Düsseldorfer Karneval 2020 3Über das „Europäische in der Romantik“ sprach der Literaturwissenschaftler Rüdiger Görner im Frankfurter Goethehaus , Teil 1/2 

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie die Romantik eine die Klassik ikonographisch und wirkungsmächtig übersteigende extensive Erscheinung war - sie kann ob ihrer Neuheit nicht anders als revolutionär bezeichnet werden - durfte der Vortrag des Literaturwissenschaftlers Görner nicht anders angelegt sein wie die Kontraktion mindestens eines gesamten Einführungssemesters.

Auch dürfte von der Romantik mehr an globaler Wirkung ausgegangen sein als von den klassischen Perioden der Kunst und Literatur. Gleichwohl, die Romantik hatte von Anfang auch schon Züge, die die Trivialromantik begründeten. Diese reicht bis in die Romantik des amerikanischen und italienischen Westerns, wodurch die Romantik – bei allem Reiz - auf den Colt und die Winchester herunterkam (u.a. mit 'Der Mann mit den goldenen Colts', 1959, einem extrem manieristisch geratenen Werk).

Der Wissenschaftler Görner, der seit 1981 in London lebt, arbeitet seit 2004 an der Queen Mary University of London als Centenary Professor of German with Comparative Literature. Es könnte das Dunkle und Miströse der Romantik gewesen sein, das ihn angezogen hat, speziell eben an der englischen Ausführung. Er hatte im April 2018 über den Brexit einen Vortrag gehalten, in Englisch, das er besser beherrsche als die Muttersprachler, wie der Vorsitzende der Deutsch-Britischen Gesellschaft Rhein Main e.V., Nick Jefcoat, zu wissen gab. Selbstverständlich hat er als Anti-Brexitier gesprochen.

Goethe – der Alleingestellte

Die Brücke zur englischen Romantik ist Goethe gewesen, der von Shakespeare begeistert war. Goethe hielt am 14. Oktober 1771 auf einer von ihm organisierten Shakespeare-Feier im Elternhaus eine Rede auf den Verehrten. Frankfurt galt ab diesem Zeitpunkt als Zentrum der Sturm- und Drang-Bewegung. Erklärungsweise ist dem hinzuzufügen, dass Shakespeare kunsttechnisch Manierist war, daher ein Stück Romantik vorweggenommen hat. Es wurde von Goethe gesagt, dass er den englischen Blick habe. Die Künstlerrepublik reichte schon damals weit über den Kanal in die Welt. Thomas Carlyle hat 1823 einen Essay über Goethes ‚Faust‘ veröffentlicht. Goethe war Weltliteraturgänger, wobei dieser Terminus meint: Hochniveau unter Gleichbewerteten. Die Romantik war exemplarisch für den Kulturtransfer unter Gleichgesinnten. Sie war eine weltoffene, zur Welt hin aufgeschlossene Gesellschaft. Sie hat das Tropische vor der zivilisatorischen Exterminierung bewahrt.

Ein Vorspiel für romantisches Erfahren auf Wanderschaft waren Goethes vier Harzreisen 1777-1805. Wordsworth begann in Goslar die Arbeit an einem autobiografischen Gedicht, das später unter dem Titel ‚The Prelude‘ bekannt wurde und inzwischen als sein Meisterwerk angesehen wird. Es handelt sich um einen Bildungsroman in Versen. Die Romantiker waren nie ganz fest verankert, sondern schwankten, changierten zwischen den ambivalenten Gefühlen für Natur, Geschichte, Landschaft und Urbanität (inklusive Kleinstadt). ‚Notre Dame de Paris‘ ist als ein Kaleidoskop von transzeitlichen Resurrektionen der Vergangenheit verfasst.

Die Romantische ist ein nicht Dingfestes

Nach Novalis sind die Eindrücke „Spielmarken und haben nur einen transitorischen Werth. Manchen hingegen habe ich das Gepräge meiner innersten Überzeugungen aufzudrücken gesucht“. Auch Profanes wird geadelt, als des Kaufmanns einer „schönen, liberalen Oeconomie [...] als Chymie – und Mechanik oder Technologie im allgemeinen Sinn“; was eigentlich dem Gewerbsmann zugeschrieben wird, ist noch vom Zauber des Goldmachens besetzt. Die Romantik hatte zweifellos fragwürdige affirmative Züge, sie hatte die Lage der arbeitenden Klassen im beginnenden Industriekapitalismus noch nicht zur Voraussetzung.

In der Romantik wird das Bruchstückhafte in neue Beziehungen überstellt, das Fragmentarische wandert in den Referenzkörper (Stendhal) der Romantik ein. ‚Was es nicht selbst ist, ist ausschnittfähig‘ - haftet da noch was am kleinstaatlichen Partikularismus, der auch ein Reaktionäres bedingt? Beobachtungen haben erwiesen, dass derjenige, der wehmütig am Kleinstaatlichen und Dörflichen klebt, sich in abwegige Fahrwasser begeben kann - von wegen reaktionärer Romantik im Politischen. So Geartetes reicht bis in die kitschige Universalpoetik der Entsprechung von Gefühl und Glauben (katholos), die mit Schleiermachers ‚Untersuchung über Religion‘ als Anschauung des Universalen und Unendlichen und in Friedrich David Strauss‘ ‚Das Leben Jesu‘ Wirkung erreichte. George Elliot lernte hierfür eigens Deutsch. Zu erwähnen sei auch Thomas De Quinceys autobiografisches Buch ‚Confessions of an English Opium-Eater‘ (dt. Bekenntnisse eines englischen Opiumessers), dessen zweifelhafte, grausame gesellschaftlich-sozialen Bezüge 1991 – also erst neuerdings - aufgedeckt wurden.

Geschichte und Imagination

Die Romantik bewegte sich umfangreich auf aparten Feldern, was Bildung, Wissen und Erforschung der Natur anging. Aber alle Bildung bleibt schal, wenn sie nicht höherführt. Daher das Experimentelle und Versucherische (Bloch), das die Romantik antrieb, um das Einengende fürstlicher Verhältnisse zu sprengen. Walter Scott, der Begründer des Geschichtsromans, wirkte auf ETA Hoffman ein (umgekehrt war das nicht der Fall), 5 Jahre nach dem Tod ETAs kam es zur kritischen Wende. Hoffmann arbeitete mit Erinnerungsskizzen, mit dem Nebeneinander von Imagination und Wirklichkeit. Scott zufolge schien er da doch etwas zu verwechseln. Für Hoffmann war der fundierte Zugang zur Geschichte eben nur eine Möglichkeit. Scott übersah, dass es Hoffman auf Genauigkeit nicht ankam. In Hoffmanns ‚Lebensansichten des Katers Murr‘ sind zwei Handlungsebenen auf pfiffige Art ineinander geschachtelt. Die Romantik hatte eine Phobie zum realistischen Gesellschaftsroman, aber ihre Analyse arbeitete indirekt. Der Historismus eines Leopold von Ranke ist ihr nur eine Zwischenlektüre im Arbeitsprozess.

Foto © Düsseldorfer Karneval

Info:
http://www.harzkaleidoskop.de/berwan/johann%20wolfgang%20von%20goethe.htm

Fortsetzung folgt