Langer 8190Tanztheater und Videoprojektionen vor dem Abriss des Kaufhauses in Schlüchtern

Hanswerner Kruse

Schlüchtern (Weltexporesso) - Vor eineinhalb Jahren wurde das Schlüchterner Kaufhaus Langer nach längerem Dahinsiechen geschlossen und von der Stadt gekauft. Nun wird der verschachtelte Gebäudekomplex in der City abgerissen. Auf dem riesigen Gelände sollen Läden, Kultureinrichtungen und Wohnungen entstehen: Ein kühne städteplanerische Vision zur Wiederbelebung des Zentrums wird Realität.

Kühn ist auch die Einladung der Tanzcompagnie Artodance und des Bildenden Künstlers Lars Tae-Zun Kempel durch die Stadt Schlüchtern. Vor dem Abriss sollen Tanztheater und Videoprojektionen am 19. Oktober zeigen, was später in einem multimedialen Kultur- und Begegnungszentrum möglich sein könnte.

Das Ensemble der Choreografin und Kulturpreisträgerin (MKK) Monica Opsahl wird das Warenhaus noch einmal beleben und eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft herstellen. Es soll weder eine rauschende Party noch ein tragischer Schwanengesang werden. Statt mit dem Spitzentanz eines romantischen Erzählballetts reagiert die Choreografie mit einer Collage aus Bewegung, Akrobatik sowie lebenden Bildern auf das leerstehenden Gebäude und die Verknüpfung von damals und morgen...

langer 8451Der vordere Bereich des Kaufhauses, das „Areal A“, ist völlig leer, nur noch Spuren auf dem Boden verweisen auf die frühere Funktion der Halle. Hier lassen die Tänzerinnen inmitten des Publikums kleine skurrile Szenen zur Vergangenheit aufblitzen: Rock ‘n Roll auf der alten Bäckertheke, wilde Irrfahrten mit Einkaufswagen oder einen komischen Büchertanz. Dadurch können individuelle Erinnerungen der Besucherinnen und Besucher hervorgelockt werden. Diese fröhlichen Pop Ups, wie Opsahl die Szenen nennt, werden immer wieder von bedrohlicher Neuer Musik und düsteren Tänzen unterbrochen: Die finsteren Schatten der Vergangenheit sind so ebenfalls spürbar.

„Ich verweise auf die dunkle Seite“, meint auch Kempel, der zwischen den Pop Ups zwei neu geschaffene Videos projizieren will: Im ersten Clip thematisiert er die von ihm befürchtete größte Bedrohung der Zivilisation durch die Künstliche Intelligenz, im zweiten Clip die durchaus vorhandenen Wahlmöglichkeiten der Menschheit.

Das „Areal B“ im hinteren Teil des Gebäudes ist noch vollgestopft mit Wühltischen, Regalen und Werbetafeln für Dessous. „Wir nehmen was da ist und machen was draus“, sagt Opsahl. Beim Probenbesuch wirft sie die einzige Rolltreppe Schlüchterns an, sie gibt den Tänzerinnen den Takt vor. Die hasten die Treppe rauf und runter, hüpfen oder gehen rückwärts, bilden akrobatische Figuren oder treiben munteren Schabernack.

Später scheinen Tänzerinnen zwischen zwei Säulen eingeklemmt zu werden, befreien sich jedoch aus dieser eigenartigen Situation. Auf sie, als lebende Leinwände, projiziert Kempel sein drittes Video, das vage verheißt „Zurück zur Natur.“

„Alles kann Tanz sein. Es gibt so viele Dinge, die sind Tanz, auch ganz gegensätzliche Dinge“, erklärte einst die Pionierin des Tanztheaters Pina Bausch. Und so hat Opsahl auch aus den (zunächst) spielerischen und akrobatischen Improvisationen in der vorderen Halle oder auf der Rolltreppe Szenen kreiert, in der die Grenzen zwischen Erinnerung und Traum verschwimmen. Dabei hat sie kaum auf ihr reichhaltiges, in den letzten Jahren erarbeitetes Repertoire des zeitgenössischen Tanzes zurückgegriffen.

Erzählt wird wenig, die performativen Collagen haben keine Botschaften, die entschlüsselt werden müssen. Die Zuschauenden können Choreografie und Projektionen auf sich wirken lassen, eigene Assoziationen und Interpretation wagen: Jedoch soll dieses, nur einmal präsentierte Event, Hoffnung und Neugierde auf das Kommende machen.

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Foto:
Hanswerner Kruse

Info:
Samstag 19. Oktober, 19 Uhr
Einmalige Veranstaltung „Zwischen Vergangenheit und Zukunft“ im ehemaligen Kaufhaus Langer, Schlüchtern, Obertorstraße 39-41. Eintritt frei, aber Platzkarten notwendig, erhältlich im Tourismusbüro Schlüchtern