiß, Florian Mania, Christoph Pütthoff, Fridolin Sandmeyer, Nils Kreutinger, Andreas Tillmann
Premiere am 18. Mai 2019
Dauer: 4 Stunden, 45 Minuten, zwei Pausen
 
Folgetermine:
Do 23.05.2019 19.00 – 23.45, Fr 24.05.2019 19.00 – 23.45, Mo 03.06.2019 19.00 – 23.45,Mi 05.06.2019 19.00 – 23.45,Do 06.06.2019 19.00 – 23.45, Do 13.06.2019 19.00 – 23.45

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