Elvira Grözinger
Berlin (Weltexpresso) - Celan war eine Meteor-gleiche Erscheinung in der deutschen literarischen Landschaft und wurde einerseits mit Neugier und Interesse, andererseits mit Argwohn betrachtet. Ein von den Toten auferstandener Jude aus einer fernen Gegend Osteuropas, der ein altertümliches Deutsch mit einem fremdklingenden Akzent sprach, war ein Fremdkörper in der Generation der Kriegsteilnehmer.
Die 1947 von Hans Werner Richter gegründete deutschsprachigen Literaten- Gruppe 47, deren Absicht es war, die deutsche Literatur nach dem Krieg mit Hilfe von jungen Autoren zu erneuern und die bis 1967 als eine einflussreiche Institution innerhalb des deutschen Literaturbetriebs galt. Zu den Treffen wurde man zum Lesen der eigenen Werke eingeladen und ab 1950 hat man einen Preis der Gruppe verliehen. Paul Celan wurde 1952 zu der Tagung der Gruppe nach Niendorf an der Ostsee auf Betreiben Ingeborg Bachmanns eingeladen. Dort las er, wiederum auf Empfehlung von Bachmann, die Todesfuge und weitere fünf Gedichte vor – glaubt man dem Germanisten Klaus Briegleb, dann wurde Celan dort mit Häme und Unverständnis rezipiert. Der Essayist und Schriftsteller Helmut Böttiger betont hingegen, dass dieses Treffen als ein Erfolg für Celan gelten konnte, der damit in die literarischen Kreise aufstieg. Allerdings neige ich dazu, der von Thomas Sparr zitierten Erinnerung von Walter Jens aus dem Jahr 1976 an das Ereignis Glauben zu schenken:
„Als Celan auftrat, da sagte man: ‘Das kann doch kaum jemand hören‘, er las pathetisch. Wir haben darüber gelacht. Der liest ja wie Goebbels, sagte einer. Er wurde ausgelacht, so dass dann später ein Sprecher der Gruppe 47, Walter Hilsbecher aus Frankfurt, die Gedichte noch einmal vorlesen musste. Die ‚Todesfuge‘ war ein Reinfall in der Gruppe! Das war eine völlig andere Welt, da kamen die Neorealisten nicht mit, die sozusagen mit diesem Programm groß geworden waren.“
Dass der Vergleich seitens der deutschen „Intellektuellen“ eines gerade mit dem Leben davon gekommenen jüdischen Lagerhäftlings, dessen Eltern von Deutschen ermordet wurden, ausgerechnet mit Goebbels gemacht werden konnte, zeugt von einer geistigen Unverfrorenheit, die einen der Gruppenmitglieder, Martin Walser, später zu seinen antisemitischen Werkpassagen führte. Die deutschen Dichter und Denker als Richter und Henker. So muss es Celan empfunden haben, als er, trotz allem, in seiner Sprache, die zugleich die Sprache der Mörder war, zu schreiben verdammt war.
Celans weitere traumatische Begegnung in Deutschland war die mit Claire Goll, der Witwe des Dichters, der an Leukämie starb, wobei ihm Celan sogar Blut spenden wollte. Die Witwe beschuldigte Celan des Plagiats aus den Gedichten ihres Mannes. Es war Rufmord, dem Persönlichkeiten wie Peter Szondi und wiederum Ingeborg Bachmann entgegentraten. Im Mai 1970 wurde in Lübeck auch das von Fritz Bauer angestrengte Strafverfahren gegen nationalsozialistische Mörder von 25.000 jüdischen Insassen eines Zwangsarbeitslagers, eingestellt, die die Mörder von Celans Eltern gewesen sein könnten. Aber das erlebte weder Fritz Bauer, der unter ungeklärten Umständen am 1. Juli 1968 in Frankfurt am Main starb, noch Celan, der zuvor in der Seine ertrank. „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ bewahrheitete sich.
Celan war ein ausgezeichneter Kenner der deutschen Literatur, neben Büchner, Franzos und Kafka gehörten auch Rilke, Hölderlin, dem er Gedichte und Gedanken widmet und Hugo von Hoffmannsthal dazu, dessen Brief des Lord Chandos an Francis Bacon von 1902 über die Sprache und deren Verlust. Darin steht: „Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgendetwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen...“ Das passierte auch Hölderlin in Celans Gedicht Tübingen. Jänner, als dem im Turm am Neckar wohnenden Dichter, durch die frühere Zwangstherapie mit den Psychopharmaka des frühen 19. Jahrhunderts nachhaltig geschädigt, in Celans Worten:
„Käme,/käme,/käme ein Mensch/zur Welt, heute/mit/dem Lichtbart der /Patriarchen: er dürfte,/spräche er von dieser /Zeit, er/ dürfte/nur lallen und lallen/immer -,immer -/zuzu./(‚Pallaksch. Pallaksch‘).“
Und schließlich traf es ebenfalls auf die späten Gedichte Celans zu. Celan verstummte zu Lebzeiten nicht ganz, aber seine Gedichte wurden sprachlich immer knapper, fragmentarischer. Das Stummsein thematisierte er in auch der Meridian-Rede, und wie die meisten Leser feststellten, noch weniger verständlich. So das Gedicht Keine Sandkunst mehr:
„Keine Sandkunst mehr, kein Sandbuch, keine Meister./Nichts entwürfelt. Viewiel/Stumme?/Siebenzehn./Deine Frage – deine Antwort./Dein Gesang, was weiss er?/Tiefimschnee,/Iefimnee,/I.i.e,“
Der Abschied von der Welt
Als Celans letztes bekanntes Gedicht gilt Du liegst. Es ist politisch und weist bereits auf das hin, was der Dichter vor- und auch bald umgesetzt hatte, den Sprung in die Seine:
„DU LIEGST im großen Gelausche,/umbuscht, umflockt.// Geh du zur Spree, geh zur Havel,/geh zu den Fleischerhaken,/ zu den roten Äppelstaken/aus Schweden - // Es kommt der Tisch mit den Gaben,/er biegt um ein Eden -//Der Mann wird zum Sieb, die Frau/musste schwimmen, die Sau,/ für sich, für keinen, für jeden -// Der Landwehrkanal wird nicht rauschen/Nichts /stockt.“
Celan hatte es am 22. und 23. Dezember 1967 während seines Besuchs in Westberlin geschrieben. Die Fleischerhaken deuten auf die in Plötzensee hingerichteten Verschwörer des 20. Juli, im Landwehrkanal schwammen die Leichen der von den Freikorps-Schergen ermordeten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Celan widmete den Band dem in einer Art Hausarrest lebenden DDR-Dichter Peter Huchel. Es ist, wie Marcel Beyer zu Recht sagt, ein politisches Gedicht. Hier sind die Henker versammelt, die Nazis, die Rechten Schergen und die kommunistischen Diktatoren. Hatte Celan genug von den Ungerechtigkeiten der Welt, den Verbrechern und ihren hilflosen Opfern? Sein eigenes Leiden an der Welt war nicht therapierbar und er wählte das Wasser auch als seinen letzten Ort.
Beerdigt wurde Paul Celan am 12.Mai 1970 auf dem Friedhof Cimetière Parisien der Thiais, an dem Tag, als seine alte Freundin, die Literatur-Nobelpreisträgerin des Jahres 1966 (den er, wiewohl ebenfalls im Gespräch, nicht bekam), Nelly Sachs, starb. Uns bleibt es zu erinnern an einen originellen großen Dichter, der uns unvergessene Gedichte hinterlassen hat. Baruch dayan haemet – R.i.P.
Foto:
© randomhouse.de
© randomhouse.de