k shmh.deneueheimat1950-1982. Eine sozialdemokratische Utopie und ihre Bauten, Ausstellung im Architekturmuseum Frankfurt, Teil 1

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Hätte der erfolgsverwöhnte, mächtige und seine Macht auch im eigenen Interesse nutzende Chef der NEUEN HEIMAT, des seinerzeit mit 420 000 Wohnungen größten Wohnbaukonzerns Europas, Albert Vietor, seinen PressesprecherJohn Siegfried Mehnert 1980 nicht im Unfrieden entlassen, hätte dieser nicht in einer Nacht- und Nebelaktion in der Firmenzentrale in Hamburg die Büros der Bosse durchsucht und das mitgenommene heiße Material an den SPIEGEL durchgesteckt, daß dieser - unter Ankündigung einer ganzen Serie - am 8. Februar 1982 auf dem Titelblatt schreiben konnte „Neue Heimat – Die dunklen Geschäfte von Vietor und Genossen“.

Damit war ein Skandal um die Neue Heimat losgetreten, der in vielen Spiegelfolgen Details aus den gestohlenen Papieren brachte, Selbstbereicherung und das, was wir heute Korruption nennen, offenlegte, was letzten Endes zum Zusammenbruch des gewerkschaftseigenen gemeinnützigen Konzern führte, der wiederum andere gewerkschaftseigene Unternehmen mit sich riß, was unter anderem auch zum Zusammenbruch der gewerkschaftseigenen Bank für Gemeinwirtschaft führte, lauter Folgen der Zerschlagung der NEUEN HEIMAT und nicht – wie es dann öffentlich sofort hieß – durch Mißwirtschaft der Gewerkschaften herbeigeführt.

Diese Geschichte ist so komplex, daß wir sie ordentlich erzählen wollen und damit gesondert die Entwicklung der NEUEN HEIMAT darstellen müssen, denn zu Zeiten des Verrats des ehemaligen Pressesprechers war der gewaltige Konzern, der nicht nur ganze Stadtteile wie Bremen Neue Vahr, Frankfurt Nordweststadt oder München Neuperlach im wahrsten Sinne aus dem Boden stampfte, sondern auch noch die nötige Infrastruktur wie Schulen, Freizeitzentren und Verwaltungsgebäuden hinzubaute - längt ein Koloß auf tönernen Füßen, sonst hätte der Sturz nicht so rasant und so durchschlagend sein können.

Dem Ex-Pressesprecher Mehnert ging es um Rache, er wollte von der Chefetage diejenigen, die sich selbst bedienten, insbesondere Chef Vietor ans Messer liefern. Sicher kann er mit dem Ergebnis, daß praktisch der gesamte soziale Wohnungsbau in Mißkredit geriet und 1990 dessen Gemeinnützigkeit generell gestrichen wurde – eine Folge, die den heutigen Fehlbestand an Wohnungen in den Zentren Deutschlands unmittelbar bewirkt hat – nicht zufrieden sein, noch mit der Zerschlagung des Konzerns, die sich so negativ auf den dann fehlenden Wohnungsbau für Bürger mit geringem Einkommen auswirkte. Und auch nicht, daß die gesamte Gewerkschaftsbewegung für das Handeln einiger machtgeiler und geldgieriger Männer verantwortlich gemacht wurde sowie dem Zusammenbruch der Unternehmungen, die in jahrzehntelangem Fleiß durch das Beiseitelegen von Pfennigen von der Arbeiterschaft einst aufgebaut worden waren. Es ist ein Jammer.

Schaut man von heute her zurück, kann man die generelle politische Linie, die dieser Zusammenbruch der NEUEN HEIMAT in Gang setzte, wie unter einem Brennglas vor sich sehen. Anfang 1982 bestand seit der Bundestagswahl 1980 die sozialliberale Koalition weiter, die zwischen Willy Brandt und Hans Dietrich Genscher geschlossen worden war. Übrigens zur vollen Zufriedenheit der Bevölkerung, denn bei den Wahlen 1980 hatte die CDU/CSU mit dem Kanzlerkandidaten und CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß, dem der schon in den Startlöchern hockende CDU-Helmut Kohl schlauerweise den Vortritt gelassen hatte – dasselbe wiederholte die clevere spätere Kanzlerin Angela Merkel, als sie dem CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber ebenfalls den Vortritt als Kanzlerkandidat der Wahlen 2002 ließ – also mit Strauß war 1980 keine Bundestagswahl zu gewinnen (Verlust CDU/CSU 17 Prozent, Gewinn für die FDP 14 Prozent, für die SPD 4 Prozent), und die Stimmung in der Bevölkerung sprach zusätzlich zu den ohnehin ausreichenden Bundestagsmandaten für eine SPD/FDP-Koalition.

Wieso Ende des Jahres 1982 nun Hans Dietrich Genscher die FDP bewegen konnte, ohne Neuwahlen die Koalition mit der SPD zu verlassen und stattdessen eine Regierungskoalition mit der CDU/CSU mit dem Kanzlerkandidaten Helmut Kohl einzugehen, eine Entscheidung, an der die FDP fast zerbrach: Ingrid Matthäus-Meier trat aus, Andreas von Schoeler trat aus, Günter Verheugen trat aus, diese drei wurden dann SPD-Mitglieder ...., wieso also dies möglich war, und sich in der FDP erneut der Kurs von einer liberalen Partei zu einer neoliberalen Wirtschaftspartei ändern konnte, muß mit dem Geschehen des Jahres 1982 zu tun haben, bei dem der NEUEN HEIMAT deshalb besondere Bedeutung zukommt, weil mit ihrer Mißwirtschaft durch einige wenige Bosse und der allgemeinen Problematik eines Wohnungsbaukonzerns zu Zeiten, als der Markt erstmals seit dem Ende des 2. Weltkrieges gesättigt war, nicht nur der DGB und damit alle Gewerkschaften in Verruf gerieten, sondern automatisch dahinter die SPD vermutet wurde. Eine der Wahrheiten der Konzerngeschichte wird dann sein, daß die NEUE HEIMAT zwar der SPD näher stand, daß aber nicht, wie öffentlich kolportiert wurde, die SPD Nutznießer oder sogar Betreiber der NEUEN HEIMAT war.

Es fällt einem erst bei diesen beiden Ereignissen: Zusammenbruch des Gewerkschaftsriesen und Wechsel der FDP in eine CDU/CSU- Koalition auf, daß die Geschichte Westdeutschlands im Jahr 1982 einmal ganz detailliert erzählt werden muß. So meinten wir das, ob dem rachesuchenden Ex-Pressesprecher oder auch den Spiegeljournalisten, die auf eine Riesenstory mit Skandal und Folgen und hohen Auflagen des Spiegel aus waren, die Dimensionen der politischen Folgen im Jahre ihres Entstehens bekannt waren. Von heute her weiß man, daß die NEUE HEIMAT zwischen 1966 und 1973 ihre größte Bedeutung erlangte, ihre größten Erfolge errang. Gleichzeitig hatte die SPD seit 1969 den Kanzler gestellt, auf Willy Brandt folgte Helmut Schmidt, wie gesagt, bis zum Austritt der FDP aus der Sozialliberalen Koalition im Herbst 1982. In diesen Jahren begaben sich die SPD, der DGB und die Neue Heimat gemeinsam auf Erfolgskurs und stützten sich gegenseitig. Durch die Regierungsbeteiligung der SPD wurde der Ausdruck ‚Gemeinwirtschaft‘ eine Metapher für sinnvolles Planen und Durchführen von lebenswichtigem Wohnungsbau sowie der Sanierung der noch wilhelminischen unterklassigen Wohnstruktur. Auch für die Erfüllung der notwendigen Gemeinschaftsaufgaben wie die Errichtung von Kindergärten, Arztpraxen, Gemeinschaftshäusern, Bibliotheken, Krankenhäusern, Schwimmbädern, Einkaufszentren u.a. wurde die NEUE HEIMAT zuständig und löste ihre Aufgabe vorbildlich.

Wieso also 1982 vom Koloß auf tönernen Füßen gesprochen werden kann, soll der nächste Artikel deutlich machen.

FORTSETZUNG FOLGT

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Info:
DIE NEUE HEIMAT. 1950-1982. Eine sozialdemokratische Utopie und ihre Bauten, Hg. Andres Lepik und Hilde Strobl, Edition Detail, 2020, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, auf den wir noch eingehen werden.