Zur Ausstellung 100 Jahre Frauenprojekt Lohland im Vonderau-Museum
Hanswerner Kruse
Fulda (Weltexpresso) - Die soeben eröffnete Ausstellung „Loheland 100“ im Vonderau-Museum erweckt das visionäre Frauenprojekt im Ortsteil von Künzel-Dirlos aus seinem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf. Zum 100. Geburtsjahr wird gezeigt, wie diese Lebensgemeinschaft einst freien Ausdruckstanz und neue Gymnastik mit Kunsthandwerk, ja sogar ökologischer Landwirtschaft verknüpfte - um den neuen Menschen zu formen.
Im unteren Saal des Museums fällt sofort ein riesiger Webstuhl ins Auge, er verweist auf die Werkstätten in Loheland. Dahinter werden zeitlos anmutende Holzmöbel und modern wirkende Töpferarbeiten präsentiert. An den Wänden hängen große feingewebte Tücher mit gedämpften Farben. Diese Arbeiten sind zunächst irritierend, denkt man doch bei Loheland eher an deutschen Ausdruckstanz, der in den 1920er-Jahren seine Blüte erlebte. Doch durch die Arbeit in den Werkstätten finanzierten sich die Akademie selbst und viele Studentinnen ihren Lebensunterhalt. Das Kunsthandwerk, das sich kritisch von Industrieware absetzte, wurde auf internationalen Messen und Ausstellungen gut verkauft.
Die Beletage, der erste Stock des Museums, ist dem Kern des einstigen Reformprojektes gewidmet: Freie, in der Schule oft nackte Tänze und neue Gymnastik befreiten die Frauen von Korsett und einschnürenden Rollen. Lebensgroße Figuren mit verblüffenden Kostümen wirken in der Schau wie im Tanz eingefroren. Bei seiner Führung macht Kurator Michael Siebenbrodt auf eine Tänzerin mit schweren Gewichten an der Hüfte aufmerksam: „Das waren die besttrainiertesten Frauen ihrer Zeit. Sie standen mit anderer, neuer Weiblichkeit im Leben.“
Weitere Bilder und Skulpturen von - im doppelten Sinn - bewegten Frauen vervollständigen die Ausstellung. Nach schwierigen Anfangsjahren in Loheland wurden die Studentinnen in ganz Deutschland mit ihren freizügigen Ausdruckstänzen bekannt. Eine kleine Sensation sind die kürzlich im Archiv entdeckten Filmschnipsel, die diese Darbietungen zeigen. Auch kleine expressionistische Figuren aus Pappmaché werden präsentiert, die seinerzeit die Darstellenden Künste in der Schule durch das Puppenspiel ergänzten.
Das oberste Stockwerk widmet sich der Bildenden Kunst und präsentiert Bewegungs- und Naturstudien, Aktzeichnungen und experimentelle Fotografien der Schülerinnen. Von Beginn an gehörte auch die Fotografie dazu, die damals noch längst nicht als künstlerisches Medium anerkannt war. Die Studentinnen dokumentierten mit ihren Lichtbildern Arbeit und Leben in der Akademie, nutzten sie aber auch für Fotogramme und andere Experimente.
Die visionären Gründerinnen Lohelands sind ebenfalls mit ihren Werken vertreten, gezeigt werden Ölbilder Hedwig von Rohdens (1890–1987) und expressionistische Holzschnitte Louise Langgaards (1883–1974).
Wie das Bauhaus hatte auch Loheland seine Wurzeln in verschiedenen Reformbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts zwischen Spiritualität und Moderne: Von Beginn an gab es Kooperationen mit dem Deutschen Werkbund, der Frauenbewegung, diversen Künstlervereinigungen oder den Anthroposophen. Doch im Gegensatz zum Weimarer Bauhaus zogen sich die Frauen in den ländlichen Raum zurück, wollten aber dennoch „in der Welt“ sein. Das Projekt war nicht nur national gut vernetzt, sondern auch in der Region: Es existierte - salopp gesagt - eine erstaunliche und fruchtbare Begegnung der nackicht tanzenden Mädchen mit den armen katholischen Bauern in der Nachbarschaft. Die von den Frauen organisierte und betriebene ökologische Landwirtschaft versorgte zeitweilig bis zu 200 Menschen in der Einrichtung. Ihren Höhepunkt hatte das Projekt von 1919 bis 1933.
Zur Eröffnung der Ausstellung mit viel Politik- und Kulturprominenz erklärte Fuldas Bürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld, die mutigen und entschlossenen Gründerinnen hätten nicht auf Veränderungen gewartet, sondern selber neue Wege gesucht. Die Besucher sollten nun die „gelebten Visionen für eine neue Zeit“ entdecken, sich überraschen lassen und neue Impulse aufnehmen.
Fotos:
Hanswerner Kruse
Info:
Die Schau ist eine hervorragende Mischung von sinnlichen Eindrücken mit ergänzenden Texten und Infos. Sie bagatellisiert das Thema nicht durch digitale Mätzchen, überfrachtet es aber auch nicht durch allzu umfangreiche wissenschaftliche Erklärungen. Fachleute widmen sich dem einstigen Reformprojekt bereits seit vielen Jahren, dem Museum gelingt eine gute Grandwanderung. Ausgiebige Informationen liefert der umfangreiche, stark bebilderte und dennoch preiswerte Katalog:
Vonderau Museum Fulda: „loheland 100“, Klappenbroschur, 208 Seiten, 281 Farbabbildungen, Imhof-Verlag, 19,95 Euro