... und wann ist sie mitschuldig an erwartbarer Gewalt?

Klaus Jürgen Schmidt

Nienburg/Weser (Weltexpresso) – Als ich vor ein paar Wochen gefragt wurde, wann für mich Herbst sei, fiel mir spontan ein Spruch des Schlesiers Dieter Hildebrandt ein: „Wann du markscht s'is Harbscht, dann starbscht.“ Gestorben ist er im Herbst 2013. Der Schlesier war Mitbegründer der Münchner Lach- und Schießgesellschaft und die „13“ hätte er vielleicht als die „Drei Zeh'n“ einer Spottdrossel karikiert.

Und dann fiel mir ein, was hätte der Dieter Hildebrandt zu den Folgen der „Charlie Hebdo“-Karikaturen gesagt, die nun schon zum zweiten Mal Menschenleben gekostet und Gräben zwischen Kulturen und Religionen weiter aufgerissen haben?

Was darf Satire?

In einer Handreichung der Bundeszentrale für Politische Bildung lese ich: „Außer Frage steht: Wer unter dem Deckmantel der Satire nur das Ziel hat, zu beleidigen oder zu verleumden, muss damit rechnen, zivil- oder strafrechtlich belangt zu werden. Doch bedacht werden muss auch, dass Satire – um mit Tucholsky zu schließen – ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht ist: 'Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: ‚Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.‘' (Berliner Tageblatt vom 27. Januar 1919) Also was darf die Satire? Alles! Auch hier und heute. Dabei gilt jedoch auch für Künstler und Journalisten Recht und Gesetz.“
https://www.bpb.de/lernen/themen-im-unterricht/mit-satire-gegen-rechtsextremismus/224197/was-darf-satire

Oha, ein Bibelwort wird da – bildungspolitisch – zitiert, und: „auch hier und heute“ darf Satire „alles“, aber – bitte schön: „Recht und Gesetz“ sind dabei einzuhalten, von Künstlern und von Journalisten!

Ich stelle mir gerade christliche Eiferer in Bayern vor, die am Zeitungskiosk ein Titelblatt entdecken, das in einer Karikatur darstellt, wie die Empfängnis der Jungfau Maria „befleckt“ vonstatten ging. Und dann kommt die Zeitung auch noch irgendwo aus Arabien. ... (Falsche Vorstellung: Die Zeitung wäre gar nicht durch den deutschen Zoll gekommen.)

Und eigentlich muss ich mir auch gar nicht Bayern als den Ort der Handlung vorstellen, Bremen genügt! In den späten Siebziger Jahren hatte es ein Kollege auf der „Hansawelle“ von Radio Bremen gewagt, während der Weihnachtszeit jene von Christen beteuerte „unbefleckte“ Empfängnis zu verkaspern. Wir hatten seinerzeit einen funktionierenden Redakteursausschuss. Der hatte helfen können, die Wogen zu glätten.

Darf Satire wirklich alles?

Meine Antwort: Für Grenzüberschreitungen hinsichtlich „Recht und Gesetz“ sind Gerichte zuständig, für Anstand, Gesinnung, Toleranz jeder Einzelne von uns. Wer weiß, dass seine Handlung andere Menschen in deren Gesinnung zutiefst verletzen wird, lässt diese Handlung bleiben. Handelt er dennoch, muss er sich die Frage nach Mitschuld an erwartbaren Folgen gefallen lassen.

In einer Leserbrief-Reaktion zum „Charlie Hebdo“-Massaker im Jahr 2015 fand ich folgenden Hinweis: „Dieter Hildebrandt hat einmal sinngemäß gesagt, er wolle Gottes 'Bodenpersonal' zum Gegenstand seiner Satire machen, aber nicht Gott selbst.“
https://www.ovb-online.de/meinung/leserbriefe/sind-grenzen-satire-4649847.html

Das wäre schon mal eine gute Maxime!

Foto:
aus der KJS-Bibliothek
© Klaus Jürgen Schmidt

Info: http://www.radiobridge.net