
Klaus Jürgen Schmidt
Nienburg/Weser (Weltexpresso) . Vor 190 Jahren, am 21. April 1831, um 8 Uhr morgens starb in Bremen diese Frau. 35.000 Menschen sahen zu. Im Archiv findet sich diese Annonce einer Bremer Zeitung: „ Am Domshof Nr. 13 ist noch ein Zimmer für 24 Personen zur Ansicht der Hinrichtung zu vermieten.“ Es war das vorletzte Mal, dass auf dem Bremer Domshof ein Schafott errichtet wurde. Das letzte Mal stand dort,147 Jahre später, erneut ein Schafott, diesmal errichtet im Auftrag Radio Bremens. 1978 drehte Karl Fruchtmann den Fernsehfilm „Gesche Gottfried“ – die Giftmörderin dargestellt von Sabine Sinjen.

Ein paar Millionen dürften zugesehen haben, wie Fruchtmann – anders als der Theatermacher Rainer Werner Fassbinder – mit diesem Stück Bremer Lokalgeschichte umgegangen ist. Fassbinder hatte 1971 und 1972 zwei Auftragsarbeiten hingeschludert, ein Theaterstück in Bremen und einen Fernsehfilm für den Saarländischen Rundfunk, beide mit dem Titel „Bremer Freiheit“.

(alle Fakten: Archiv der Akademie der Künste, Berlin, und der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen)
Die Geschichte der fünfzehnfachen Giftmörderin von Bremen wurde jedoch durch Fassbinders Arbeiten international bekannt, weniger durch die Sorgfalt, mit der Karl Fruchtmann arbeitete.
Allein die Ankündigung in der Lokalpresse, Fruchtmann werde vor dem Bremer Dom ein Schafott aufbauen und den Zuschauern werde der Anblick der Hinrichtung nicht erspart bleiben, provozierte einen Leserbrief, der ein Verbot des Films forderte: „Wäre es nicht die Aufgabe des Gesundheitssenators (da Gesundheit sich auch auf die Seele bezieht), diesen Film zu untersagen?“

In einem Vorspruch zum Szenarium erklärte Fruchtmann, „was mit der Geschichte der Gesche erzählt werden soll“. Im Biedermeier, wo man sich abgeschirmt glaubte gegen alles Dunkle und Böse, waren Tränenrührseligkeit und Gefühllosigkeit eins. Die Geschichte Gesche Gottfrieds zeige, „wie eine Zeit, die die böse Wirklichkeit aus dem Leben verbannt, jemand so von der Wirklichkeit entfremdet, dass Morden für sie ganz unwirklich ist“. Die gelte vor allem für Frauen, da sie „keinen Weg zur Wirklichkeit finden können, wenn von ihnen verlangt wird, dass sie eine Rolle in einer Komödie der Unwirklichkeit spielen (und wenn sie wie hinter Glas leben, weil sie nie die 'Schallmauer' des Geschlechtlichen durchbrochen haben)“.
Fruchtmann heroisiert seine Protagonistin nicht, ganz im Gegenteil: An dem Fall lasse sich demonstrieren, dass „ein Mensch kleiner ist als seine Folgen“.

Foto:
© wikipedia / Radio Bremen / Theater Bremen / KJS
Info:
"Karl Fruchtmann: Ein jüdischer Erzähler (Fernsehen.Geschichte.Ästhetik)"
von Torsten Musial (Herausgeber), Nicky Rittmeyer (Herausgeber)
Taschenbuch mit DVD-Beilage "Kaddisch nach einem Lebenden"
edition text + kritik, München 2019, 240 Seiten, € 29
ISBN 978-3-86916-751-60
https://www.filmportal.de/nachrichten/publikation-ueber-den-autorenfilmer-karl-fruchtmann-erschienen
https://de.wikipedia.org/wiki/Gesche_Gottfried
http://www.radiobridge.net/KJS%20Stories.html
© wikipedia / Radio Bremen / Theater Bremen / KJS
Info:
"Karl Fruchtmann: Ein jüdischer Erzähler (Fernsehen.Geschichte.Ästhetik)"
von Torsten Musial (Herausgeber), Nicky Rittmeyer (Herausgeber)
Taschenbuch mit DVD-Beilage "Kaddisch nach einem Lebenden"
edition text + kritik, München 2019, 240 Seiten, € 29
ISBN 978-3-86916-751-60
https://www.filmportal.de/nachrichten/publikation-ueber-den-autorenfilmer-karl-fruchtmann-erschienen
https://de.wikipedia.org/wiki/Gesche_Gottfried
http://www.radiobridge.net/KJS%20Stories.html