DSC03994 3 bereinigtDie Ausstellung ‚Weltenbewegend‘ des Weltkulturen Museums Frankfurt über Migration als Motor kultureller Veränderung

Heinz Markert
 
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Seltsam: die Bayern halten sich für völlig authentisch und rein selbstgemacht, obwohl Bayern, aufgrund von Forschungen des Heimatforschers Dr. Josef Habisreuthinger, von alters her „ein historischer Schmelztiegel“, „ein klassisches Einwanderungsland“ ist.
Ganz im Unterschied zu Franken und Schwaben. Nur ist leider die transkulturelle Vergangenheit Bayerns ins kollektive Vergessen gerutscht, wozu auch der Brauch des Fingerhakelns gehört, das die römischen Soldaten mitbrachten. Und die Brez’n haben diese auch eingeführt.

Menschen wurden in den großen Zügen durch die Zeiten immer wieder zu Migranten und als Einwanderer zu Angestammten – denen die neu Eingewanderten manchmal nicht geheuer sind.
 
DSC03996 3 bereinigtDem Weltkulturen-Museum Frankfurt war zur Einführung in die frisch ausgestellten Objekte und Artefakte aus unterschiedlichen Weltregionen wesentlich, darauf hinzuweisen, dass seine Sammlungen immer auch mit aktuellen gesellschaftsrelevanten Themen in Verbindung stehen. In der Ethnologie gehe es darum, „im kulturell Anderen das allgemein Menschliche aufzuzeigen“; das, wie angedeutet, nicht mehr bewusst ist oder gegebenenfalls verleugnet wird. Nicht nur Menschen sind migriert oder migriert worden, auch Waren, Stoffe, Musikinstrumente und Handwerke stammen nicht vornehmlich aus der Welt des schlechthin Eigenen. Die Leistungen der Kultur spannen sich in großen Distanzen um den gesamten Erdball. Von einem suboptimal gebildeten Politiker jedoch wurde die Migrationsfrage zur „Mutter aller politischen Probleme“ erklärt. Als ob diese nicht auch riesige Chancen böte, die es nur aufzugreifen gilt.

„Migration macht Geschichten“
 
Die neu eröffnete Ausstellung vermittelt, wie Porträts, Bilder, Gegenstände des Gebrauchs, Exponate der Handwerks- und Darstellungskunst, sich um den Globus reihen und sich zum Gesamtwerksgeschehen versammelt haben. Wenn in der Natur alles mit allem zusammenhängt, augenblicklich miteinander korrespondiert und aufeinander abgestimmt ist, warum dann nicht auch auf dem Gebiet der erfinderischen Gebrauchskultur und der Artefakte.
 
Nomen est Omen: Exemplarisch erscheint dem Betrachter zunächst die mit Werken und Anschauungsobjekten vertretene ‚Austronesische Besiedlung‘ des Pazifiks, die vor 6000 Jahren begann. Dafür steht unter anderem das gezeigte Modell eines hochseetüchtigen Doppelrumpfbootes aus Samoa, Polynesien. Thor Heyerdahl, der es mal mit dem Katamaran probierte, hatte uralte Vorläufer. Auch kamen für die Verdeutlichung eines weitgespannten Weltkultur-Getriebes in Betracht: Peru, Afrika, Arabien, Indien.

Unter anderem wartet auf die zum begreifenden Anschauen aufgeschlossenen Betrachterinnen und Betrachter die Tabakdose vom Malaiischen Archipel - wo sie weit verbreitet ist. Es handelt sich um ein aus Blattstreifen geflochtenes Körbchen von feinkomplexer Verarbeitung. Die Glasperlen stammen aus Indien, die Knöpfe wurden von europäischen Händlern eingeführt. Die gebändert zusammengehaltenen niederländischen Münzen verweisen auf den Kontakt mit der niederländischen Handelsgesellschaft VOC (Vorläufer der Niederländisch Ostindien Kompanie). Das gesamte Artefakt ist durch den Impuls des Verflechtens zu einem erlesenen Schau-und Schmuckstück geworden. Als wahrscheinlich gilt, dass der Tabak von südamerikanischen Tabaksorten abstammt.
 
Melanesien und Ostindonesien
 
Aus diesen Regionen kommend findet sich die gebräuchliche Korwar-Figur. Sie wurde nach dem Tod von nahen Verwandten in Expertise für rituelle Zwecke angefertigt. Die ‚Kommunikation‘ mit Verstorben war ihre wesentliche Bestimmung, insofern Ahnen um Rat und Unterstützung angefleht werden konnten. Auch gegen Bedrohungen aus dem Kosmischen durfte sie eingesetzt werden. Sie war über Nordwest-Neuguinea hinaus bis nach Ostindonesien verbreitet, bis in die Zeit der Ausbreitung des Christentums gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die Durchbohrung des Gesichts mit dem Septum (Scheidewand) zielte auf die Funktion der Erwachseneninitiation. Der Körper dagegen lässt ostindonesische Einflüsse spielen, symbolisiert Macht, Stärke und Fruchtbarkeit. Hierfür steht das rote Tuch an der Basis.

Gesichter erzählen Geschichten
 
Um Geschichten aus der Gegenwart zu vermitteln werden an geräumiger Stelle portraitierte Frauen gezeigt, die Individualitäten ‚zu Gesicht bringen‘. Ihre Züge werden aus einigem Abstand umso klarer. Sie entstammen dem mollukkisch-niederländischen Künstlerkollektiv TERU. Das Museum sieht eine seiner wesentlichen Aufgaben darin, unaufdringlich Geschichten, die so viele Leben schreiben, erkenntlich zu machen.
 
Schlüsselobjekt Mami Wata
 
Weltübergreifende Frauengestalten. Was liegt näher? Begriffe und Anschauungen kommen in der jeweils zuständigen Form zur Geltung, so auch im weiblichen Wassergeist Mami Wata (West- und Zentralafrika). Seit dem Sklavenhandel ist dieser Wassergeist auch nach Amerika und die Karibik übergewechselt. Diese feminine Charakterologie erscheint als hybrid. Lokale Ausführungen erfuhren durch die Vermittlung europäischer oder indischer Lithographien eine Transformation. Es liegt nahe in dieser Gestalt auch abgewandelt die Mutter Gottes, Maria, wiederzuerkennen. Auch sie geriet zur transkulturellen Figur der Verehrung und des Ablasses und eignet sich im unmittelbaren Verstehen zur multikulturell einsetzbaren und weltweit wandelbaren Heiligengestalt.
 
Eine ins 19. Jahrhundert (Angola) zurückreichende Europäer-Darstellung, die in verschiedenerlei Entsprechungen aufzutreten das unausweichliche Glück oder Los haben durfte, beschließt diese kurz gehaltene Besprechung der eben eröffneten Ausstellung. Viel mehr liefert der Gang durch die hohen Räume der Ausstellung. Die Figur des Europäers changiert im Bereich zwischen Persiflage und Karikatur. Sie will sagen: hier muss jetzt mal was geschehen, in all dem Trott hier. Im Hinblick auf die teils kritischen, teils affirmativen Darstellungen des Europäischen spricht die Ankündigung zur Ausstellung von der subversiven Handlungsfähigkeit der Kolonisierten. Ein beachtlicher Umfang an Implementierungen in die Kultur der Ersten Welt gehen auf Prozesse der Selbstbehauptungsleistungen der vordem Kolonisierten zurück und haben längst Anerkennung und Bewunderung gefunden.
 
Info:
Ausstellung ‚Weltenbewegend · Migration macht Geschichten‘, Weltkulturen Museum · Schaumainkai 29-37, 60594 Frankfurt am Main, Öffnungszeiten: Mo geschlossen,
Di-So 11-18 Uhr, Mi 11-20 Uhr
 
Fotos © Heinz Markert · Quelle: Weltkulturen Museum